Nachhaltige Führung und zukunftsfähiges Management: Organisationen sichtbar machen
Markus Hecht ist Wirtschaftsingenieur und hat in zahlreichen Leitungsfunktionen in Deutschland und den USA Teams aufgebaut und geführt, um Veränderungen und Krisensituationen erfolgreich meistern zu können. Als Prokurist und Geschäftsführer in der Privatwirtschaft und Vorstand einer Montessori-Schule war er 18 Jahre lang verantwortlich für viele Mitarbeitende. Seit 2021 lehrt er „Moderne Unternehmensorganisation“ an der Technischen Hochschule Augsburg und hat 2015 am ZWW der Universität Augsburg den Bereich „Zukunftsfähige Organisationen“ initiiert. Er ist Gründungspartner von Postdigital und Inhaber von „The Alternative Board Augsburg”. Weiterführende Informationen: www.markus-hecht.de.
Interview mit Markus Hecht
Herr Hecht, Sie begleiten Inhaber und Geschäftsführer im Team-Aufbau, der Organisationsentwicklung und dem nachhaltigen Mentoring von Teammitgliedern sowie Führungskräften. Ihre Arbeit, die Sie auch in Kursen vermitteln, soll dazu beitragen, „Organisationen sichtbar“ zu machen. Was bedeutet das konkret?
Teams und Organisationen werden selbstwirksamer, wenn sie sich selbst reflektieren können. Dann sind sie in der Lage, ihre Potenziale sinnvoller einzusetzen, ihre Vorgehensweisen zu optimieren, ihre Ziele aufeinander abzustimmen und diese auch zu erreichen. Aber um facettenreich genug reflektieren zu können, braucht es einen geschützten Rahmen und einen Sparringspartner, in Team-Prozessen meist einen Moderator. Und oft braucht es Analyse-Tools, um eine gute Grundlage für die Gespräche zu haben.
Das bieten wir in verschiedensten Ausprägungen an: In dem konkreten Format, das Sie ansprechen, nutzen wir moderne Methoden zur Analyse von System-Dynamiken. Methoden, die nicht die planerisch-analytischen Denkstrukturen der Beteiligten mit einbeziehen - ganz bewusst nicht! Wir greifen dabei in den mittlerweile sehr vielseitigen Werkzeugkasten von Strukturaufstellungen für Organisationen. Beispiele dafür sind System-Analysen und Entwicklungsaufstellungen (nach Prof. Müller-Christ), 3D-Mappings, Seed-Übungen und Stuck-Excercises (aus dem Theorie-U-Framework von Otto Sharmer).
Erfrischend ist dabei immer, zu beobachten, wie viele zusätzliche - und meist wesentliche - Informationen, auf diese Weise in kurzer Zeit gesammelt werden können. Denn wir alle, die wir Führungs-, Team- und Beziehungsdynamiken kennen, wissen, dass es dabei nicht um Logik und Fakten geht, sondern um oft Unformulierbares. Und genau das wird in diesen Formaten spürbar und sogar explizit von den Stellvertretern formuliert. Angeboten werden aber auch noch viele andere moderne Formate, die Systeme beschreiben, oder eben „Organisationen sichtbar“ machen können - und ebenso deren Menschen und Teams.
Braucht es Vorkenntnisse? Können Teilnehmende auch eigene Themen einbringen?
Die Teilnehmenden benötigen keine Vorkenntnisse, integrieren sich immer unmittelbar in die Gruppe und sind auch willkommen, eigene Themen mit einzubringen. Vorausgesetzt sie bewegen sich im Themenkreis Organisation. Häufige Themen sind: Führungskonstellationen, Besetzung von Führungs- und Team-Positionen, schwierige Team-Dynamiken und Blockaden, Produkt-Entwicklung und Markt-Einführung, oder die Planung von Vertriebsaktivitäten. Eigentlich sind hier der Fantasie fast keine Grenzen gesetzt.
Welche Bedeutung haben für Sie die Themen Selbstwirksamkeit, Resilienz, Verantwortungsübernahme, Selbst- und Fremd-Führung?
