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Die zwei Seiten der Textilbranche... - Pixabay

Nicht tragbar! Warum wir billig in der Textilbranche teuer bezahlen müssen

Wie nachhaltig ist die Modeindustrie sowohl in ökologischer als auch in sozialer Hinsicht? Darum muss sich die Textilindustrie sich ihrer unternehmerischen Verantwortung stellen!

Die moderne Textil- und Bekleidungsindustrie ist ein wichtiger Katalysator für Entwicklung und Industrialisierung. Jährlich werden mehr als hundert Milliarden Kleidungsstücke hergestellt (Umsatz: ca. 1,6 Billionen Euro). Durchschnittlich kauft jeder Deutsche etwa fünf Kleidungstücke im Monat und 60 im Jahr. Getragen wird sie aber nur noch halb so lang wie vor 15 Jahren. Früher gab es drei bis vier Kollektionen im Jahr (zu jeder Jahreszeit). Heute kommen fast wöchentlich neue Kollektion mit anderen Schnitten, Farben, Designs auf den Markt. Es wird allerdings nicht nur viel gekauft, sondern auch genauso viel weggeworfen. Jährlich landen etwa eine Million Tonnen Kleider in Containern. Mode wird zur Wegwerfware (Fast Fashion).

Die Textilbranche geht häufig auch mit unwürdigen Arbeitsbedingungen und enormen Umweltverschmutzungen einher. Die Bekleidungsindustrie ist ein enormer Ressourcenfresser und verursacht mehr Treibhausgase als alle internationalen Flüge und Schiffe zusammen. Der bedeutendste Textilrohstoff ist Baumwolle, doch nimmt der Anteil von Polyester zu. Die Kunstfaser wird aus Erdöl hergestellt, ist vergleichsweise billig - allerdings besonders klimaschädlich. Die CO2-Emissionen sind fast dreimal so hoch wie für Baumwolle (Quelle: Greenpeace). Bei jeder Wäsche brechen winzige Kunststoff-Fasern ab und werden als Mikroplastik-Partikel ins Wasser gespült. Drei Prozent des weltweit in den Meeren nachgewiesenen Mikroplastiks stammt aus synthetischer Bekleidung. Textiles Mikroplastik beeinflusst das natürliche Verhalten und die Fortpflanzungsfähigkeit von Meeresbewohnern und kann zu ihrem Tod führen. Während der ersten drei Waschgänge eines neuen Kleidungsstücks werden die meisten Mikropartikel freigesetzt.

Insbesondere in den 1990-er Jahren kam es zu Skandalen, die ein schlechtes Licht auf die Textilindustrie warfen und vermehrt zu Konfrontationen mit Nichtregierungsorganisationen führten, wie zum Beispiel durch die Kampagne für saubere Kleidung. Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) haben sich verstärkt darauf spezialisiert, Missstände in der Bekleidungsherstellung aufzudecken und diese publik zu machen. Nicht nur auf Kinderarbeit wird aufmerksam gemacht, sondern auch auf ökologische Problematiken im Produktionsprozess der Textil- und Bekleidungsindustrie, etwa durch den Einsatz von chemischen Färbemitteln oder den Einsatz von Pestiziden beim Baumwollanbau. Er ist nach Angaben des Umweltbundesamtes beispielsweise verantwortlich für die Austrocknung des Aralsees (früher der viertgrößte Binnensee der Erde). Auch werden sehr viele Spritzmittel eingesetzt: etwa 14 Prozent des weltweiten Insektizidmarktes und ca. 5 Prozent des Pestizidmarktes sind dem Baumwollanbau zuzuschreiben. Zudem werden für die Herstellung von einem Kilo Textil bis zu ein Kilo Chemikalien eingesetzt.

