Nachhaltigkeitsbenchmarking für mittelständische Unternehmen
Interview mit Mila Galeitzke, Leiter des Informationszentrums Benchmarking, Geschäftsfeld Unternehmensmanagement Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik IPK
Mila Galeitzke ist Maschinenbauingenieur für erneuerbare Energien und seit acht Jahren wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik IPK. Der Schwerpunkt seiner forschenden Tätigkeit ist die nachhaltige Unternehmensentwicklung und im speziellen die Messung, Bewertung und Verbesserung der Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen. Als Leiter des Informationszentrums Benchmarking koordiniert er die Weiterentwicklung und Anwendung der Managementmethode.
Herr Galeitzke, bereits während Ihres Grundstudiums haben Sie sich intensiv mit den Themen Energiewende und internationale Gerechtigkeit auseinandergesetzt. Wann kam der Wunsch in Ihnen auf, Ihr Wissen in technischer Hinsicht zu vertiefen?
Als ich mich in meiner Bachelorarbeit mit dem Titel „Technologietransfer in der ökologischen Ökonomie“ noch mit den volkswirtschaftlichen und entwicklungskapazitären Problemen des Kyōto-Protokolls in Bezug auf erneuerbare Energien auseinandergesetzt habe. Während meines anschließenden Maschinenbaustudiums konnte ich meine theoretische und praktische Erfahrung bei der Entwicklung, Planung, Installation und Wartung von erneuerbaren Energieanlagen sowohl im Labor als auch während eines Auslandssemesters auf Sri Lanka ausbauen. Da mein Laborleiter seinerzeit immer vom Produktionstechnischen Zentrum in Berlin gesprochen hat, habe ich eines Tages spontan eine Initiativbewerbung geschrieben und arbeite seither am Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik, zunächst als Student und dann als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Hier konnte ich mein fachliches Interesse durch meine Masterarbeit und mein erstes Projekt weiter in Richtung nachhaltiger Produktionsprozesse schärfen.
Danach gab es inhaltlich einen Bruch. Welche Erfahrungen sind für Sie damit verbunden?
Ich war etwa drei Jahre hauptsächlich in Brasilien, um dort am Aufbau eines großen Forschungsnetzwerks mitzuwirken. Mit der Geburt meines Sohnes waren die vielen und langen Auslandsaufenthalte verständlicherweise vorbei. In der Leitungsfunktion des Informationszentrums Benchmarking konnte ich das Projekt „Nachhaltigkeitsbenchmarking für mittelständische Unternehmen“ gemeinsam mit dem Bundesverband Mittelständische Wirtschaft e.V. akquirieren und setze mich seit nunmehr fast drei Jahren mit der Frage auseinander, wie gerade kleine und mittlere Unternehmen nachhaltiger werden können.
Benchmarking hilft dabei, konsequent und zielorientiert nach neuen Ideen, Methoden, Verfahren und Prozessen außerhalb der eigenen Unternehmenswelt zu suchen. Wie unterstützen Sie mittelständische Unternehmen konkret?
Zunächst unterstützen wir Unternehmen dabei im Sinne eines Nachhaltigkeitsmanagements, sich mit ihren negativen (und positiven) Wirkungen auseinanderzusetzen und diese zielgerichtet zu verbessern. Durch die relative Leistungsbewertung anhand von ausgewählten Kennzahlen können die Unternehmen ihre Potenziale identifizieren. Denn, wenn andere Unternehmen der gleichen Branche in der Lage sind, ihre Produkte oder Dienstleistungen ökologisch verträglicher und unter besseren Arbeitsbedingungen zu erstellen, dann müsste dies doch im eigenen Unternehmen auch möglich sein. Im ersten Schritt haben wir verstärkt auf den Austausch zwischen den Unternehmen gesetzt. Hierbei hat sich gezeigt, dass der im Benchmarking übliche Best Practice-Transfer besonders beim Thema Nachhaltigkeit funktioniert. Zum einen kann die Machbarkeit von Maßnahmen zur nachhaltigen Gestaltung von Prozessen und Produkten bzw. Unternehmen anhand von Beispielen dargelegt werden – Besonders interessant waren natürlich diejenigen Maßnahmen, die sogar kurzfristig einen positiven finanziellen Beitrag für das Unternehmen leisten. Bisher konnten wir, abgesehen von Einzelfällen (insbesondere Kompensationsmaßnahmen), die Behauptung, nachhaltige Entwicklung sei mit Unternehmenserfolg nicht vereinbar, immer wieder widerlegen. Basierend auf den gesammelten Erfahrungen können mittlerweile auch konkrete Handlungsempfehlungen für die Unternehmen ausgesprochen werden. Dazu ist aber eine genauere Unternehmensanalyse notwendig, da es zu den betrachteten Bereichen natürlich kein alleiniges Allheilmittel gibt.
Welches Nachhaltigkeitsmodell liegt Ihrer Arbeit zugrunde?
