New Pay: Darum entscheiden meine Mitarbeiter selbst über ihr Gehalt
Kaum ein Thema beschäftigt uns im beruflichen Kontext so sehr wie der schnöde Mammon. Diesen Eindruck machen zumindest deutsche Medien: „So steigern Sie Ihr Gehalt: Bei diesen drei Anlässen sollten Sie mehr Gehalt fordern“ titelt vor wenigen Tagen das Handelsblatt, „So hoch ist das durchschnittliche Einkommen der Deutschen“ verrät der Merkur und Business Insider nennt „8 Jobs, bei denen ihr mehr verdient, als ein Arzt, für die ihr aber keinen Abschluss braucht“. Die Beispiele zeigen: Das Gehaltsthema ist allgegenwärtig, es schürt Hoffnungen, weckt Erwartungen, aber entzündet oft auch Neid. Geld entfacht Emotionen – positive wie negative.
Was heißt das nun genau für Unternehmen in einer neuen Arbeitswelt, die sich in den letzten Jahren – glücklicherweise – immer mehr nach den New-Work-Dogmen richten?
New Work bedingt New Pay
Wir arbeiten hierarchiefrei, dezentral und interdisziplinär. Wir jonglieren mit immer neuen Tools und setzen seit Jahren agile Frameworks ein, um Arbeit besser zu machen. Wir werfen Unternehmensstrukturen über den Haufen, die vorher fester saßen als der Mörtel zwischen Backsteinen. – Doch noch immer stecken viele Unternehmen in klassischen Gehaltsstrukturen fest. Wenn wir es wirklich mit Selbstorganisation und dem dahinterstehenden eigenverantwortlichen Arbeiten ernstmeinen, gibt es aus meiner Sicht nur eine Konsequenz: Wir müssen Gehaltsprozesse neu denken und Abstand davon nehmen, dass einzig der Chef (oft willkürlich) darüber entscheidet.
Faire Team-Entscheidung statt Tunnelblick
In meinem eigenen Unternehmen gilt zwar schon lange: Ask the team! – seit etwa zwei Jahren aber auch beim Gehalt. Und das kam so: Ich hatte es leid, Mitarbeiter bewerten zu müssen und über Gehälter zu richten. Aus zwei Gründen: Zum einen widerstrebt mir in einer agilen Umgebung der Grundgedanke „Chef bewertet Mitarbeiter“. So ist etwa ein kollektiver und partizipativer Prozess, der auf transparenten Bewertungskriterien beruht, meiner Meinung nach gerechter. Zum anderen sehe ich viele der Kolleginnen und Kollegen im Arbeitsalltag seltener, als es die unmittelbaren Kollegen vor Ort tun. Bei borisgloger consulting arbeiten die Mitarbeiter dezentral und in Teams – ob in Frankfurt, Berlin oder Wien. Das bedingt, dass die Teammitglieder sich gegenseitig im Arbeitsalltag erleben. Für mich ist also logisch: Als Chef halte ich mich raus, denn ich kann schlechter beurteilen, wie viel Gehalt für jeden Einzelnen gerechtfertigt ist, als diejenigen, die tagtäglich eng mit den Kollegen zusammenarbeiten.
Die Gehaltsgilde prüft nach objektiven Kriterien
Wie gestalten wir einen Gehaltsprozess im Sinne von New Pay? Zunächst: Es gibt kein Patentrezept. So unterschiedlich die Unternehmen und die Persönlichkeiten sind, so vielfältig sind auch die Möglichkeiten. In meinem eigenen Unternehmen riefen die Kollegen ohne mein Zutun und mit Starthilfe einer externen Beratung die Gehaltsgilde ins Leben: Zunächst passten sie im Rahmen einer Equal-Pay-Initiative die Gehälter der weiblichen Consultants an – hier waren nur minimale Änderungen notwendig, sodass der Prozess für ein weiterführendes Gesamtkonzept, basierend auf den Ideen und Wünschen der Mitarbeiter, genutzt werden konnte. 2017 startete die Gehaltsgilde dann zunächst mit Freiwilligen. Im weiteren Verlauf entstand gemeinsam mit der HR der heute etablierte Prozess – transparent, fair und nachvollziehbar.
