Dr. Alexandra Hildebrandt

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für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Kamala Harris: "Intelligente Politik lässt sich nicht im Elfenbeinturm machen“

Siedler Verlag
Cover-Auszug: Kamala Harris: Der Wahrheit verpflichtet. Siedler Verlag 2021.

Viele Politiker:innen, die sich in den mit der Macht verbundenen Privilegien gemütlich eingerichtet haben, sind häufig keine Charaktere, sondern nur Charakterspieler, die eines nicht tun: Themen, von denen sie überzeugt sind, offen anzusprechen – auch wenn für sie gerade noch kein politischer Markt vorhanden ist. Viele sind nicht in der Lage, nachhaltige Ziele so zu handhaben, dass diese mit den kurzfristigen, auch populistischen Wünschen harmonieren. 

Beim Skatspiel heißt es „Ober sticht Unter“ - in der Politik gilt häufig: „Kurzfrist sticht Langfrist“. Viele Jugendliche sind zwar politisch interessiert, doch von dem wachsenden Politikinteresse können die etablierten Parteien kaum profitieren, da Jugendliche den Parteien wenig Vertrauen entgegenbringen. Das gilt auch für Großunternehmen, Kirchen und Banken. Am meisten vertrauen sie Menschenrechts- und Umweltschutzgruppen. Viele spüren ein Unbehagen mit der Art und Weise, wie Politik betrieben wird. Es geht heute darum, das Ganze permanent im Auge zu behalten, aber auch Details nicht aus dem Blick zu verlieren – auch und gerade in Zeiten großer Unruhe und des Klimawandels, der zu den größten Umweltbedrohungen gehört und sich auf fast alle Lebensbereiche auswirkt. Wissen ist der Ausgangspunkt für nachhaltige Veränderungen - es umzusetzen bedeutet, richtige Entscheidungen zu treffen und das eigene Verhalten daran zu orientieren.

Kein Symbol sein, sondern handeln

„Unsere größten Probleme können wir nur bewältigen, wenn wir ehrlich mit ihnen umgehen. Wenn wir bereit sind, schwierige Gespräche zu führen, wenn wir den Tatsachen ins Auge sehen. Wir müssen die Wahrheit aussprechen“, schreibt Kamala Harris, die erste Frau und erste Schwarze als Vizepräsidentin der USA, in ihrer 2018 geschriebenen Autobiographie "The Truths We Hold. An American Journey", die Anfang 2021 auf Deutsch erschienen ist. Das Aussprechen der Wahrheit ist für sie einer der Eckpfeiler jedes Vertrauensverhältnisses. Sie ist davon überzeugt, „dass es kein stärkeres Mittel gegen das Gift unserer Zeit gibt.“ Vertrauen hat auch mit Ungewissheit und Offenheit zu tun. Komplexität lässt sich nicht durch Kontrolle und Regeln in die Schranken weisen. Um mit ihr richtig umgehen zu können, braucht es Menschen mit Mut, die sich nicht ständig absichern, wenn sie Vertrauen schenken und damit auch einen Vorschuss an Optimismus leisten, den wir heute dringend brauchen. Echtes Vertrauen hat im Gegensatz zum vorgesäuselten Vertrauen mit Verbindlichkeit, Verlässlichkeit und Verantwortung zu tun.

Der Vertrauensverlust, der in den vergangenen Jahren in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen stattgefunden hat, ist ein Problem, an dem sich zeigt, dass Vertrauen nicht nur mit persönlichem Wohlbefinden zu tun hat, sondern auch ein nachhaltiger Wirtschaftsfaktor ist, der ins Wanken gerät, wenn die Kompetenz und Integrität einiger Manager und Führungskräfte in Zweifel gezogen werden. Etliche Skandale der letzten Zeit haben verdeutlicht, dass viel geredet, aber kaum etwas getan wurde. Wo es echtes Vertrauen gibt, handelt der Einzelne nach bestem Wissen und Gewissen. Politiker:innen, die langfristig ausgerichtet sind, greifen Strömungen in Richtung Nachhaltigkeit auf und setzen sich dafür ein, dass sie in Gesetze und Verordnungen eingearbeitet werden. Wer wirksam Einfluss nehmen möchte, muss die auch die interne Mikropolitik kennen und braucht Bündnispartner und Allianzen. Neben den festgeschriebenen und sichtbaren Regeln gibt es eine Vielzahl informeller Regeln und Verhaltensnormen. Deshalb war Kamala Harris zuweilen auch bereit, „die Böse zu spielen“, wenn es ihr damit gelang, ein vernachlässigtes Thema aufzugreifen.

