Neues Emissionsmodell: Probleme von CO2-Prognosen stark übertrieben?
Die Wahrheit über Emissionsprognosen
Mit dem Klimaabkommen von Paris haben sich die Staaten dieser Erde verpflichtet, den globalen Temperaturanstieg möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen. Dafür muss die Menschheit bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts ihre Treibhausgasemissionen auf null reduzieren. Um den Fortschritt im Blick zu behalten, berichten sie regelmäßig alle zwei Jahre darüber, wie viel CO2 und andere Treibhausgase sie ausstoßen und welche Maßnahmen sie setzen, um dem Ziel Net-Zero näherzukommen. In der Praxis sieht die Berechnung von Emissionen allerdings etwas anders aus als in der Theorie. Für diese Schätzungen sind je nach Land unterschiedliche Institutionen zuständig, die auch verschiedene Modelle verwenden. Deshalb haben Forschende der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) ein neues, umfassendes Modell für vergleichbare Projektionen sektoraler Emissionen entwickelt, mit dem auch die gemeldeten Zahlen verglichen werden können. Es belegt, dass die weltweiten Klimaziele ohne drastische Maßnahmen nicht mehr zu erreichen sind. Präsentiert wurde es kürzlich im Fachjournal Communications Earth & Environment: Ökonomische und demografische Kennzahlen helfen, realistische Projektionen für die Treibhausgasemissionen von 173 Staaten bis zum Jahr 2050 vorauszusagen – getrennt nach den Sektoren Energie, Industrie und Transport.
Werden diese Projektionen mit den gemeldeten Emissionszielen, ergeben sich einige Diskrepanzen, wenn die Daten des Modells mit den Emissionszahlen verglichen werden, die einige Staaten bei den UN-Klimakonferenzen kommunizieren: Schwellenländer prognostizieren ihre Emissionen für ein „Business as usual“-Szenario zumeist selbst und formulieren ihre geplanten Emissionseinsparungen in Relation dazu. Werden diese Zahlen mit dem Modell der Ökonomen verglichen, sind diese Prognosen für einige Länder „stark übertrieben“. Bei einigen (z.B. Indonesien, dem Iran oder der Türkei) übersteigen die prognostizierten Emissionen die Zahlen des Modells sogar um mehr als 50 Prozent. Die Emissionsprognosen werden vermutlich überschätzt, damit die geplanten Maßnahmen wirkungsvoller aussehen. Für ihre Berechnungen gingen die Ökonomen von einem „Middle of the Road“-Szenario aus: Hier entwickelt sich die Wirtschaft etwa so entwickelt wie bisher, und es finden keine radikalen technologischen oder politischen Umwälzungen statt.
Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick:
- In Entwicklungs- und Schwellenländern werden die Emissionen, angetrieben von starkem Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum, weiter ansteigen. Einige Industrieländer können ihre Emissionen allerdings reduzieren (vorrangig im Industrie- und Energiesektor). Im Transportsektor wird der Ausstoß von CO2 auch in entwickelten Volkswirtschaften weiter ansteigen. Im Spitzenfeld der Treibhausgas-Emittenten bewegt sich bis 2050 relativ wenig, sollte es nicht zu einem Bruch mit vergangenen Trends kommen: Wie bereits heute wird China (vor allem der Energie-Sektor) mit Abstand die meisten Treibhausgase verursachen. Indien wird deutlich aufholen (vor allem in den Sektoren Energie und Industrie), und im Jahr 2033 die USA als zweitgrößten Emittenten überholen.
- Um Bemühungen für Klimaneutralität zu verstärken, ist die Einrichtung einer wissenschaftlichen Watchdog-Organisation vorstellbar: Das Modell könnte Teil dieser Bemühungen sein. Derzeit geht es allerdings erst einmal darum, dass diese evidenzbasierten Ergebnisse von nationalen Entscheidungsträgern und supranationalen Organisationen an Bord genommen werden, um die bisherigen Prozesse kritisch in den Blick zu nehmen. Um auch in der Bevölkerung mehr Bewusstsein für diese Herausforderung zu schaffen, haben die Forscher mit dem World Data Lab kooperiert und die „World Emissions Clock“ entwickelt. Auf der Website www.worldemissions.io können sämtliche Daten nach Land und Sektor verglichen und zusätzlichen Szenarien mit anderen Annahmen gegenübergestellt werden.
- Ohne drastische Maßnahmen ist bis 2050 ein deutlicher Anstieg der weltweiten Treibhausgasemissionen zu erwarten. Die derzeitigen Bemühungen genügen bei weitem nicht, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Das globale Carbon Budget wäre für dieses Ziel bereits im Jahr 2030 erschöpft.
- Eine stärkere Elektrifizierung des Transportsektors ist ein wichtiger Baustein für den Weg zu Net-Zero – allerdings ist es wichtig, dass der Strom, mit dem E-Autos betankt werden, klimaneutraler produziert wird als bisher.
- Würden Länder wie Österreich oder Deutschland ihre Emissionen auf null bringen, würde es global gesehen nur einen marginalen Unterschied machen – dennoch können sie Vorbild sein, wenn es darum geht, Innovationen zu entwickeln, umzusetzen und ihre Verbreitung in anderen Ländern zu fördern. Die damit verbundenen Effekte können global gesehen eine bedeutende Wirkung haben.
Weiterführende Informationen:
Klimaneutralität in der Industrie. Aktuelle Entwicklungen – Praxisberichte – Handlungsempfehlungen. Hg. von Ulrike Böhm, Alexandra Hildebrandt, Stefanie Kästle. Springer Gabler Verlag, Heidelberg, Berlin 2023.
Wer schreibt hier?
Insider für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie