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Möwe im Kaiserpark Bad Ischl - © Dr. Alexandra Hildebrandt

Reisen zwischen Selbstfindung und Selbstdarstellung: Wo wir uns heute finden

Urlaub sollte heute mehr sein als die „Erlaubnis, sich zu entfernen“ (darauf wurde das Wort in alter Zeit spezialisiert), sondern etwas, das wieder zu uns hinführt im Sinne einer inneren Umkehr.

In einer beschleunigten Welt, die immer komplexer wird und unüberschaubare Wahl- und Entscheidungsfreiheiten bietet, suchen Menschen verstärkt nach dem guten Leben. Für einige ist „Slow“ das neue Motto, das dafür steht, es bewusst wahrzunehmen und in seiner Tiefe zu erleben. Neue Wirtschaftsmodelle, die auf nachhaltiges Wachstum setzen, sind damit ebenso verbunden wie gesundheitsorientierte Lebensstile.

Das größte Ziel sollte Gesundheit und intellektueller Reichtum sein. Damit verbunden war für ihn ein unerschöpflicher Vorrat an Ideen, der zu innerer Unabhängigkeit und zu einem „moralischen“ Leben führt. Nichts zu tun und nur zu „sein“ hatte für ihn nicht mit Zeitverschwendung zu tun, sondern mit Lebensgewinn. Diese Einstellung ist vielen Menschen heute fremd – sie müssen immer etwas tun. Sonst scheint ihnen die Zeit ungenutzt und vergeudet. Doch das Glück gehört nach Schopenhauer allen, die sich selbst genügen. Der wahre Lebensgenuss liegt dann nicht in der Ferne, sondern in der Nähe, nicht im Abschalten und Herunterfahren, sondern im Loslassen.

Das, was viele Menschen davon abhält, es zu erkennen, ist häufig die Jagd nach Anerkennung, Erfolg und unersättlichem Wachstum. Auch das digitale Leben gewinnt immer mehr Macht über uns. In Zukunft wird es vielleicht sogar bald mehr digitale Urlaube geben. Ermöglicht werden sie mit virtuellen Realitätsgeräten. Dazu gehört auch die Facebook-Oculus-Maske, mit der man dann überall sein kann. „Vielleicht wird es Virtual Holiday Places geben, wo man sich für eine Woche einchecken kann. Man spart den Flug, das Gepäck geht nicht verloren und die Strände sind immer so leer oder voll wie du willst“, schreibt Andre Wilkens in seinem Buch „Analog ist das neue Bio“. Darin fragt er, ob ein Urlaub ohne Smartphones, Tablets, Computer, Facebook, Twitter, ja vielleicht sogar ohne Kreditkarten möglich ist. Er plädiert für einen Versuch: „Mach Sachen, die man im Urlaub macht, Essen, Trinken, Schwimmen, Lesen, Spielen, Museen besuchen. Das geht alles wunderbar ohne Digital. Sogar Autofahren kann man mit analogen Landkarten.“

Fasziniert blicken noch heute viele Menschen auf das Leben der Kaiserin Elisabeth von Österreich, die am intriganten Verhalten ihrer Mitbewohner, an protokollarischen Zwänge, der Kontrolle durch ihren Hofstaat und das Eingekerkert-Sein in Einsamkeit sehr gelitten hat. Sie mied deshalb diese goldenen Käfige und wandte sich anderen „Wohnwelten“ zu. Ihr lagen stets wandelnde Sehnsuchtsorte am Herzen, an denen sie sich aufhalten konnte, um sie sich rastlos wandernd, reitend, reisend und zur See fahrend zu erschließen und sie unmittelbar danach wieder gegen neue Aufenthaltsorte auszutauschen. Vieles erinnert auch an die Unruhe unserer Welt heute, die oft ein hoffnungsfrohes Taumeln, Sehnen und Drängen, Treiben und Getriebensein ist. Wer das Buch „Wohnwelten“ von Alfons Schweiggert liest, findet am Beispiel von Elisabeth viele Motivierungen der Unruhe, die uns auch heute noch angehen, weil vieles auch mit uns zu tun hat. Manchmal ist es – um ihre Tragweite ermessen – wichtig, einen Schritt (in der Geschichte) zurückzutreten, um die Unruhe und ihre Fraglosigkeit zu verstehen. Das Wohnumfeld spielt dabei eine wichtige Rolle – denn davon hängt der Weg ab, der uns von uns selbst entfernt oder näherbringt.