Ökologisch und fair produzierte Mode hat sich in den letzten Jahren zu einem ernst zu nehmenden Markt entwickelt. Während sich in Großbritannien, den USA oder Japan der Trend „Green and Ethical Fashion“ längst durchgesetzt hatte und ökologisch wie ethisch korrekte Kleidung gut erhältlich war, startete der Öko-Mode-Boom vor einigen Jahren auf dem deutschen Markt etwas zeitverzögert. Da sich Konsumenten heute verstärkt an der Slow-Fashion-Bewegung orientieren (Gegenstück zu Fast Fashion), wird dies auch Auswirkungen auch die Modebranche der Zukunft haben: Anstatt in kurzen Abständen neue, billige Kleidung zu kaufen, geht es darum, hochwertige Kleidung zu erstehen, die mit der richtigen Pflege lange halten und nicht nach einer Saison kaputt sind, ihre Form verlieren oder aus anderen Gründen entsorgt werden müssen.

Die Mehrheit der Deutschen ist der Meinung, dass Bekleidungsfirmen mehr Informationen über ihr Umweltengagement und Maßnahmen zur Senkung der Umweltbelastung zur Verfügung stellen sollten. Das ergab eine Umfrage vom Marktforschungsunternehmen Ipsos MORI. Die Stiftung Changing Markets und die Clean Clothes Campaign haben von dem Marktforschungsunternehmen Ipsos MORI eine entsprechende Umfrage, die im Januar 2019 vorgestellt wurde, in sieben Ländern (Vereinigtes Königreich, USA, Frankreich, Deutschland, Italien, Polen und Spanien) durchgeführt. Die Themen des Fragebogens bezogen sich unter anderem auf die Rechte und Entlohnung von Beschäftigten in der Bekleidungsproduktion, die Nutzung von Viskose im der Bekleidungsherstellung und nachhaltige Zertifizierungssysteme. Verbraucher im Alter zwischen 16 und 75 Jahren in wurden online befragt.

Die Umfrage ergab:

  • Die Mehrheit der deutschen Verbraucher ist skeptisch, wie nachhaltig die Modeindustrie sowohl in ökologischer als auch in sozialer Hinsicht agiert.

  • Zwei Drittel der Deutschen (66 Prozent) – ein größerer Anteil als in jedem anderen der insgesamt sechs untersuchten Kernmärkte der EU – wären bereit, mehr für Modemarken auszugeben, die den Beschäftigten in ihren Lieferketten gerechte Löhne zahlen.

  • Nur jeder sechste Bundesbürger (15 Prozent) glaubt, dass die Textilindustrie ihre Kunden über die Auswirkungen der Kleiderherstellung auf Mensch und Natur ausreichend informiert. Die Umfrage belegt, dass Verbraucher kein höheres Vertrauen in Luxusmarken im Vergleich zu Billiganbietern und Einzelhandelsketten haben.

  • Acht von zehn Deutschen (79 Prozent) sind der Ansicht, dass Bekleidungsfirmen mehr Informationen über ihr Umweltengagement und Maßnahmen zur Senkung der Umweltbelastung zur Verfügung stellen sollten.

  • Sieben von zehn (71 Prozent) finden, dass die Hersteller für das, was in ihren Lieferketten geschieht, verantwortlich sein sollten und dafür Sorge tragen müssen, dass Kleidung auf umweltfreundliche Weise hergestellt wird.

  • Fast drei Viertel der deutschen Bevölkerung (72 Prozent) sind der Ansicht, dass die Modeindustrie den Beschäftigten in ihren Lieferketten grundsätzlich Billiglöhne zahlt.

  • 66 Prozent (mehr als in jedem der anderen fünf untersuchten Kernmärkte der EU) wären bereit, zwischen zwei und fünf Prozent mehr für teurere Kleidungsstücke auszugeben, wenn die Hersteller den an der Produktion beteiligten Arbeitern gerechte Löhne zahlen würden.

  • Nur jeder sechste Bundesbürger (14 Prozent) hält die eigenen Angaben der Textilfirmen zum Thema Nachhaltigkeit für glaubwürdig.

  • Ein Viertel der Befragten geht davon aus, dass brancheninterne Selbstregulierung der effektivste Weg wäre, um von der Modeindustrie verursachte Umweltschäden zu minimieren.

  • Etwa 40 Prozent der deutschen Verbraucher geben an, keines der in der Umfrage genannten Unternehmen (Hugo Boss, Zalando und Lidl) mit nachhaltigen Lieferketten zu assoziieren.