"Auf politisches Kapital gibt es keine Zinsen. Man muss es ausgeben, um etwas zu bewegen.“

Auseinandersetzungen werden nicht nur auf der Faktenebene entschieden. Es braucht Präsenz, offene Augen und Sinne, wenn es darum geht, sich gegen Rassismus, Gewalt, Finanzspekulationen, Sexismus, Homophobie, Transphobie und Antisemitismus einzusetzen. Während der Immobilienkrise kämpfte sie mit Banken und Big Business, um die Menschen aus dem Volk zu schützen. Auch heute ruft sie immer wieder die Grundwerte von Freiheit, Toleranz und Gerechtigkeit in Erinnerung. Ihre berufliche Karriere begann Kamala Devi Harris, die 1964 in Oakland/USA als eine von zwei Töchtern von Einwandern geboren wurde, als Assistenzstaatsanwältin in Alameda County/Kalifornien, wo sie mit jungen Missbrauchsopfern zu tun hatte. Dieses Amt führte sie in eine Abteilung für Berufskriminalität (Leiterin in der Bezirksstaatsanwaltschaft von San Francisco). Später richtete sie eine Task-Force gegen sexuellen Missbrauch von Jugendlichen ein, durch die sie auch ohne ein gewähltes Amt politischen Einfluss nahm. 2003 wurde sie Bezirksstaatsanwältin, 2011 Generalstaatsanwältin und Justizministerin von Kalifornien und 2017 US-Senatorin der demokratischen Partei.

Ein besonderer Fokus ihrer Arbeit lag auf der Reformation der Strafjustiz. Einer ihrer innovativen Ansätze war, keine Haftstrafen für kleinere Delikte zu verhängen, sondern die Menschen in ein Resozialisierungsprogramm einzubinden ("Back on Track"). Das Justizministerium der Obama-Regierung übernahm dieses Modell. Seit Januar 2021 ist Kamala Harris Vizepräsidentin der USA auf dem ranghöchsten Posten neben Präsident Joe Biden. Sie ist seit August 2014 mit dem Rechtsanwalt Douglas Emhoff verheiratet, der zwei Kinder im Teenageralter aus einer früheren Verbindung in die Ehe brachte, und der erste jüdische Partner einer US-Vizepräsidentin ist. 2017 besuchte das Paar die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Die Juristin ist nicht nur exzellent ausgebildet, sondern auch durchsetzungsstark. Ein Lieblingsmotto ihrer Mutter Shyamala Gopalan Harris, die aus Indien stammte und promovierte Endokrinologin war, lautete:

"Lass dir von niemanden sagen, wer du bist. Sag du ihnen, wer du bist."

In ihrem Buch berichtet sie von kalifornischen Familien und alleinerziehenden Müttern, die hart arbeiten. Auch Kamala Harris wuchs bei ihrer alleinerziehenden Mutter auf, die ihr den Wert jeder Arbeit früh beibrachte. Wenn sie als Forscherin im Chemielabor einen Durchbruch hatte, erhielt das Kindermädchen Blumen mit dem Satz: „Ohne dich hätte ich das nicht geschafft.“ Ihre Mutter war besonders prägend. Sie hielt die Tochter dazu an, keine halben Sachen zu machen und die Erste zu sein - aber nicht die Einzige zu bleiben. Als sie die Diagnose Krebs erhielt, hat sich Kamala Harris lange geweigert, der Wirklichkeit ins Auge zu sehen. Der nahende Tod der Mutter war für sie unvorstellbar: "Ich liebe sie so sehr. Und es gibt keinen Ehrentitel der Welt, den ich mehr schätze als den, die Tochter von Shyamala Gopalan Harris zu sein." Es sind zu Herzen gehende und zugleich die persönlichsten Passagen im Buch – vielleicht auch, weil sie uns daran erinnern, wie wichtig es ist, uns immer wieder in Erinnerung zu rufen, dass auch wir sterben werden. Vor allem in Momenten, in denen es darum geht, weitreichende Entscheidungen zu treffen. Der Gedanke an Endlichkeit schafft Dringlichkeit.

Weiterführende Literatur:

Kamala Harris: Der Wahrheit verpflichtet – Meine Geschichte. Aus dem Englischen von Jürgen Neubauer. Siedler Verlag, München 2021.

Wer schreibt hier?

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Freie Publizistin und Autorin, Nachhaltigkeitsexpertin, Dr. Alexandra Hildebrandt

für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".
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