„Optimismus bleibt Pflicht“: Erich Kästners Appell an uns
Spuren in eine neue Welt
Viele Begriffe und Themen, die uns aktuell in Wirtschaft, Politik und Wissenschaft beschäftigen, wurden von Erich Kästner (1899-1974) literarisch so verarbeitet, dass sie schnell erfassbar, lehrreich und lebendig sind. Ich verweise darauf, weil auch Themen wie Nachhaltigkeit und grüne Transformation nur wirksam werden, wenn sie mit unserem Leben zu tun und eine Relevanz für uns haben. Viele von Kästners Publikationen wirken, als seien sie für die heutige Leserschaft geschrieben. Er wollte aufklären und verhindern, dass sich die Geschichte wiederholt. Dafür braucht es Bildung und Aufklärung, um in der Zukunft die "Fehlentwicklung ganzer Generationen" zu vermeiden. Die Rückschau auf ihn kann uns helfen, die Augen offen zu halten, aus dem eigenen Kontext hinauszusehen und den Blick aus der Vergangenheit ins Jetzt und die Zukunft zu richten. Die Wende gelingt nicht, wenn nur einzelne Symptome bekämpft werden. Dazu braucht es Veränderungsbereitschaft und Realitätssinn, der uns in die Lage versetzt, in Zusammenhängen zu denken („Kontextdenken“). Wir befinden uns heute in einer Übergangsphase, in der das Alte nicht mehr und das Neue noch nicht da ist. Vieles in der Alten Welt funktioniert nicht mehr, weil sie ihrem Ende zugeht. In der Neuen Welt geht vieles noch nicht, weil es entweder noch nicht vorhanden oder noch nicht reif genug ist (vgl. dazu die Publikationen von Fredmund Malik).
Das Komplizierte, in das früher eingegriffen werden konnte, ist heute dem Komplexen (in das wir nicht kontrollierend eingreifen können) gewichen. Hinzu kommt, dass die heutigen Probleme mit alten Denk- und Organisationsstrukturen nicht gelöst werden können. Neue Zeiten erfordern auch ein neues Denken. Dazu ein Beispiel, um das zu erhärten: Als der tschechische Schriftsteller und Politiker Václav Havel, der von 1993 bis 2003 Staatspräsident der Tschechischen Republik war, am 4. Juli 1994 den Freiheitsorden von Philadelphia entgegennahm, sagte er: „Gute Gründe sprechen dafür, dass die Moderne zu Ende gegangen ist. Viel weist darauf hin, dass wir durch eine Übergangszeit gehen, in der anscheinend etwas verschwindet und etwas anderes unter Schmerzen geboren wird. Es ist, als würde etwas zerbröckeln, vergehen und sich erschöpfen, während etwas anderes, noch Unbestimmtes, aus dem Schutt hervorginge.“ Im aktuellen Transformationsprozess nehmen der Umgang mit Komplexität und das ganzheitliche Denken deshalb einen bedeutenden Stellenwert ein. Um unsere Zeit zu verstehen und zu gestalten, braucht es deshalb:
• interdisziplinäre Bildung
• Identifikationsmöglichkeiten und Gestaltungsprozesse
• den richtigen Umgang mit Komplexität
• die Fähigkeit zur Problemlösung
• gemeinsame Visionen
• Vernetzung des Wissens.
Leider erleben wir heute eine ausgeprägte Spezialisierung und Fragmentierung sowie eine Aufspaltung des Wissens.
Eine entscheidende Frage ist deshalb, wie dem Zerfall der Wissenskultur entgegengewirkt werden kann. Vor allem sollte erklärt werden, wie aus der Fülle der verfügbaren Informationen die richtigen auswählt werden. Die Erforschung unserer Welt und die Einordnung der Erkenntnisse ist unter anderem die Aufgabe von Wissenschaft – auch hier geht es heute um das Meistern von Komplexität. Es ist kaum noch der Mangel an Informationen das Problem, sondern deren Auswahl und Bewertung. Das ist vor allem eine neue intellektuelle Aufgabe – auch für Unternehmen. In der Vergangenheit haben sich Unternehmen häufig damit zufriedengegeben, allgemeine Reputations- oder Klimarisiken einfach aufzulisten und pauschal zu bewerten. Im Komplexitätszeitalter braucht es für deren Bewältigung allerdings andere Ansätze, Strukturen und Steuerungsprozesse. Voraussetzung dafür ist die Erweiterung des Steuerungsinstrumentariums. Klimafragen und wirtschaftliches Denken wurden zudem lange getrennt oder als unversöhnliche Pole betrachtet. Zudem haben sich viele Unternehmen bislang meist nur mit dem klassischen Klimaschutz beschäftigt, bei dem es vor allem um die Einsparung von Treibhausgasemissionen durch Energie- und Materialeinsparungen geht. Doch Klimarisiken können für Unternehmen heute enorme Herausforderungen darstellen. Hinzu kommt noch ein Problem:
Lange sind Unternehmensbereiche wie ein geschlossener Kosmos gewesen, der in vergangenen Zeiten auch funktioniert hat - doch heute gilt das immer weniger.
