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S. Hermann & F. Richter/Pixabay

Nachhaltigkeit und Resilienz: Über das Verhalten in der Gefahr

Nachhaltigkeit kann zur Verhinderung künftiger Krisen entscheidend beitragen

Die Leopoldina, die nationale Akademie der Wissenschaften, mahnte in ihrer Stellungnahme vom 13. April 2020 unter der Überschrift „Weichen stellen für Nachhaltigkeit“, dass bestehende globale Herausforderungen wie Klima- und Artenschutz mit der Corona-Krise nicht verschwinden würden. „Der Virus wird sterben. Weniger sicher aber ist, dass die schlechten Gewohnheiten dieser Welt, ihre Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten, ihre Raffgier, ihre Maßlosigkeit mit ihm sterben werden.“ (Felwine Sarr) Deshalb sollten sich politische Maßnahmen „an den Prinzipen von ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit, Zukunftsverträglichkeit und Resilienzgewinnung orientieren“.

Auch die Beratungsgesellschaft McKinsey forderte zeitgleich, dass sich Unternehmen nun „widerstandsfähiger und nachhaltiger“ aufstellen müssten. Ein Blick über Deutschland hinaus zeigt, was das konkret bedeuten könnte: So sollen in Dänemark und Polen beispielsweise nur Unternehmen unterstützt werden, die keinen Sitz in Steueroasen haben. Amsterdam will ihre Post-Corona-Strategie am Nachhaltigkeitsmodell (Sustainability Doughnut) von Kate Raworth ausrichten. Damit werden neben dem Klimaschutz auch Themen wie soziale Gerechtigkeit, nachhaltige Bildung und faire Arbeitsbedingungen sowie soziales Engagement wieder mehr in den Fokus gerückt. Die aktuelle Krise belegt, wie wichtig es ist, verstärkt in den Ausbau resilienter Systeme zu investieren, um auch für künftige Herausforderungen besser gerüstet zu sein.

Zwei Drittel der Menschen in Deutschland sorgen sich sehr um den Zustand unseres Planeten und wünschen sich mehr Nachhaltigkeit.

Dieses Ergebnis zieht sich durch alle Altersgruppen hindurch. Das ergab die Trusted Brand Studie 2020, für die Reader‘s Digest zusammen mit dem Institut Dialego mehr als 4.000 Menschen über 18 Jahren befragt hat. Schwerpunkt waren die Themen Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit im Konsumverhalten.

Die wichtigsten Ergebnisse:

* Beim umweltfreundlichen Verhalten im Alltag stehen die Älteren den Jungen nicht nach. Vor allem Menschen über 60 kaufen häufiger regionale Produkte (73%) als Menschen zwischen 30 und 39 Jahren (55%) und Jüngere (51%).

* Jeder Fünfte hält das Thema Umweltschutz für überbewertet – über alle Altersgruppen hinweg.

* Jeder Vierte (24 Prozent) der unter 30-Jährigen sagt, dass er sich wenig um Umweltschutz kümmert. In der Bevölkerungsgruppe der 30- bis 59-Jährigen liegt dieser Anteil allerdings nur bei 15 Prozent. Bei den über 60-Jährigen sind es sogar nur noch rund zehn Prozent, denen der Umweltschutz nachrangig erscheint.

* Die Babyboomer sind im Alltag besonders umweltbewusst: Sie kaufen häufiger regionale Produkte (73 Prozent der über 60-Jährigen) als Menschen zwischen 30 und 39 Jahren (55 Prozent) und Jüngere (51 Prozent). Sie benutzen häufiger energiesparende Elektrogeräte (69 Prozent / 64 Prozent / 46 Prozent) und versuchen, im täglichen Leben Energie und Wasser zu sparen. Babyboomer kaufen möglichst Produkte mit wenig Verpackungsmüll (78 Prozent / 65 Prozent / 63 Prozent). Die Generationen Y und Z haben kein so eindeutiges Verhältnis zum eigenen Umgang für mehr Umweltfreundlichkeit.

