„Immer im High-Speed, kreativ bis zum letzten Tag“: Alfons Kaiser über Karl Lagerfeld
Interview mit Alfons Kaiser
Herr Kaiser, gerade ist Ihre Biografie „Karl Lagerfeld: Ein Deutscher in Paris“ erschienen. Wann haben Sie sich das erste Mal mit Lagerfeld beschäftigt, und wann war Ihre erste Begegnung?
Seit 1997 schreibe ich für die F.A.Z. über das Thema Mode. Karl Lagerfeld war für alle deutschen Berichterstatter natürlich der große Name, in beiden Modestädten: in Paris wegen Chanel, in Mailand wegen Fendi. Zum ersten Mal interviewte ich ihn nach einer Fendi-Schau 1999. Er stand im Backstage-Durcheinander, und ich wartete mit anderen auf ein Kurzinterview. Im Gedränge schüttete er sich ein biss¬chen Cola über den Ärmel. Da reich¬te ich ihm ein Tem¬po-Taschentuch und fragte: „Kann ich Ihnen auch noch ein paar Fragen stellen?“ Darauf er: „Das habe ich mir schon gedacht, dass Sie mir das Tempo nicht einfach so gegeben haben.“ Ich war sofort begeistert von seiner Schlagfertigkeit und seinem Humor.
Welches Verhältnis hatte Lagerfeld zu Journalisten allgemein und zu Ihnen persönlich?
Er war sehr auf ein gutes Verhältnis zu den Medien bedacht und wusste genau, was Journalisten wollen. Und er redete offen – anders als Designer, die für börsennotierte Konzerne arbeiten und dazu verdammt sind, Phrasen zu dreschen. Nein, er bediente von der „Vogue“ über die „Herald Tribune“ bis zu RTL in drei Sprachen unendlich viele Journalisten mit passgenauen Sentenzen. Dabei entstanden klassische Sätze, die sich für jeden Party-Talk eignen: „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“ – „Sexualität ist heute nur noch eine Sportart.“ – „Stress? Ich kenne nur Strass.“ Und über Heidi Klum: „Auch Claudia kennt die nicht. Die war nie in Paris. Die kennen wir nicht.“ Solche Sprüche gaben jedem Artikel und jedem Fernsehauftritt die Würze.
Interviews nutzte er auch, um von den Interviewern Neues zu erfahren, denn er war sehr neugierig. Eine ehemalige Redakteurin der „Vogue Paris“ erzählte mir, dass er in den Siebzigern am frühen Abend mit einer Flasche Champagner in der Redaktion vorbeikam. Er plauderte mit den Journalistinnen, wollte Neues hören, gab Ratschläge und schaute natürlich auch aufs Layout. So erfuhr er als einer der ersten, was die nächste Ausgabe der wichtigsten Modezeitschrift brachte. Dann zeichnete er noch Porträts der Redakteurinnen, und alle waren glücklich.
Nach welchen Kriterien wurden die Journalisten nach Paris zu den Schauen geladen? Wie war das Prozedere, und was ist Ihnen in nachhaltiger Erinnerung geblieben?
Die Modeszene macht jungen Journalisten das Leben schwer. Sicher, in eine große Schau passen eben nur 1000 und in eine kleine manchmal nur 100 Gäste. Aber dass „Frankfurter Allgemeine“, „Süddeutsche“ oder „Zeit“ bis heute manchmal nicht hineinkommen, während links und rechts die Freunde der Designer und die Studenten von Modeschulen hineinspazieren – das zeugt von Arroganz und Ignoranz der internationalen Mode-PR. Ausgenommen davon sind aber die ganz großen Marken wie Dior, Chanel oder Hermès, die deutsche Pressestellen haben und daher professionell arbeiten.
Können Sie sich vorstellen, Lagerfeld-Projekte, in denen Ihr Buch eine prägende Rolle spielt, zu begleiten? Beispielsweise Kunst- und Ausstellungsprojekte?
Nein, da fehlt mir die Expertise. Zudem bin ich festangestellter Redakteur und habe wenig Zeit. Ich bin aber überzeugt davon, dass Lagerfeld noch zum Thema von sehr vielen Büchern, Filmen, Kunstwerken und Ausstellungen wird. Über Coco Chanel und Christian Dior erscheinen schließlich auch noch Bücher. Dieser Mann war so prägend auch für jüngere Generationen, dass man sich noch jahrzehntelang mit ihm auseinandersetzen wird.