Denn künftig wird sich der Wettbewerb für Unternehmen nicht mehr nur in altbekannten Analysen, Strukturen und Branchen bewegen, sondern sich zunehmend auch in offene Bereiche verlagern, wenn sie weiterhin nachhaltig profitabel sein und bleiben wollen. Der reine Fokus auf die eigenen Handlungsfelder verengt den Blick auf operative Verbesserungen in der gesamten Wertschöpfungskette. Die nachhaltige Transformation ist zudem ein kollektiver gesellschaftlicher Prozess, der immer lokal beginnt und alle Menschen einschließt. Für die Gestaltung der Zukunft benötigen wir auch neue Formen von „Entwicklungsenergie", die nur durch einen Kulturwandel erzeugt werden kann. Zu den damit verbundenen Kernbegriffen gehören Eigenverantwortung, Nachhaltigkeit, Kreativität, Initiative und vor allem: Zuversicht und Optimismus. Auch wenn Krisen, Kriege und Katastrophen die Zukunft wie einen hoffnungslosen Ort erscheinen lassen, so ist es wichtig, sich immer wieder bewusst zu machen, dass wir den Dingen nicht ausgeliefert sind, und dass wir ohne einen Gegenpol der Verbesserung nicht hoffen und nachhaltig handeln können. Wir können uns Pessimismus nicht leisten in einer Zeit, die auch heute vielfach gegen die Gesetze der Vernunft handelt.
Im Hintergrund sehen Sie dazu ein Bild der Illustratorin Ulrike Möltgen aus dem aktuellen Kästner-Buch „Das Märchen von der Vernunft“ (1948). Sie sehen hier die wichtigsten Staatshäupter und -oberhäupter der Erde, die von einem alten Mann gebeten werden, die Krisen und Nöte aus der Welt zu schaffen. Er trug ihnen folgenden Gedanken vor: „Hören Sie mir, bitte, zu. Sie sind es nicht mir, doch der Vernunft sind Sie's schuldig… Sie haben sich vorgenommen, Ihren Völkern Ruhe und Frieden zu sichern, und das kann zunächst und vernünftigerweise, so verschieden Ihre ökonomischen Ansichten auch sein mögen, nur bedeuten, daß Ihnen an der Zufriedenheit aller Erdbewohner gelegen ist." Er bat sie, aus den Finanzen ihrer Staaten, im Rahmen der jeweiligen Verfassung und geschlüsselt nach Vermögen, eine Billion Dollar zur Verfügung zu stellen: „Denn obwohl ich nicht glaube, daß die materiellen Dinge die höchsten irdischen Güter verkörpern, bin ich vernünftig genug, um einzusehen, daß der Frieden zwischen den Völkern zuerst von der äußeren Zufriedenheit der Menschen abhängt.“
Als Optimist nimmt er die negativen Seiten zwar zur Kenntnis, aber er weigert sich, sich diesen Seiten zu unterwerfen.
Er fragt sich, was er jetzt tun kann. Auch wir brauchen heute eine neue Form des Optimismus, die darin besteht, tatkräftig und nicht nur theoretisch die Dinge anzugehen – so wie es Kästner auch in seinem Roman „Fabian“ von 1931 beschreibt: Journalisten suchen eine Überschrift für eine Rede des Reichskanzlers – sie lautet: „Optimismus bleibt Pflicht“. Auf diese drei Worte verweist übrigens auch immer wieder Dr. Nicola Leibinger-Kammüller, Vorsitzende des Vorstands und Gesellschafterin des Maschinenbauunternehmens TRUMPF (die über Kästner promoviert hat). Auch der österreichisch-englische Philosoph Karl Popper, der als Hilfsarbeiter am Bau begann und eine Tischlerlehre absolvierte, distanzierte sich zeitlebens von vielen Intellektuellen, was ihm zuweilen den Ruf der Arroganz einbrachte. Doch er wollte die Welt nicht nur vom Schreibtisch aus kennenlernen. Im Jahr 2007 sagte er ebenfalls: „Optimismus ist Pflicht. Man muss sich auf die Dinge konzentrieren, die gemacht werden sollen und für die man verantwortlich ist.“
Auszug aus meiner am 16. April 2024 an der Hochschule Esslingen gehaltenen Rede: „'Die Welt zu verwandeln ist eure Pflicht!' Die nachhaltige Transformation als kollektiver gesellschaftlicher Prozess". Zum Auftakt der Nachhaltigkeitskampagne der Hochschule Esslingen luden das Klimaschutz- und Mobilitätsmanagement der Hochschule Esslingen zum Future Warm Up am Campus Esslingen-Stadtmitte ein.
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