„Lass das Denken, wenn du geübt bist“: Wenn die Intuition zu uns spricht …
Die Skepsis gegenüber unserer Intuition ist geschichtlich begründet
Im 18. Jahrhundert wollten Denker wie Voltaire oder Immanuel Kant, der die Frage „Was ist Aufklärung?” in der Berlinischen Monatsschrift (1784) zu beantworten suchte, die Menschen durch den Einsatz ihrer eigenen Vernunft unabhängiger von der Macht der Herrschenden machen. Die Theorien des Zeitalters der Aufklärung mit ihrem wissenschaftlichen, logischen und rationalen Weltbild haben bis heute großen Einfluss auf unser Denken und auf Wissenschaftler wie den Harvard-Psychologen und Linguisten Steven Pinker. Sein Buch „Mehr Rationalität“ soll eine Anleitung zum besseren Gebrauch des Verstandes sein. Die eigenen Vorstellungen sollen immer wieder nach faktischen Gegebenheiten neu ausgerichtet und nach Zahlen und Formeln gefasst werden. In seinem Buch „Enlightement Now – The Case for Reason, Science, Humanism and Progress“ schreibt er sogar, dass es uns Dank der Aufklärung heute besser geht als je zuvor: Ihr würden wir den Fortschritt der letzten 200 Jahre verdanken, weil sie auf Vernunft, den Geist der Wissenschaft und die Suche nach Wahrheiten setzt. Erst wenn sich eine Gesellschaft dieser Ideale bedient, kann sie seiner Meinung nach wirklichen Fortschritt erleben. Vor allem die Romantik kritisiert er immer wieder. Widersprüche und Ambivalenzen, die das Zeitalter der Aufklärung ebenfalls in sich birgt, vernachlässigt er. Dabei ist vielfach erwiesen, dass die damaligen Vorstellungen von Wissenschaft, Gleichberechtigung oder Toleranz nicht immer unseren heutigen Vorstellungen entsprechen und auch nicht immer praxistauglich sind. So wurde der menschliche Körper im Prozess der Aufklärung nur zugelassen, soweit er im Einklang mit der Vernunft steht. Er erschien in diesem Kontext als eine rational steuerbare Maschine. Diese Entwicklung führte seit dem 18. Jahrhundert nicht zuletzt zu einer Aufspaltung der Sinne, der eine Vereinseitigung und Einschränkung des Wahrnehmungsfelds auf die sichtbare Welt folgte.
Die Kontrolle durch den Verstand für Momente abzugeben, macht vielen Menschen noch heute Angst.
Sie haben nicht gelernt, sich nur auf klare Fakten zu verlassen und den Gefühlen kaum Raum zu geben. Doch Emotionen müssen wieder mehr an Bedeutung gewinnen - zumal Gehirnforscher herausgefunden haben, dass sie bei Entscheidungen eine maßgebliche Rolle spielen. Auch im Führungs- und Managementkontext. Hirnforscher sind sich inzwischen darüber einig, dass intuitive Entscheidungen viel schneller getroffen werden als Entscheidungen, die über das sorgfältige Abwägen durch den Verstand zustande kommen. Erfahrungen, die im Unterbewusstsein abgespeichert sind, werden bei Bedarf, wenn eine Entscheidung fallen soll, bewusst oder unbewusst abgerufen. Der Hirnforscher Gerd Gigerenzer verweist ebenfalls darauf, dass es ein Vorwissen braucht, das im Unterbewusstsein abgelegt ist: „Lass das Denken, wenn du geübt bist.“ Das ist Intuition (vom mittellateinischen Wort „intuitio“ = „unmittelbare Anschauung“ oder „nach innen schauen“). Intuition ist die wichtigste Grundlage für Entscheidungen. Natürlich kommen Analyse und Logik unterstützend hinzu, sind aber nicht am wichtigsten. Es ist vielfach nachgewiesen, dass, wer viele Erfahrungen sammelt, diese kritisch reflektiert und bei Entscheidungen richtig abruft und anwendet, im Unternehmen nachhaltig erfolgreicher ist.
Intuitive Menschen sind fähig, in Möglichkeiten oder Alternativen zu denken, sich dem Wandel besser anzupassen, Chancen und Risiken besser abzuwägen und pragmatisch Lösungen zu finden.
Auch achten sie mehr auf ihre Gefühle – eine wichtige Basis auch dafür, sich für andere Menschen zu interessieren. Wer zu sich selbst in einer guten Beziehung steht, versteht auch andere Menschen besser. Natürlich können sich intuitive Menschen auch irren, wenn sie nicht immer wieder ihre Intuition hinterfragen. Der Unternehmer, Autor und Mit-Herausgeber des Buches „Bauchgefühl im Management“, Werner Neumüller, bringt es auf den Punkt: Wir sollten unserer Intuition vertrauen und sie zur Entscheidungsfindung nutzen, aber zuweilen sollte dies mit rationalem Denken und Logik überprüft werden. Als junger Mann rang auch er mit der Frage: Kopf oder Bauch? Verstand oder Intuition? Er wollte sich selbständig machen. Unternehmer werden. Sich verwirklichen. Frei sein in seinen Entscheidungen – auch mit den entsprechenden Konsequenzen. „Nur der Verstand sagte lange Zeit: Achtung, tu es nicht …“ Aber er bereute es nie, auf seine Intuition gehört zu haben und seinen Gefühlen in die Selbständigkeit gefolgt zu sein. „Alles richtig gemacht!“, sagt er heute. Sein Beispiel zeigt: Wenn wir etwas lieben, treiben Gefühle unsere Handlungen an. Heute als erfolgreicher Geschäftsführer der NEUMÜLLER Unternehmensgruppe versucht er, seine rationalen Entscheidungen mit dem Bauchgefühl zu überprüfen und fragt sich immer wieder: „Was sagen meine Emotionen?“
Weiterführende Informationen:
- Alles klar? Die Rückkehr der Aufklärung
- Die Gegenwart ins richtige Licht setzen
- Macht und Grenzen der Rationalität
- Intuition im Kontext agiler Arbeitsweisen
- Intuition als professionelle Kompetenz
- Werner Neumüller: Die Grenzen der Rationalität. In: Bauchgefühl im Management. Die Rolle der Intuition in Wirtschaft, Gesellschaft und Sport. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. SpringerGabler Verlag 2021.
- Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.
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