Ins Gelingen verliebt sein - und in die Mittel des Gelingens
Zur Arbeit eines Handlungsreisenden
„Man muss ins Gelingen verliebt sein, nicht ins Scheitern." Das Zitat des Philosophen Ernst Bloch war ein Leitspruch von Siegfried Unseld (1924–2002), der die Mittel des Gelingens als Netzwerker nachhaltig zu nutzen verstanden hat. Nach dem Tod von Peter Suhrkamp im März 1959 übernahm der gelernte Buchhändler und Suhrkamp-Mitarbeiter mit 35 Jahren die Leitung des Hauses und machte es zum größten und wichtigsten der deutschen Verlagslandschaft. Er verstand seine Arbeit nicht nur als Sichtung und Bewertung von Zahlen, sondern hielt auch den Wert des Geistigen „in Rechnung“ (das schloss regelmäßiges Erscheinen auf Bestsellerlisten allerdings nicht aus) und pflegte den Kontakt zu seinen Autoren. Er stand bedingungslos hinter ihnen – auch hinter jenen, denen nichts mehr gelang.
In New York, München, Mexiko, Wien oder Tokio sprach er mit Schriftstellern über Verträge, Honorare und Manuskripte, besuchte Buchhandlungen und verhandelte mit Verlagen über Rechte und mit Politikern über internationalen Kulturaustausch. Er war davon überzeugt, dass man „durch ein Gespräch alles erreichen kann“. In der "Bibliothek Suhrkamp" ist nun – auch anlässlich des 70. Gründungstags des Suhrkamp Verlags am 1. Juli 2020 - eine Auswahl der "Reiseberichte" (35 Protokolle von Reisen, Begegnungen und Verhandlungen) erschienen, die Unseld in der Zeit zwischen 1959 und seinem Tod im Jahr 2002 verfasst hat (insgesamt waren es 1500). Zusammengestellt hat sie der langjährige, im April 2020 verstorbene Suhrkamp-Cheflektor Raimund Fellinger, der in den 1970er-Jahren zum Suhrkamp Verlag kam. Seine notierten Bemerkungen sprach Unseld in sein Diktafon. Abgetippt wurden sie von seiner Sekretärin und an die Abteilungsleiter und das Lektorat verteilt. Ziel von Unseld war es auch, Verlagsmitarbeiter an seinen geführten Gesprächen teilhaben zu lassen. Ab 1968 begriff er im Rahmen des „Aufstands der Lektoren“, dass er seine „Deutungshoheit“ nur behaupten konnte, indem er Ereignisse detailliert festhielt und seine Interpretationen einfließen ließ. In den Folgejahren wurden seine Niederschriften, die auch als Bausteine für eine geplante, aber nicht realisierte Autobiografie dienen sollten, immer erzählerischer.
Seine verlagsinternen Reiseberichte geben nicht nur detailreiche Einblicke in die deutsche und internationale Literaturszene nach dem Krieg, sondern beinhalten auch zahlreiche „Betriebsgeheimnisse“.
Dazu gehört auch der Bericht vom Begräbnis Hermann Hesses: Ninon Hesse, die dritte Ehefrau von Hermann Hesse, erzählte ihm vom letzten Abend. Hesse hatte ihr ein Blatt gegeben mit dem Gedicht „Knarren eines geknickten Astes“ und der handschriftlichen Widmung „Mit Grüßen für Keuper“ (Kosename von Ninon). Das Gedicht geht auf einen gemeinsamen Spaziergang am 1. August 1962 der beiden zurück. Sie fanden an einen Ast, der vom Sturm abgerissen war und in dem der Autor ein Symbol seines Lebens sah. Seitdem arbeitete Hesse immer wieder an diesem Gedicht und übergab es seiner Frau am Abend des 8. August. „Sie las noch vor bis abends ½ 10 Uhr und verabschiedete sich dann; er hörte noch etwas Radio und wird dann gegen 11 Uhr zu Bett gegangen sein.“ Er starb am 9. August.
