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Rache schafft Unrecht: Warum wir ein Bewusstsein für das Gefühl von Kränkungen brauchen

Rache als komplexes und zerstörerisches Gefühl durchdringt unser Leben und steuert unser Verhalten. Sie gehört zu den Hauptthemen der Weltliteratur, der Epen, der griechischen Dramen und Science-Fiction-Geschichten, der Oper, der Kriminalromane und der Filmindustrie. Sie spielt aber auch eine wichtige Rolle in der Philosophie und Soziologie sowie den Religionen und der Politik. Rache ist mit Beziehungsdelikten und Verbrechen, Amok, Terror und Krieg verbunden. Sie kann Schicksale bestimmen und sich von Generation zu Generation fortpflanzen. Schon die indogermanische Wortwurzel „ureg“ („drängen, treiben, verfolgen, stoßen“) verweist auf das breite Spektrum der Rachemöglichkeiten. Häufig beginnt sie bei heimlicher Freude über das Unglück anderer und der Befriedigung durch die Niederlage eines Konkurrenten. Sie will Gerechtigkeit, schafft aber neues Unrecht. Nach Werken wie „Das Böse“ hat sich der österreichische Gerichtspsychiater und Therapeut Reinhard Haller des Themas angenommen und widmet sich dem unstillbaren Verlangen nach Vergeltung in all seinen Ausprägungen – von Schadenfreude bis Rachekrieg. Rache gehört für ihn zur Urausstattung unserer Gefühlswelt. Sie lässt sich nur entschärfen und bewältigen, wenn ihre Ursachen und Motive, ihre psychologischen Grundlagen und ihre verschiedenen Formen und ihre inneren und äußeren Wirkungen bekannt sind.

Es wird darin ein Gegenstück zur Dankbarkeit gesehen, die zwar ebenso durch eine „gebende Tat“ ausgelöst wird, aber in die gegenteilige Richtung gehe. Schon für den Philosophen Cicero war Dankbarkeit die wichtigste Haltung des Menschen und Voraussetzung für die „concordia“ (lat. „Eintracht“). Wo sie fehlt, wird die Menschlichkeit bedroht. Dankbare Menschen nehmen ihre positiven Möglichkeiten wahr. Einander zu vertrauen bedeutet, narzisstische Gewohnheiten abzulegen und über sich selbst hinauszugehen - „Hin-Gabe" im besten Wortsinn. Rache ist hingegen eine „negative Gabe, mit der auf eine negative Gabe“ geantwortet werde. Im Mittelpunkt der soziologischen Betrachtungsweise steht deshalb der Ausgleich.

Enttäuschtes Vertrauen, Demütigungen, Liebesentzug, Eifersucht und Narzissmus, Neid und Hass sowie versagte Positivzuwendung (fehlende Wertschätzung) sind entscheidende Triebfedern für Rache. Zu den sogenannten „bösen Gefühlen“ gehören für Haller auch Zorn und Wut, die spontane Rachehandlungen bedingen und den Racheimpuls gleichsam reflexartig auslösen. Zorn will zerstören und rächen und zielt auf Veränderung von Verhalten und Verhältnissen ab, die als unrichtig und ungerecht empfunden werden. Dagegen „führen Neid und Hass eher zu gut durchdachten, genau geplanten Racheaktionen.“ Eine Hauptursache für Rache sind allerdings Kränkungen, die oft unterschätzt werden, aber zu seelischen Verletzungen, tiefen Krisen und Konflikten führen. „Was kränkt, macht krank“, zitiert Haller die mittelalterliche Arztheilige Hildegard von Bingen. Aber auch schon Seneca schrieb: „Rache bedeutet das Eingeständnis einer Kränkung.“ Als besonders racheanfällig gelten nach Haller – der 2019 auch das Buch „Die Narzissmusfalle“ schrieb - narzisstische Menschen, deren ursprüngliche Verletzungen nicht ausheilen. Sie vernarben nur sehr dünn, so dass die Haut jederzeit wieder platzen kann.

Das Bewusstwerden des nochmals Erlebten heizt die Rachespirale nur noch stärker an (Retraumatisierungseffekt). „Die Zeit mag verstreichen, doch behält die Rache ihr Ziel im Auge. Sie hat ein langes Gedächtnis und kennt keine Verjährung. Geduldig wartet sie auf den Augenblick der Erfüllung“, schreibt der Soziologe und Essayist Wolfgang Sofsky. Wer eine zu dünne psychische Haut hat, empfindet jede winzige Berührung als schweren Schlag. Ist sie wiederum zu dick, hieße das, gefühlsarm zu sein, was ebenfalls zu Reaktionen wie Rache führen kann. Dies ist eng verbunden mit dem eigenen Selbstwertgefühl - wo die Selbstwertregulierung, eine der wichtigsten Steuerungskräfte des menschlichen Verhaltens, gestört ist, hat kann sich die Rache ungebremst ausbreiten. Deshalb ist es wichtig zu vermitteln, wie das Selbstwertgefühl gestärkt und das empfindlich getroffene Selbstvertrauen repariert werden kann, um das positive Selbstkonzept wiederherzustellen. Reinhard Haller zeigt auch, dass bei den meisten neurotischen Störungen das Selbstwertgefühl verletzt ist: „Es kann zu hoch sein wie bei Narzissten, zu niedrig wie bei neurotischen Menschen oder ausgeglichen wie bei selbstsicheren, emotional ausgeglichenen Individuen. Gutes Selbstwertgefühl ist meist assoziiert mit besserer Leistungsfähigkeit und höherer Lebenszufriedenheit.“

Für Haller sie ist nicht nur ein Gefühl, sondern auch ein Gedankengebilde und ein kognitiver Prozess. Wichtig sind deshalb das eigene Selbstbild und die persönliche Einstellung: „Sieht sich jemand als vom Leben benachteiligte, vom Schicksal vielfach gebeutelte, geschwächte und gebrochene Person, wird die Anfälligkeit gegenüber Kränkungen viel größer sein als bei Menschen, welche Belastungen und Schicksalsschläge als Herausforderungen sehen, sich selbst als stark und wehrhaft erleben und auf die eigenen Fähigkeiten vertrauen.“ Diese Menschen haben auch Wertschätzungskompetenz. Gegenspieler der Wertschätzung sind für Haller „Nichtbeachtung und Missachtung, demonstrierte Unzufriedenheit, Entwertung und Kränkung, Zynismus und Sarkasmus sowie das aggressive Schweigen.“ Wenn sie überhandnehmen, dann entwickelt sich in den Missachteten häufig das Bedürfnis nach Rache. Auch können narzisstische Menschen, die sämtliche Wertschätzung für das eigene Ich benötigen, davon nichts an andere weitergeben. Zu echter Wertschätzung sind nur souveräne, gelassene Menschen mit einem guten Selbstwertgefühl fähig. Sie sind achtsam und umsichtig, erleben sich aus sich selbst heraus als wertvoll und leiden nicht an einem Mangel an Bedeutsamkeit. Andere wertschätzen kann nur, wer genügend Selbstwert hat.

1. Machen Sie sich ihre Rachegefühle und -motive bewusst.

2. Bringen Sie Rachebedürfnisse zur Sprache.

3. Versuchen Sie, zu „mentalisieren“.

4. Nutzen Sie Rachefantasien.

5. Wandeln Sie Racheenergie in kreative Leistungen um.

6. Wenn es schon sein muss: Üben Sie sich in intelligenter Rache.

7. Streben Sie Gelassenheit durch Loslassen an.

8. Wechseln Sie die Perspektive.

9. Begeben Sie sich in die Position des Begnadigers.

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Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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