Der Anspruch war es ein Modell zu nutzen, welches auf der einen Seite möglichst viele Aspekte der nachhaltigen Entwicklung abbildet, gleichzeitig aber auch Ziel- und Handlungsorientiert und vor allem für kleine und mittlere Unternehmen praktikabel ist. Eine einfache Sortierung von betrieblichen Kennzahlen in die drei Dimensionen (Ökonomie, Ökologie und Soziales) würde diesem Anspruch in vielerlei Hinsicht nicht gerecht werden. Ich hatte mich deshalb dazu entschieden, eine intensive Untersuchung existierender Indikatoren- und Kennzahlensysteme durchzuführen. Durch die dabei gesammelten Erkenntnisse entstand ein intergiertes Nachhaltigkeitsmodell, dass auf klare Definitionen der Ausgangspunkte „zukunftsfähiges Wirtschaften“, „ökologische Verträglichkeit“ und soziale Verantwortung“ setzt und in neun handlungsorientierten Themenfeldern die Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen greifbar machen soll. Beispiele für diese Handlungsfelder sind die (monetäre) Verteilungsgerechtigkeit, die Innovationsfähigkeit, Umwelt-, Klima- und Artenschutz, sowie die Weiterentwicklung der Mitarbeitenden.
Was sind die wichtigsten Ergebnisse des Projekts „Nachhaltigkeitsbenchmarking für mittelständische Unternehmen“? Wo gibt es noch Handlungsbedarf?
Das wichtigste Ergebnis für mich ist, dass ich mehrfach beobachten konnte und die Rückmeldung bekommen habe, dass die Analyseergebnisse dabei geholfen haben Unternehmen zu aktivieren und das Thema Nachhaltigkeit zum Teil durch das Projekt strategische Relevanz bekommen hat. Gleichzeitig haben wir auf Basis der Datenbasis, die wir im Projekt aufbauen konnten, auch ein Gefühl für das Potenzial, das vom Mittelstand ausgeht bekommen. Ich bin der festen Überzeugung, dass auf dem Weg in eine nachhaltige Zukunft den mittelständischen Unternehmen eine tragende Rolle zukommt – gleichzeitig bin ich beruhigt, da so viele Unternehmen schon heute ein ambitioniertes Engagement zeigen, dass weit über die Erfüllung gesetzlicher Auflagen hinausgeht. Den großen Handlungsbedarf sehe ich in der Unterstützung der Unternehmen. Ich hoffe natürlich, dass ich einen wesentlichen Beitrag für das Messen und Analyse der Nachhaltigkeitsleistung und damit Ziel- und Handlungsorientierung leisten konnte. Aber es muss auch auf anderen Ebenen noch mehr gefordert und gefördert werden.
Inwiefern können die Ergebnisse bei der Zieldefinition zur Erreichung der unternehmerischen Nachhaltigkeitsstrategie unterstützen?
Zuerst sei gesagt, dass wir auch mit Unternehmen arbeiten, die keinerlei Erfahrung in dieser Hinsicht haben (hatten). In diesen Fällen können die teils doch sehr ausführlichen Definitionen, Hinweise und Erklärungen, die ich für das Nachhaltigkeitsbenchmarking zusammengeführt und erarbeitet habe, die Unternehmen unterstützen die Thematik überhaupt erst zu erfassen. Ähnliches gilt für die Erfassung der benötigten Daten für die wir auch versucht haben soviel unterstützende Anleitung zu leisten wie möglich. Die Analyseergebnisse sind durch das zugrundeliegende Model ja bereits Ziel- und Handlungsorientiert und sollten so bereits eine klare Unterstützung bieten. Da die Unternehmen neben den absoluten Kennzahlenwerten (Nachhaltigkeitscontrolling) die relative Bewertung (Nachhaltigkeitsbenchmarking) in ihre Zieldefinition einfließen lassen, können hier tatsächliche Leistungssprünge erreicht werden – Die Ziele werden bei einigen Unternehmen deutlich angehoben, da sie einen Aufholbedarf identifizieren.
Sehen Sie auch großes Potenzial für die Nachhaltigkeitsberichterstattung?
Sehr großes sogar. Der Informationsmehrwert, der durch Nachhaltigkeitsbenchmarking geleistet werden könnte, ist enorm:
1. Die relative Betrachtung, also Effizienz- oder Intensitätsbetrachtung, hat bereits mehr Aussagekraft als absolute Kennzahlen.
2. Erst eine vergleichende Betrachtung kann eine Bewertung zulassen, ob diese Leistung nun gut oder eher schlecht ist. In vielen Nachhaltigkeitsberichten ist zu lesen „Wir sind ein kleiner Dienstleister und deswegen sind Treibhausgasemissionen etc. nicht relevant.“. Hier muss ich pauschal widersprechen und mich innerlich auch leider immer wieder ein wenig ärgern.
Welche Maßnahmen schlagen Sie zur Verbesserung der Nachhaltigkeitsleistung allgemein und in den spezifischen Handlungsfeldern vor?
Das ist nicht einfach zu pauschalisieren, sondern muss im jeweiligen Unternehmenskontext erarbeitet werden. Ich vertrete aber zwei zentrale Positionen, von denen ich ausgehe: Jedes Unternehmen hat enormes Handlungspotenzial und dadurch bedingt rate ich dazu, erst zu reduzieren, dann zu kompensieren. Gleichzeitig warne ich ganz gerne vor blinden Aktionismus, da ich es für sehr wichtig halte, dass auch die eigene Position, Situation und Werte des Unternehmens sowie indirekte Folgen der umzusetzenden Maßnahmen (inkl. Trade-Offs und Rebound-Effekten) bedacht werden müssen. Da ich mittlerweile aber eine beträchtliche Liste an möglichen Maßnahmen gesammelt habe, spielt die Verbindung zwischen Analyseergebnissen und vorgeschlagenen Maßnahmen aktuell im Rahmen meiner Promotion eine wichtiger werdende Rolle.
Vielen Dank für das Gespräch.