Meiner langjährigen Erfahrung nach funktioniert Führung, die von beiden Parteien als angenehm und produktiv empfunden wird, nur, wenn beide ein gutes Maß an Selbstwirksameit entwickelt haben. Deshalb stehen die von Ihnen genannten Begriffe für uns im Zentrum jeglicher Arbeit mit Teams und Organisationen. Wir steigern Selbst-Führung und Selbstwirksamkeit. Allein damit steigt bereits die innere Resilienz und ermöglicht ein gutes Geführtwerden und klare Verantwortungsübernahme. Und eine gesunde Führungsbeziehung steigert dann die Resilienz beider Beteiligter, des Teams und letztendlich der gesamten Organisation. In solchen Firmen sind dann auch Ausfallzeiten, Kranktage und Fluktuation kein Thema.
Welche Rolle spielt Gesundheit in Ihren Coachings und Seminaren?
Gesundheit ist ja nicht lediglich die Abwesenheit von Krankheit. Salutogenese wurde einmal definiert als: Verstehbarkeit, Sinnhaftigkeit und Handhabbarkeit der eigenen Situation. Und es ist im Kern das, was wir in unserer Arbeit im Organisationskontext tun. Durch zahlreiche Ausbildungen und Erfahrungen, die ich aus dem therapienahen Bereich mitbringe, fließt dieses Wissen natürlich stark in unsere Arbeit mit ein. Nur in einem gesunden System halten sich dauerhaft gesunde und natürlich leistungsfreudige Menschen gerne auf. Und idealerweise kann die Organisation Mitarbeitende, die das wollen, auch dahin entwickeln. Und somit ist es ein wichtiges Thema sowohl für Führung, Mitarbeiter-Entwicklung, als auch Recruiting.
Wenn wir mit einzelnen Menschen mit Potential-Analysen, in der Persönlichkeitsentwicklung oder zum Thema Resilienz arbeiten, vertiefen wir das Thema der körperlichen, psychischen und seelischen Gesundheit auf Wunsch gerne. Im rein organisatorischen Rahmen von Team- oder Organisations-Begleitungen erzielen wir die Wirkung durch die gezielte und kluge Gestaltung der Verantwortlichkeiten und Führungsräumen.
Welche Rolle spielt für Sie das Gesundhaus i-Tüpferl?
Wir bieten dort unser Format „Organisationen sichtbar machen“ an, in dem wir – wie oben beschrieben – unterschiedliche Organisations-Aufstellungsformate nutzen. Hier erhalten wir in sehr kurzer Zeit – pro Aufstellung in der Regel in 30 Minuten – Informationen, die in anderen Formaten überhaupt nicht zu Tage treten. Ich schätze das Gesundhaus i-Tüperl als einen von Christine Bergmair geschaffenen Ort, der in einem sehr professionellen und unaufgeregten Rahmen Ruhe und Klarheit ausstrahlt. Für mich der ideale Ort für diese Formate. Und das war klar, als ich das Gebäude das erste Mal betreten habe.
Es ist vielfach erwiesen, dass sich Menschen systemkonform verhalten, wenn das System falsch ist. Da Organisationen jedoch „menschengemacht" sind, gibt es Hoffnung, dass sie auch verändert werden und an die Gegenwart angepasst werden können?
Eine Vielzahl von Menschen verhalten sich gerne systemkonform. Nicht alle. Falsch und richtig sind Zuschreibungen aus einer individuellen Sichtweise heraus, deshalb möchte ich es so ausdrücken: Menschen werten oft den schnellen, sichtbaren, eigenen Nutzen höher als langfristige, altruistische, oder nachhaltige Strategien zu verfolgen. Diese Neigung steigt, je höher das Maß der eigenen, gefühlten Bedrohung ist. Jeder von uns versucht, dasjenige eigene Bedürfnis zu befriedigen, welches er als am stärksten, wichtigsten oder drängendsten empfindet. Je mehr es uns gelingt, reife Menschen zu entwickeln, deren Bewusstheit für ihr Handeln, Entscheiden und „in Beziehung gehen“ beständig zunimmt, umso mehr steigt die Chance darauf, dass
- menschgemachte Systeme auch menschenwürdig bleiben – oder es wieder werden – und zur selben Zeit leistungs- und wettbewerbsfähig sind,
- Organisationen in einer Zeit des Wandels und der (notwendigen) kreativen Zerstörung in einer „flexiblen Ordnung“ gehalten werden können, die sowohl Stabilität als auch Flexibilität erlaubt,
- der einzelne Mensch mit diesem Veränderungsschmerz umgehen kann, ihn aushalten und transformieren kann, ihn als Ansporn nutzt, daran wächst und heilt – sprich: resilient wird und
- wir uns und unseren Enkeln eine lebenswerte Zukunft gestalten.