Wer diese Frage beantworten will, muss sich in die Kindheit der Kaiserin begeben. Denn hier ist die Kulisse für Elisabeths gesamtes Leben bereits vorhanden: ein abgelegenes Schloss (Possenhofen), ein großes Gewässer (Starnberger See), viel freie Natur (im Park von Possenhofen), die Möglichkeit, sich frei zu bewegen und Ausritte (in die angrenzenden Ortschaften) zu unternehmen. Und demgegenüber die Beengtheit in der Stadt München mit eingeschränkten Freiheiten im väterlichen Palais, wo es nur einen Zirkus gibt mit der Möglichkeit zum Reiten sowie den Rückzug in den nahegelegenen herzoglichen Park und an die Isar.

Ja, kaum ist die Kindfrau Kaiserin geworden, erweitert sich ihre Wohnwelt, genauer gesagt, verengt sie sich: eine städtische Umgebung (Wien) mit mehreren Schlössern (Hofburg, Schloss Laxenburg, kaiserliche Villa Ischl und später die Hermesvilla), die aber infolge des rigiden Hofprotokolls und der strengen Etikette vor allem drastische Einengung und massive Irritation für sie bedeuten.

Nachdem Sie in rascher Folge - 1854, 1856 und 1858 - die Schwangerschaften und Geburten von drei Kindern mit dem sehnlichst erwarteten Thronfolger absolviert hatte, war sie von deren Erziehung überfordert, litt unter den ständigen Querelen mit der Schwiegermutter, den Intrigen der Hofkamarilla und war schließlich reif für die Insel. Sie entfloh dem ganzen Stress auf das ferne Sonnen-Eiland Madeira und begann ihr bisheriges Leben zu sortieren.

Mit ihrer Flucht aus der Stadt und den endlosen Reisen, auf denen nicht nur diverse Schlösser und Villen in anderen Ländern und auf Inseln zur vorübergehenden Wohnstatt wurden, sondern sich letztlich die ganze Welt zu ihrem Wohnraum weitete, entwickelte sie sich zur Reiseweltmeisterin und Reisen wurde ihr zu einer unverzichtbaren Überlebensform.

Sie floh vor Problemen jeder Art: vor Auseinandersetzungen, vor Krankheiten, vor seelischem Kummer, vor dem Tod. Sie schlich sich davon – oft fast unbemerkt. Sie flüchtete vor Feinden, aber auch vor Freunden, wollte sich nie erklären müssen, wollte nie die sein, die wieder im Stich gelassen und enttäuscht wird. Wollte nicht dasitzen, reglos, in Kummer versunken und ein Schatten werden, kaum greifbar.

Ja, selbst zunächst geliebte Behausungen wie Schloss Gödöllö, der nach eigenen Plänen errichtete Palast Achilleion auf Korfu und die Hermes-Villa in Lainz konnten sie auf Dauer nicht zufriedenstellen. Bei den Aufenthalten darin sprengte oft schon nach kurzer Zeit der Drang in die Ferne die Türen. Sie wurde zur Egomanin und fand an der eigenen Exzentrik, an der Abweichung von jeglicher Norm immer mehr Gefallen, litt aber zugleich darunter. Ständig war sie hin- und hergerissen zwischen Flucht und Sehnsucht, Fern- und Heimweh, Selbstfindung und Selbstdarstellung. Wie oft brach sie gehetzt auf? Floh vor Enttäuschungen, aus Verzweiflung, aus Trotz? Wusste, dass nur Ferne Erlösung bringen kann und Vergessen.