Nachhaltige Mode wurde 2019 über 80 Prozent häufiger gesucht als noch im Vorjahr. Im internationalen Vergleich ist Deutschland auf dem dritten Platz. Um die relevantesten Marken und Produkte zu ermitteln, hat Lyst die Online-Nachfrage von fünf Millionen Shoppern für Modeartikel von über 12.000 Designern von 01.01.2018 bis 20.05.2018 und 01.01.2019 bis 20.05.2019 untersucht. Modebegeisterte Deutsche suchen im internationalen Vergleich online am dritthäufigsten nach nachhaltiger Mode. Nur Finnland (Platz eins) und Dänemark (Platz zwei) fragen diese noch häufiger nach. Von den 30 untersuchten Ländern interessieren sich Russland, Indien und Bulgarien am wenigsten für faire und umweltfreundliche Kleidung.

„Ökologische und faire Bekleidung ist kein Nischenprodukt mehr. Die Auswahl umwelt- und sozialverträglicher Textilien steigt stetig“, heißt es im Nachhaltigkeitsbericht 2019/2020 der memo AG. Die Textilien im Sortiment des Öko-Versandhändlers sind fast ausschließlich aus natürlichen Materialien wie Baumwolle oder Leinen gefertigt. Nahezu alle Produkte sind nach dem Global Organic Textile Standard (GOTS) zertifiziert und fair gehandelt. Viele Produkte besitzen zusätzlich entsprechende Labels von Organisationen wie Fairtrade oder der Fair Wear Foundation. Bei Outdoor- und Funktionstextilien setzen wird auf wenige zertifizierte Hersteller gesetzt.

Nachhaltige Mode bedeutet aber auch, Kleidung wieder zu wertzuschätzen, pfleglich damit umzugehen, sie zu reparieren und auch zu tauschen. Das Wiederverwenden von getragener Kleidung schont Ressourcen. Wer in Second-Hand-Läden kauft oder sich bei einem Kleidertausch beteiligt, spart Geld und schont die Umwelt. Gleiches gilt für das Reparieren von Kleidung. Da Mode per se nicht nachhaltig ist, wäre es am nachhaltigsten, Kleidung so lange wie möglich zu tragen.

Bündnis für nachhaltige Textilien

90 Prozent der in Deutschland verkauften Textilien sind aus China, der Türkei oder Bangladesch importiert. 2014 wurde, als Reaktion auf den Gebäudeeinsturz von Rana Plaza in Bangladesch, das Bündnis für nachhaltige Textilien gegründet. Das Bündnis für nachhaltige Textilien bündelt Synergien vieler Stakeholder entlang der Textillieferkette und verfolgt das Ziel, Produktion, Verarbeitung und Handel mit Textilien sozial und ökologisch nachhaltiger zu gestalten. Dies betrifft unter anderem die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Arbeitssicherheit, den Einsatz von Chemikalien und die Zertifizierung von Textilien. Mit dem Beitritt verpflichten sich die Mitglieder zu einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess, der von unabhängigen Dritten überprüft wird. Ein Großteil der Handelsunternehmen ist heute für soziale Aspekte in der Lieferkette sensibilisiert. Allerdings schwankt das Engagement zwischen der Einhaltung minimaler Anforderungen (z. B. Ausschluss von Kinder- und Zwangsarbeit) bis hin zur Aufstellung eigener Lieferantenkodizes mit höheren Mindestanforderungen und strengen Kontrollsystemen. Das Textilbündnis kann nur ein Erfolg werden, wenn dazu alle Partner aktiv ihren Beitrag leisten. Denn nur der Schulterschluss von Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Politik und Gewerkschaften macht es möglich, dass Nachhaltigkeit kein Lippenbekenntnis bleibt und relevante Themen wie eine faire Entlohnung in den Produktionsländern verantwortlich vorangetrieben wird.

Fairtrade Certified Cotton

Seit 2007 werden nicht nur Lebensmittel, sondern auch Textilien mit dem Informationszeichen Fairtrade ausgezeichnet. Es umfasst die Fairtrade-Standards für Baumwolle, die nur für Kleinbauernorganisationen und Vertragsbauern gelten. Sie sollen das Leben der Baumwoll-Bauernfamilien nachhaltig verbessern.