Dazu ein Einschub: Viele Beispiele aus der Praxis bestätigen jedoch, dass sich gerade die junge Generation verstärkt für Klima- und Umweltschutz einsetzt und die Älteren häufig Mentoren sind. Ein Beispiel aus dem Nachhaltigkeitsbericht 2019/2020 der memo AG: Hier haben sich die Auszubildenden des Unternehmens damit unter anderem mit der Frage beschäftigt, welche Auswirkungen der Klimawandel im Allgemeinen und speziell auf die memo AG hat, welche Maßnahmen bereits aufgegriffen und welche zusätzlich ergriffen werden können. Innerhalb dieses Projekts besuchten sie auch das Klimahaus Bremerhaven, um sich dort umfangreich über Klima, Klimawandel und Wetter zu informieren. Zwei der Auszubildenden nahmen auch am „KlimaTörn“ teil: Während eines Segeltrainings auf der „Alexander von Humboldt II“ wurde ihnen aktuelles Nachhaltigkeitswissen vermittelt. Ihre Ergebnisse lieferten die jungen Kollegen anschließend in einer umfangreichen Präsentation. Um noch mehr junge Menschen für das Thema Nachhaltigkeit zu sensibilisieren, braucht es solche Projekte, die zusätzlich den gemeinschaftlichen Zusammenhalt fördern.

* Alle Generationen sind sich auch in der o. g. Studie darin einig, dass in der Umweltpolitik noch viel zu tun bleibt: Nur 14 Prozent beurteilen die aktuelle Umweltpolitik als (sehr) gut, jeder Zweite findet sie (überhaupt) nicht gut.

Viele Themen der Befragung werden auch im aktuellen Herausgeberband „Klimawandel in der Wirtschaft“ aufgegriffen und in unterschiedlichsten Kontexten reflektiert. Anhand von Generationenkonzepten, Unternehmens- und persönlichen Erfahrungsberichten und Praxisbeispielen wird dargestellt, dass die verschiedenen Generationen aufeinander angewiesen sind und gesellschaftliche Probleme nur gemeinsam gelöst werden können.

Bis zu vier Generationen bewegen sich aktuell im Arbeitsmarkt - jede ist durch ihre historisch eigenen Lebensumstände geprägt.

Konflikte entstehen meistens dadurch, dass sich Unternehmen zu wenig auf die Besonderheiten der Generationen einstellen. Die jüngere Generation tritt zu einer Zeit in den Arbeitsmarkt ein, in der die Heterogenität in Teams unweigerlich ansteigt. „Alternde Belegschaften und globale Arbeitsmärkte bedingen eine neue Vielfalt in der Arbeitswelt. Daran müssen sich Jugendliche und junge Erwachsene nicht gleichermaßen gewöhnen wie die Älteren, weil sie in einer deutlich heterogeneren Gesellschaft sozialisiert wurden. Eine der Chancen einer heterogenen Belegschaft liegt in dem Potenzial einer höheren Teamorientierung und Flexibilität. Dabei ist es wichtig, dass Unternehmen auch Brückenbauer aller Generationen werden“, schreibt der Unternehmer und Personalexperte Werner Neumüller in seinem Beitrag „Gutes Klima: Warum Unternehmen einen Kompetenzmix aller Generationen brauchen“.

Um die zukünftigen Herausforderungen noch besser zu bewältigen, muss seiner Meinung nach noch dynamischer über optimierte Aus- und Fortbildungsinhalte diskutiert werden. Zukünftig müssen zusätzlich zu fachlichen Qualifikationen auch persönliche und zwischenmenschliche Fähigkeiten vermittelt werden – sei es in Form von Fächern und Kursen zur „psychologischen Selbsthygiene“, in Diskussionsforen oder in Veranstaltungen zur Gruppenbildung und deren Dynamik. „Die Diskussion über unser Schulsystem und die Ausbildung von Charakter und Sozialverhalten bis hin zur Resilienz können eine große Dynamik entwickeln.“ Er kritisiert, dass Lehrjahre des inneren Wachstums in vielen Lebensentwürfen heute gar nicht mehr vorkommen: „Aufgrund der daraus mangelnden Lebenserfahrung scheitern immer mehr junge Menschen in Personal- und Einstellungsgesprächen an der persönlichen Eignung. Deshalb ist es wichtig, Eigenverantwortung und eine gewisse Grundhärte zu entwickeln, um auch in der Lage zu sein, Konflikte durchzustehen und Herausforderungen zu meistern – durch Resilienz.“