Wer zuerst die parallel zu den Reiseberichten bei Suhrkamp erschienenen Essays „Über das Verhalten in der Gefahr“ von Peter Suhrkamp gelesen hat, wird vielleicht enttäuscht sein. Es fehlt das Erwärmende des Vorgängers, zu dem auch langjährige Autoren wie Hermann Hesse eine besondere Beziehung hatten. An seinen Sohn Bruno schrieb er im Mai 1945: „Am meisten sorge ich mich um Suhrkamp, der seiner reinen Gewinnung wegen, und leider auch meinetwegen, unendlich lang in Gefängnissen der Gestapo war. Von dort kam er, seinen Freunden kaum mehr kenntlich, abgemagert, furchtbar gealtert und verfallen zurück, man legte ihn in Potsdam in ein Spital, wo ein befreundeter Arzt versuchte ihn wieder lebensfähig zu machen. Aber sehr bald darauf ist Potsdam völlig zu Trümmern bombardiert und nachher unter Straßenkämpfen erobert worden, und ob meine Freunde dort noch leben, ist mehr als fraglich.“
Die Sachlichkeit der Reiseberichte von Unseld werden unterbrochen durch Ereignisse, die den Verleger innerlich erschüttert (und vielleicht auch in einer eigenen Eitelkeit gekränkt) haben. So reiste er zum 60. Geburtstag von Max Frisch nach New York und richtete eine Party für ihn aus. Doch der Autor ärgerte sich über den Verleger und machte ihm am 19. Mai 1971 schwere Vorwürfe: „Ich sei mit ‚leeren Händen‘ nach New York gekommen, und im übrigen hätte ich mich am Tage seines Geburtstages einfach ‚schäbig‘ verhalten. Das würde er mir nie vergessen. Er wisse von nun an, was er von mir zu halten habe, das habe er schon immer gewußt, aber nun sei es ihm deutlich geworden, und ich müsse damit rechnen, daß er dies ‚meinen Freunden‘ Jürgen Habermas und Uwe Johnson mitteilen würde.“
Unseld hatte immer darauf gebaut, dass es auch Freundschaft in der Beziehung zwischen Autor und Verleger geben könnte, aber seit diesem Erlebnis war ihm bewusst, „dass das vielleicht nicht oder nicht mehr möglich sein kann und dass ich mich darauf einstellen muss, das Rettungsmittel kann nicht Liebe sein, sondern Arbeit.“
Dem problematischen und vielschichtigen Autor-Verleger-Verhältnis widmete sich Unseld später am intensivsten in seinem Buch „Goethe und seine Verleger“ – der historische Hintergrund machte es vermutlich leichter, darüber zu schreiben. In Bezug auf Max Frisch zitierter in seinem New Yorker Reisebericht (14.-22. Mai 1971):
„Wie verfährt die Natur, um Hohes und Niederes im Menschen zu verbinden? Sie stellt Eitelkeit zwischen hinein.“ (Schiller)
„Die Eigenliebe läßt sowohl unsere Tugenden als auch unsere Fehler viel bedeutender, als sie sind, erscheinen.“ (Goethe)
In den Reiseberichten von Siegfried Unseld ist er ständig präsent. Am 11. Juli 1960 wollte er in Weimar das Goethe-Haus besuchen, „es war aber, wie schon auf der Hinreise, geschlossen. Ich fuhr deshalb an die ‚Nationale Gedenkstätte‘ Buchenwald.“ Durch den Erwerb des Insel Verlages trat Unseld schon 1963 das „Erbe“ von Anton Kippenberg an, der Goethes Werk zum Zentrum seines Verlagsprogrammes machte. Es lohnt sich, hier auch einen Blick auf Peter Suhrkamp zu werfen, der sich ebenfalls intensiv mit Goethe beschäftigte. Der innere Motor machte solche Genies "oftmals selbst den Schiffern im freien Meer überlegen.“ Sein Lebenswerk ist das „eines Kollektivwesens", sagte Goethe. In gewisser Weise gilt das auch für die Suhrkamp-Verleger. Die Liebe zur Literatur war für sie kein Gefühl, sondern ein Tun.
Weiterführende Literatur:
Hermann Hesse: „Mit dem Vertrauen, daß wir einander nicht verloren gehen können“. Briefwechsel mit seinen Söhnen Bruno und Heiner. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019.
Peter Suhrkamp: Über das Verhalten in der Gefahr. Essays. Suhrkamp Verlag, Berlin 2020.
Siegfried Unseld: Reiseberichte. Hg. von Raimund Fellinger. Suhrkamp Verlag Berlin 2020.
Siegfried Unseld: Goethe und seine Verleger. Insel Verlag, Frankfurt a. M. 1998.