Genau das treibt mich in meiner Arbeit an, und deshalb habe ich die Arbeit mit Teams und Organisationen für mich gewählt. Weil ich der Überzeugung bin, dass diese in unserer modernen Welt der größte Hebel für Verhaltens- und Bewusstseinsveränderung sind. Und dieser Glaube lässt mich jeden noch so kleinen Schritt feiern.
Wie kann die Bereitschaft von Führungskräften und Mitarbeitenden, kontrollierte Risiken einzugehen, gestärkt werden?
Menschen müssen lernen und erfahren, dass sie mit ihren eigenen, individuellen Potentialen im Rahmen der Organisation handlungsfähig und wirksam sind, sie brauchen Klarheit über die gemeinsame Richtung und über Ihren Platz auf dieser Reise. Und ein ausreichendes Maß an psychologischer Sicherheit, die ihnen die Gruppe bietet. Und sie müssen wissen, dass es erlaubt und gewünscht ist. Das ist die Ultra-Kurzfassung dessen, was wir seit 15 Jahren in unserer Arbeit zu erreichen versuchen.
Meetings, Jours Fixes, Abteilungs- und Bereichsleitertreffen sowie Gremien jeder Art sollen als Routinen Stabilität und Kontinuität in der Führungsarbeit sichern. Aber ist es nicht so, dass in der Realität der Meetingtourismus viele Führungskräfte „absorbiert“? Sie entfernen sich faktisch von der eigentlichen Arbeit …
Meetings haben eine Berechtigung für vielerlei Zwecke. Das Problem, das wir immer wieder beobachten ist, dass kaum ein Besprechungsablauf am Zweck des Zusammenkommens ausgerichtet ist. Wenn man das jedoch tut, und Nutzen, Dauer und Ablauf jeder Zusammenkunft in regelmäßigen Abständen hinterfragt und anpasst, dann können Besprechungen Spaß machen. Der Lackmus-Test für eine Besprechung ist: Hat meine Energie durch die Teilnahme an der Besprechung zu- oder abgenommen? Ist letzteres der Fall, sollte über eine Veränderung nachgedacht werden. Häufig ist dazu ein Blick „von außen“ hilfreich. Fragen Sie doch einfach einmal im Freundeskreis herum, wie Dinge in anderen Firmen gehandhabt werden. Inzwischen wird bereits viel ausprobiet. Und natürlich kennen auch wir zahlreiche Formate. Und gleichzeitig ist es wichtig, so viel wie möglich Entscheidungsverantwortung in die Hände geeigneter, einzelner Personen zu legen. Der gelungene Mix aus Vertrauen in die Entscheidung Einzelner, guter Kommunikation und wenigen, brilliant moderierten (!) Zusammenkünften ist eine Kunst, die zum Erfolg führt. Und zur Zufriedenheit in den Teams.
Sie waren 15 Jahre lang als Prokurist und Teil der Geschäftsleitung von Aldi Süd verantwortlich für das operative Geschäft – mit Positionen in Deutschland und den USA. Welche Erfahrungen konnten Sie für Ihre heutige Arbeit mitnehmen?
Meine kürzest mögliche Antwort: Gute und nachhaltig wirksame Führung findet über Beziehung, Klarheit, Verantwortungsübernahme und gegenseitige Wertschätzung statt.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führten Dr. Alexandra Hildebrandt und Christine Bergmair
Veranstaltungshinweis:
ORGANISATIONEN SICHTBAR MACHEN mit Markus Hecht: Teams, Kunden, neue Produkt- & Dienstleistungsideen oder die Besetzung neuer Positionen. All das lässt sich in systemischen Aufstellungen sichtbar machen. Pro Termin 3 Aufstellungen der Teilnehmenden. Anmeödung unter: https://www.i-tuepferl.de/veranstaltungen/
Freitag, 22. November | 13.00 – 17.30
Weiterführende Informationen:
Christine Bergmair: Zukunftssicheres Umsetzen von Entwicklung und Gesundheit im Kontext von SDG 11 am Beispielprojekt i-Tüpferl. In: Zukunft Stadt: Die globale und lokale Bedeutung von SDG 11. Wie die sozialökologische Transformation in Wirtschaft und Gesellschaft gelingen kann. Handlungsempfehlungen – Chancen – Entwicklungen. Hg. von Alexandra Hildebrandt, Matthias Krieger und Peter Bachmann. SpringerGabler. Berlin, Heidelberg 2025.
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