Nach ihrem 30. Lebensjahr verbot sie jegliche Photographie von sich, auch wenn bis zu ihrem 40. Lebensjahr noch einige, aber meist retuschiere Porträtfotos von ihr erschienen. Ab dem 45. Lebensjahr gab sie wegen rheumatischer Beschwerden das geliebte Reiten auf. Ab dem 52. Lebensjahr trug sie nach Rudolfs Tod nur mehr schwarze Kleidung und ab dem 58. Lebensjahr hatte sie mit ihrem Leben endgültig abgeschlossen. Rudolf hat nicht nur sich und seine Geliebte erschossen, sondern auch sie. Den Gnadenschuss erhielt sie von ihrer Lieblingstochter Marie Valerie, die ihr bei der Hochzeit entrissen wurde. Elisabeths Seele war nun tot, und der Körper nur noch zum Dahinvegetieren verurteilt. In den letzten Lebensjahren fand schließlich auch eine räumliche Entgrenzung statt.

Gegen Ende ihres Lebens fühlte sich die Kaiserin überall zu Hause und doch war sie nirgendwo daheim. Denn nie ist sie in sich selbst zu Hause und, so ein altes Sprichwort, „solang du in dir selber nicht zu Hause bist, bist du nirgendwo zu Haus.“ Elisabeth gelang es nicht, in sich zu ruhen. Sie nahm sich selbst fortwährend die Möglichkeit, dass dies gelingen könnte, indem sie ihren Körper gnadenlos kasteite und qualvollen Hungerkuren unterwarf. Sie missachtete die alte Regel: Man muss dem Körper etwas bieten, damit die Seele Lust hat, darin zu wohnen.

„Man soll nur solange als nötig in den Häusern seine Lebensstunden verbringen“, so Elisabeths Überzeugung. Es waren im Grunde also nicht Häuser, in denen sie sich am liebsten aufhielt, viel wohler fühlte sie sich außerhalb ihrer Unterkünfte unter freiem Himmel bei stundenlangen Gewaltmärschen in hohem Tempo über riesige Distanzen, gerne auch hinauf in die Berge, bei atemlosen Ausritten in weitläufigem Gelände. Nur die unbegrenzte Natur, der Blick von Berggipfeln in die Ferne und Überfahrten mit ihren Yachten über das sturmgepeitschte Meer, das sich in grenzenlose Weite öffnete, konnten sie noch kurzzeitig zufriedenstellen und ihre Seele für seltene Augenblicke einfangen, so dass sie diese wenigsten zeitweise ein bisschen in sich verspürte. Aber selbst ihre Seele hielt es schließlich nicht mehr in ihrem Körper aus.

Als sie der Tod durch einen Herzstich des Anarchisten Luigi Lucheni ereilte, der für sie ihr „Erlöser“ war, entwich aus ihr, wie sie dies kurz vor ihrem Tod selbst ahnte und sagte, das Leben „wie ein kleiner Vogel durch ein winziges Loch in ihrem Herzen“. Ihre letzten Worte, die sich auf ihr gesamtes Leben beziehen lassen, lauteten: „Was ist denn eigentlich geschehen?“ Auf diese Frage erhielt sie aber keine Antwort mehr.

Nein, im Gegenteil! Als Tote wurde sie in die verhasste Wiener Kerkerburg zurückgebracht, wo sie in der Hofburgkapelle aufgebahrt wurde. Die letzte Behausung war eine für die freiheitsliebende Kaiserin unvorstellbare Demütigung. Gewünscht hätte sie sich, dass ihre Asche ins weite Meer verstreut wird oder dass ihre sterblichen Überreste in einem Grab auf einer ihrer Inseln im Atlantik, am liebsten auf Korfu, die letzte Ruhe finden. Doch niemand erfüllte ihr einen dieser Wünsche. Stattdessen führte ihr letzter Weg hinunter in die Kaisergruft der Wiener Kapuzinerkirche, die in einem muffigen Kellergewölbe eingerichtet ist, wo sie seither in einem dreifachen Sarkophag eingesperrt ist. Doch wenigstens konnte ihre Seele vorher noch wie ein kleiner Vogel aus ihrem Körper in die Freiheit entfliehen.

Verse von Kaiserin Elisabeth von Österreich.:

"Eine Möwe bin ich von keinem Land,

Meine Heimat nenne ich keinen Strand,

Mich bindet nicht Ort und nicht Stelle,

Ich fliege von Welle zu Welle."...

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Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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