Fair Labor Association (FLA)

Initiative US-amerikanischer Colleges/Universitäten um unabhängige Kontrollen der Arbeitsbedingungen in der Produktion der angeschlossenen Handelsunternehmen aus der Textil- und Sportartikel-Branche.

Fair Wear Foundation (FWF)

Die Mitglieder dieser europäischen Multi-Stakeholder-Initiative zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie akzeptieren den „FWF-Code of Labor Practise“. FWF kontrolliert, zertifiziert und unterstützt seine Mitglieder in diesem Bereich. Die Initiative bietet ein Beschwerdesystem für Mitarbeiter in FWF-zertifizierten Produktionsstätten.

Global Organic Textile Standard (GOTS)

Der Global Organic Textile Standard (GOTS) wurde vom Internationalen Verband der Naturtextilwirtschaft (IVN) (Deutschland) zusammen mit der Soil Association (SA) (Großbritannien), der Organic Trade Association (OTA) (USA) und der Japan Organic Cotton Association (JOCA) (Japan) entwickelt. GOTS findet sich inzwischen nicht nur in den Regalen des Naturmodehandels, sondern auch im Sortiment großer Händler und Marken.

Grüner Knopf

Am 9. September 2019 stellte Entwicklungsminister Gerd Müller das neue staatliche Gütesiegel „Grüner Knopf“ für nachhaltige Bekleidung vor. Um das Zertifikat zu erhalten, müssen 26 soziale und ökologische Kriterien für das Produkt erfüllt werden. Außerdem müssen Unternehmen ihre Sorgfaltspflichten anhand von 20 Kriterien nachweisen. Zu den Produktkriterien gehören Recht und Entlohnung von Arbeitnehmerinnen, Kinder- und Zwangsarbeit, Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, Emissionen und Rückstände, Chemikalieneinsatz sowie Umweltauswirkungen. Grundlage für die Unternehmenskriterien sind laut BMZ die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen sowie sektorspezifische Ergänzungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Unabhängige Prüfer wie der TÜV sollen die Einhaltung der Kriterien überprüfen und die staatliche Deutsche Akkreditierungsstelle (DAkkS) glaubwürdige Prüfungen sicherstellen. Der „Grüne Knopf“ soll kontinuierlich weiterentwickelt werden. In der Einführungsphase deckt das Siegel die Konfektionierung und die Nassprozesse ab. In den Folgejahren soll es mit Hilfe eines unabhängigen Beirats auf weitere Produktionsstufen ausgeweitet werden, so das BMZ.

Internationaler Verband der Naturtextilwirtschaft (IVN)

Seit seiner Gründung im Jahr 1989 verfolgt der Verband als oberstes Ziel die Herstellung von Naturprodukten, die garantiert ökologisch produziert, schadstofffrei, qualitativ hochwertig und nicht zuletzt unter menschenwürdigen Bedingungen hergestellt sind.

Textiles Vertrauen

Das Siegel dokumentiert, dass die damit gekennzeichneten Artikel nach dem Öko-Tex® Standard 100 überprüft wurden. Das einheitliche Prüf- und Zertifizierungssystem der "Internationalen Gemeinschaft für Forschung und Prüfung auf dem Gebiet der Textilökologie" umfasst alle Verarbeitungsstufen für textile Roh-, Zwischen- und Endprodukte. Es steht seit 1992 für gesundheitlich unbedenkliche Textilprodukte aller Art.

Weiterführende Informationen:

  • Eva Lindner: Nachhaltige Mode: Diese Marken und Produkte sind in Deutschland am beliebtesten

  • Nicole Franken: Corporate Responsibility in the clothing industry. From a consumer’s perspective. oekom Verlag. München 2017.

  • Alexandra Hildebrandt: CSR-Check für Handelsunternehmen: Die wichtigsten Fragen und Antworten aus der Praxis für die Praxis. Amazon Media EU S.à r.l. 2017.

  • Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Gut zu wissen... wie es grüner geht: Die wichtigsten Tipps für ein bewusstes Leben von Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2016.

  • Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Gut in Mode: Wissenswertes über nachhaltige Bekleidung und Textilien. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.

Kommentare

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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