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Maskot/Getty Images

Meine 5 Homeoffice-Probleme – und was ich dagegen versuche

Normal schreibe ich nicht groß über mich. Sondern mehr über das, was meine Coachees, Seminarteilnehmerinnen, Ansprechpartner bewegt. Ist in der Regel auch relevanter. Aber heute mache ich's anders und berichte mal über meine Empfindungen. Über das, was mich anstrengt, nervt, fordert an meinem Mittelschicht-Leben, in meinem mittelschlimmen Home Office. Ich heule, um es mit Jochen-Martin Gutsch zu sagen, laut. Beschwere mich einfach mal und jammere. Vielleicht geht Euch und Ihnen ja manches auch so? Und, logo, ich werde natürlich ein paar Anti-Jammer-Strategien empfehlen. Die mal besser funktionieren. Und mal nur so mittelgut.

Schlechte Stimmung

Im englischen ist's der "Blues", im argentinischen "la bronca", im bayerischen ist es der "Grant": Manchmal bin ich dieser Tage ganz schön grantig. Aufträge, die wegbrechen; Homeschooling, das mal besser, aber auch mal schlechter funktioniert; unsere geplante Hochzeit, die wir verschieben müssen; die eh magere Ski(touren)saison auf einen Schlag beendet; ganz zu schweigen von der täglichen Dosis an Negativ-Nachrichten zu Infizierten-/Kranken-/Todeszahlen, volkswirtschaftlichen Verlusten und und und. Es gibt viele Faktoren, die mir immer wieder ganz schön schlechte Laune machen. Auch wenn ich natürlich weiß, dass viele Menschen ganz andere Sorgen haben. Das wiederum kann dazu führen, dass ich nicht nur grantig bin, sondern auch noch grantig über meinen eigenen Grant.

💡Was ich dann probiere? Ich weiß: Zu viel negatives Denken ist enges Denken. Verkleinert unsere Ideen, unsere Handlungsspielräume, unsere Sozialkompetenzen. Positives zu sehen und zu kultivieren macht den Kopf freier und weiter. Den Fokus richten, zum Beispiel beim Zähneputzen, auf die Dinge, die gut laufen, wo ich meine Stärken einsetzen kann – das hilft manchmal. Sport kann helfen, Schokolade kann helfen, Gitarrespielen kann helfen, Netflix kann helfen. Helfen hilft definitiv! Hier noch ein paar weitere Ideen zum Umgang mit Grant. Und manchmal hilft es auch schon, den eigenen Grant zu erkennen, die Genervtheit und den Frust als solche zu benennen. Am besten, damit sind wir beim nächsten Problem: im Gespräch mit wem anders.

Isolation

Familie, Partnerin, gut und schön, aber: Ich habe keine Menschen, die mich anderswo erwarten, keine Kunden, die vor meiner Ladentüre stehen. Ich hocke den ganzen Arbeitstag mit mir alleine in meinem Dachgeschoss-Gefängnis, äh: Büro. Keiner ruft an, kaum wer mailt: Irgendwie herrlich, manchmal. Und manchmal macht es ganz schön einsam. Die Amerikaner haben, hat Gallup gerade in einer Studie erhoben, haben durch social distancing im Durchschnitt nur 5 statt der sonst üblichen 52 Sozialkontakte am Tag, also derzeit 90% weniger Kontakt mit anderen Menschen als sonst. Das macht die aktuelle Krise so besonders und anders als andere Kalamitäten, in denen wir normalerweise noch viel mehr kuscheln und Kontakt aufnehmen. Oxytocin und andere Botenstoffe, die bei gutem Kontakt zu anderen Menschen in unserem Gehirn ausgeschüttet werden, machen uns glücklich – wenn sie denn kommen. Und unglücklich, wenn nicht. Unser Gehirn ist nicht für das Alleinsein gemacht, wir sind Sozialwesen.

💡Was – meistens – hilft: Ich versuche, jeden Tag ein, zwei Luxus-Zooms zu terminieren, also mich mit Menschen per Videokonferenz zu verabreden, mit denen es nichts Zwingendes oder Dringendes zu besprechen gibt – und damit den professionellen, routinemäßigen Kontakt zu ersetzen, der mir gerade fehlt. Am liebsten mit Videocall, weil wir mehr voneinander mitbekommen, wenn wir einander sehen statt nur hören, aber die Erfahrung machen ja mittlerweile alle, oder?

Von einem zum nächsten

Da ist die nächste Podcast-Folge zu produzieren. Hier ein nächster Blogpost zu schreiben. Auch die Steuererklärung würde sich über Aufmerksamkeit freuen. Ich mache dies und dann das, eigentlich müsste/sollte/wollte ich aber auch noch jenes und solches erledigen. Am besten vorgestern. Ich befinde mich, kurzum, in einer Art rasenden Stillstandes. Bringe vieles auf die Straße und habe doch ständig das Gefühl von zu wenig und zu langsam. Es ist wahrscheinlich der innere Zappelphilipp, auf die brutale Vollbremsung mit noch so brutalerem Daueraktionismus reagiert.