Auf Ihrem Schreibtisch stand beim Schreiben immer eine kleine Lagerfeld-Figur mit Katze auf dem Arm, die er Ihnen bei der Eröffnung des Münchner Lagerfeld-Ladens gegeben hatte. Weshalb war diese Figur Ihr „personifiziertes Gewissen“?
Weil er sie mir geschenkt hatte. Das war schon fast wie Voodoo: Ich fühlte mich beim Schreiben von ihm beobachtet. Wenn ich mit meinen Interpretationen zu weit zu gehen drohte, schaute er mich besonders streng an. Ich hoffe, dass ich vor ihm standhalte. Von vornherein wollte ich kein Mode-Buch schreiben, wie wir es kennen, in verklärendem bis verherrlichendem Ton. Auch wollte ich kein Skandalbuch in reißerischer Aufmachung verfassen. Leitend waren für mich historische Grundlagenwerke wie Ulrich Herberts „Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert“ oder Matthias Waechters „Geschichte Frankreichs im 20. Jahrhundert“. Nüchtern, aber gerade dadurch packend. Analytisch, aber nicht anklagend. In diesem Moment schaut er schon wieder so durchdringend …
Weshalb haben Sie das Buch nicht bei Steidl veröffentlicht? Hier erschien doch auch die Chanel-Biografie ...
Ganz einfach: Die Idee zu dem Buch hatte nicht ich, sondern Alexandra Schumacher, Lektorin im Verlag C.H. Beck in München. Sie fragte mich gleich nach dem Tod von Lagerfeld am 19. Februar 2019, ob ich das nicht machen wolle. Zunächst lehnte ich ab. Ich dachte, dass man mit einem solchen Projekt nur scheitern kann, dass man ein solches Leben nicht zwischen zwei Buchdeckel quetschen kann. Zugesagt habe ich dann nach einigen Wochen doch noch, weil ich ihn oft interviewt hatte und viele Leute aus seinem Umfeld kannte. Gerhard Steidl hatte übrigens nichts dagegen, dass ich das Buch für Beck schreibe. Im Gegenteil: Er hat mir in mehreren Gesprächen mit vielen Informationen sehr geholfen.
Welche Rolle spielt für Sie das Thema Nachhaltigkeit? Und weshalb haben Sie in so bemerkenswerter Weise darauf in Ihrem Buch verwiesen?
Karl Lagerfeld war geradezu eine Symbolfigur der Konsumgesellschaft, er gehörte zu den Vielfliegern im Privatjet und hat mit seiner H&M-Zusammenarbeit der Fast Fashion seinen Segen gegeben. Das Wort von der „Demokratisierung der Mode“, das dann umging, ist aber nur eine zynische Verbrämung der Vermüllung des Planeten. Den umweltschädigenden Trend zur energie- und ressourcenintensiven Billigmode hat er verstärkt wie kaum ein anderer. Die Umweltfolgen sind größer in der „Fast Fashion“ als in der teuren Mode, schon weil die Billigprodukte zum schnellen Wegwerfen verführen. Das alles sage ich aus heutiger Sicht. Lagerfeld kam aus der wachstumsorientierten Wirtschaftswunderzeit und gehörte zur Großelterngeneration von „Fridays for Future“, insofern muss man ihm daraus nachträglich keinen moralischen Vorwurf machen. Aber festhalten muss man es schon.
Was bleibt von Karl Lagerfeld?
Die Erinnerung an einen ungemein intelligenten, witzigen und großzügigen Menschen und einen extrem fleißigen, ideenreichen und machtbewussten Modemacher. 54 Jahre als Chefdesigner bei Fendi, 36 Jahre bei Chanel, dazu viele weitere Jobs, immer High-Speed, kreativ bis zum letzten Tag: Das muss ihm erstmal jemand nachmachen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Zur Person:
Alfons Kaiser, geboren 1965, hat Germanistik, Politikwissenschaften und Psychologie studiert. Promoviert wurde er mit einer literaturwissenschaftlichen Arbeit über Uwe Johnson. 1995 wurde er Volontär, 1997 Redakteur bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wo er das Ressort "Deutschland und die Welt" sowie für das monatlich erscheinende "Frankfurter Allgemeine Magazin" verantwortlich. Am liebsten schreibt er über Mode.
Weiterführende Informationen:
Alfons Kaiser: Karl Lagerfeld: Ein Deutscher in Paris. Verlag C.H.Beck, München 2020.