Und so funktioniert es: Bei der Einschätzung der unterschiedlichen Leistungen unterstützen unsere Stellen- und Kompetenzprofile, auf deren Basis die Gilde insgesamt fünf Aspekte beurteilt. Dazu gehören beispielsweise die Auslastung, das Methoden-Know-how, die Führungs- beziehungsweise Prozesskompetenz und die Auseinandersetzung mit den Unternehmenswerten in der Praxis. Der zu beurteilende Mitarbeiter gibt auf Grundlage dieser Kriterien zudem eine Selbsteinschätzung ab. Um psychologische Verzerrungseffekte zu vermeiden, holen sich alle Mitarbeiter quartalsweise kontinuierliches Feedback von KollegInnen ihrer Wahl ein. Die Gehaltsgilde würdigt diese Einschätzungen und gleicht die objektiven Kriterien ab. Mit diesem Überblick über die zu beurteilenden KollegInnen werden alle in Relation zueinander von den Gildenmitgliedern geschätzt. Dies geschieht im Stile von Magic Estimation, einer aussagekräftigen Methode basierend auf Scrum. Zudem wenden wir die Merit Grid Matrix an, um ausgewogene Gehaltserhöhungen in allen Bereichen zu gewährleisten. Diese bildet die logische Verteilung der Gehälter je nach Leistungsverhalten und Stufe im Gehaltsband ab. Dabei gilt: Je höher jemand innerhalb des Gehaltsbandes seines Levels eingestuft ist, desto weniger kann sich das Gehalt erhöhen.
Was sind die Vorteile von New Pay?
Wozu sollen wir den ganzen Aufwand denn betreiben, fragen Sie sich? Reicht es nicht, wenn wir die klassischen Jahresziele abgleichen und auf dieser Basis entscheiden, wer mehr bekommt? Es gibt aus meiner Sicht mindestens drei gute Gründe, neue Gehaltsmodelle zu diskutieren:
1. Ein transparenter Gehaltsprozess wird oft als fair empfunden
Kollegen sprechen untereinander über ihr Gehalt. Angenommen, der junge Mitarbeiter, der erst seit zwei Jahren dabei ist, bekommt eine Gehaltserhöhung. Ein Kollege wartet bereits seit mehr als fünf Jahren darauf und stellt sich automatisch die Frage: Warum nicht ich? Ein Prozess, der Beurteilungskriterien transparent macht und zudem Mitarbeiterpartizipation fokussiert, verhindert ein solches Szenario.
2. Die Bewertung erfolgt anhand objektiver Leistungskriterien
Wie oft werden Gehälter im klassischen Prozess noch immer nach viel zu undurchsichtigen Kriterien vergeben? Das Gehalt ist in erster Linie eine Gegenleistung für die vom Mitarbeiter erbrachte Leistung. Jedoch – und das ist der Knackpunkt – ist das Gehaltsgefüge immer auch Ausdruck der Kultur eines Unternehmens. Wer innerlich schon gekündigt hat, wird sich mit der Aussicht auf mehr Gehalt wahrscheinlich nicht unbedingt mehr anstrengen. Gleichzeitig ist mehr Gehalt nur das i-Tüpfelchen für den Mitarbeiter, der für seinen Job brennt.
Transparente Vergütungssysteme mit für jeden einsehbaren Bewertungskriterien decken auf, wer mehr leistet und deshalb auch mehr Gehalt verdient. Ein Prozess wie die Gilde verhindert also, dass jemand eine Erhöhung einstreicht, die er nur durch geschicktes Verhandeln bekommen hätte. Umgekehrt wird immer die Gesamtleistung des Einzelnen berücksichtigt. Der letzte kleine Fehltritt oder nicht gewonnene Kunde fällt demnach nicht so sehr ins Gewicht – anders als bei einem klassischen Gehaltsgespräch, in dem sich der Chef noch sehr gut daran erinnert.
3. Hierarchiefreies Arbeiten und klassische Vergütungssysteme beißen sich
Einen der wichtigsten Gründe habe ich oben kurz erwähnt: Wer bei New Work A sagt, muss auch B sagen. In den vergangenen Jahren konnten viele traditionell geprägte Unternehmen zum Umdenken bewogen werden – sei es aus der Not heraus, der Schnelllebigkeit nicht mehr standzuhalten oder durch echtes Interesse am Neuen Arbeiten. Aber: Wer Hierarchien abschafft und auf Augenhöhe mit den Mitarbeitenden arbeitet, muss auch – in aller Konsequenz – die Rahmenbedingungen ändern. Das bedingt, dass immer mehr Unternehmen beispielsweise Boni für Einzelleistungen streichen und stattdessen auf Teamvergütungen setzen. Oder gleich völlig neue Gehaltsmodelle einführen, wie etwa die Deutsche Bahn oder jüngst ein Familienhotel in Österreich.
Zugegeben: Die Beschäftigung mit einem so emotionalen Thema birgt Stolperfallen. So wird das Streben nach gerechten Rahmenbedingungen oft von Missverständnissen begleitet und die Gefahr besteht, dass Mitarbeiter sich persönlich angegriffen fühlen. Umso wichtiger für nachvollziehbare Entscheidungen ist deshalb ein hohes Maß an Transparenz, Einbeziehung und Kommunikation. Dazu gehört auch, die finanziellen Möglichkeiten aufzuzeigen und relevante Unternehmenszahlen transparent zur Verfügung zu stellen.
Ich bin überzeugt: In den kommenden Jahren wird New Pay ein fester Bestandteil von New Work werden.
*Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit bezeichne ich Personengruppen in einer neutralen Form, wobei sowohl weibliche als auch männliche Personen gemeint sind.