💡Was gut wäre: Einmal ist da die Rasenmäherstrategie. Ich glaube, dass die wenigsten Leute so häufig Rasen mähen, weil sie so gerne Rasen mähen. Sondern weil das Rasenmähen einem sofortigen Erfolg beschert: Gras lang, Gras dunkelgrün – Gras kurz, Gras hellgrün. So einfach. Ich versuche also immer wieder innezuhalten, mir auf die Schultern zu klopfen und mir zu sagen: „Mensch, hier ist das Gras doch schon wieder ein Stück kürzer und hellgrüner!" Selbstwirksamkeit erleben, nennen das die Psychologen.

Grenzenlose Arbeit

Der Rechner glüht von früh bis spät, Telefon, E-Reader und Tablet verfolgen mich ins Bett und ins Bad – wenn ich das zulasse –, 24/7 war bei mir noch nie so real wie jetzt. Maximale Entgrenzung der Arbeit.

💡Was mir da hilft: „Hey Siri, Timer auf 45 Minuten" ist wahrscheinlich der häufigste Satz, den ich derzeit spreche. Ich mache also Time Boxing, reserviere mir – sagen wir, für das Schreiben dieses Blogposts – einen festen Zeitslot, in dem ich die Aufgabe fertigzustellen versuche. In der Zeit mache ich nix andere, und dann, wenn der Alarm klingelt, mache ich mir einen Kaffee, trinke was schaue mit frischem Blick auf meine Arbeit – und bin entweder ein Stück weitergekommen oder sage mir: Passt schon, weg damit, auf zum nächsten. Zumindest in der Theorie. Ich weiß, wie das geht, ich predige den Leuten, dass nur Anfänger durchackern und Profis regelmäßig pausieren. Sollte ich mich mal selbst häufiger dran halten. Und an den schönen Satz von Ariana Huffington:

Die Pause ist kein Fehler im menschlichen Betriebssystem. Sie ist ein Feature!
Ariana Huffington

Infodemie

Corona auf Twitter, Corona auf Xing, Corona in der Zeitung, im Radio: All die Hashtags, Sonderseiten, Spezial-Podcasts überfluten mich von früh bis früh mit sämtlichen Details zur Ausbreitungsgeschwindigkeit der Pandemie, den wirtschaftlichen Prognosen und und und. Die meisten dieser Nachrichten sind negativ. Weil unser Gehirn sowieso darauf ausgelegt ist, das Schlechte und Gefährliche überzubetonen. Und weil man als Staatsbürger ja eine halbwegs informierte Meinung dazu haben will, ob und welche dieser ganzen drakonischen Rechtebeschneidungen zu rechtfertigen sind (was ich übrigens, damit auch das gesagt finde, im Großen und Ganzen so sehe), neige ich dazu, in jeder freien und unfreien Minute an den Kanälen zu hängen. Wovon ich gleichzeitig in meinen Webinaren und Coachings ständig abrate. Denn die Infodemie gefährdet unser durch die vielen negativen Nachrichten eh schon überlastetes Gehirn, siehe oben.

💡Was mir hilft? Das gute alte serielle Fernsehen, die Qualitätszeitungen, der öffentlich-rechtliche Rundunk: Die Qualitätsmedien profitieren von der Corona-Krise, haben die ersten Studien ergeben, die Menschen scheinen sich eher an etablierte Kommunikationskanäle zu halten als an obskure Fake-News-Produzenten. Und ich mache es genauso. Ich lese abends die Zeitung vom nächsten Morgen, höre mittags beim Kochen Deutschlandfunk und versuche ansonsten, nicht die x-te Talkshow oder den y-ten Newsletter durchzuzappen.

Wenn Sie mehr wissen wollen

Hier einige Angebote von mir, wenn Sie mehr wissen und erfahren wollen:

🎧 In der aktuellen Folge meines Podcasts „Positiv Führen“ habe ich den Wiener Organisations- und Wirtschaftspsychologen Dr. Markus Ebner zu Positive Leadership interviewt.

📖 Mein Gratis-E-Book zum „Mehr Glück im Job“ kommt bald – gerne dafür schon jetzt anmelden.

Meine aktuellen Interviews und Gastbeiträge finden Sie 👇🏼hier.

🖥 Und in den nächsten Wochen laufen einige Webinare und Online-Workshops von mir zu Positive Leadership – teilweise gratis.

Mit positiven Grüßen

Christian Thiele

P.S.: Sie machen das gut!

Christian Thiele: Positiv führen in schwieriger Zeit (Haufe, Mai 2020)
Christian Thiele: Positiv führen in schwieriger Zeit (Haufe, Mai 2020)

P.P.S.: Mein Buch „Positiv führen in schwieriger Zeit“ erscheint demnächst (Haufe Verlag, Mai 2020)

Kommentare

Christian Thiele schreibt über Positive Leadership, Positive Psychologie, Führung, Wirtschaft & Management

Christian Thiele, 48, ist Vortragsredner, Coach, Teamentwickler und Trainer für Positive Leadership. Sein Podcast „Positiv Führen“ ist auf 🎧 positiv-fuehren.com/podcast zu hören, sein Buch "Positiv Führen" ist bei Wiley erschienen. (Ski-)Bergsteiger, (meist) zuversichtlicher Patchworkvater. 

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