„… damit die Jugend eine Zukunft vor sich sehen könnte“: Zur Aktualität von Peter Suhrkamp

Es lohnt sich vor diesem Hintergrund, auch das Buch „Über das Verhalten in der Gefahr“ mit Essays, Kritiken, Aufsätzen und Tagebucheintragungen von Peter Suhrkamp zu lesen, die sich ebenfalls der psychischen Widerstandskraft in Krisenzeiten widmen. Es beschäftigt sich mit der Frage, wie der Geist auch in schwierigen Zeiten „heil, unentstellt, verläßlich, wach und gesund bleiben“ kann.

Der Suhrkamp Verlag feierte am 1. Juli sein 70jähriges Bestehen – ein naheliegender Grund, an seinen Gründer zu erinnern, aber auch dessen Texte auf der Folie der Gegenwart und im Kontext der Nachhaltigkeit zu lesen: Suhrkamp entstammte einer Bauernfamilie im oldenburgischen Kirchhatten, wo er 1891 geboren wurde. Den elterlichen Hof wollte er nicht übernehmen, obwohl er später immer die „Verbundenheit des Bauern mit der Erde und mit den Tieren“ betonte. Ihn zog es als jungen Mann ins kulturelle Leben Berlins, wo zuerst im S. Fischer Verlag und dann im eigenen Suhrkamp Verlag die Weichen für seine Verlegerkarriere gelegt wurden. 1932 bemerkte er, dass unter den verschiedenen Altersgenerationen keine selbstverständliche Ordnung steht: „die Generationen stehen nicht an dem Platz, wo sie stehen sollten, damit die Jugend eine Zukunft vor sich sehen könnte.“

Auch damals hatte die Welt ihre Ordnung verloren: „… niemand ist da, der sagt, was geschehen muß; niemand bestimmt mehr, was recht und gut ist; niemand achtet darauf, ob ich auch weiter komme; die Stirn, auf der alle Urteile über mein Leben standen, gibt es nicht mehr; ich kann zu niemandem gehen und mich verantworten“.

Dass sich die Nähe der Gefahr in bestimmten Zeichen ankündigt, „lange ehe die Gefahr selbst sich zeigt“, war ihm schon früh bewusst. Umso wichtiger war es ihm, eine erfüllende Aufgabe zu haben, „eine heilsame Hilfe“, sowie Vertrauen ins Leben. Wer das hat, wird sich in Gefahr richtig verhalten und hat Aussicht, sie klug zu meistern. Vom NS-Regime wurde er später gezwungen, den Verlagsnamen S. Fischer zu tilgen und das Unternehmen in Suhrkamp Verlag umzubenennen. Durch eine Denunziation wurde er verhaftet und in Konzentrationslager und Gefängnisse gesperrt. Die Frage, die ihm „der Augenblick“ nach Kriegsende stellte, war: „Wie kann ein neuer Sündenfall in Zukunft vermieden werden?“ Und: „Was muß ich jetzt tun?“ Nach Kriegsende erhielt er 1950 als erster Verleger die Lizenz zur Weiterführung des Unternehmens. Peter Suhrkamp starb 1959 – schwer gezeichnet von der Haft unter den Nationalsozialisten. Sein „Brief an einen Heimkehrer“ enthält die zeitlose Botschaft: „… um etwas Gutes zu schaffen, braucht man Zeit, Geduld, Nachbarn und Frieden.“

Weiterführende Literatur:

Peter Suhrkamp: Über das Verhalten in der Gefahr. Essays. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Raimund Fellinger und Jonathan Landgrebe. Suhrkamp Verlag, Berlin 2020.

Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2020.

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Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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