Reporterglück: Mit Mut, Mörtel und ohne Millionen
Das ist für mich ein Sinnbild für den immer neuen Spagat zwischen Hoffnung und Verzweiflung, den man auf jeder Filmproduktion turnt. Es ist der feste Glaube daran beziehungsweise der Wunsch, dass einem das Reporterglück wieder einmal hold ist, und es ist die Mahnung, nicht locker zu lassen, aufmerksam zu bleiben, die Spannung zu halten. Bis eben ein guter Film entsteht.
Die Antwort darauf versuche ich in den mittlerweile acht Filmen und zwei Büchern, die von solchen Menschen handeln, zu geben. Die Motivationen sind durchaus unterschiedlich. Das geht von der Flucht aus der Großstadt, die Suche nach Freiraum bis zur persönlichen Entscheidung, das eigene Leben komplett umzukrempeln. Mal ist es der Künstler, der aus einer Notsituation heraus einen neuen Ort für sich und seine Skulpturen sucht, mal ist es ein Fan des Spätbarocks, der ein Gebäude findet, das ihn zu sich ruft. Aber sie alle eint, dass sie verstehen, was es bedeutet, so ein altes Herrenhaus wieder mit Leben zu erfüllen – weil deren Geschichte damit weitergeschrieben wird. Und jede abgegriffene, ausgeleierte Türklinke, jede ausgetretene eichene Treppenstufe regt die Fantasie an und erzählt von einem Hausleben aus mehreren Jahrhunderten. Das Wissen darum und die Begeisterung dafür treibt sie außerdem an.
Das Spektrum reicht vom globetrottenden Unternehmer, der an die Sanierung eines Herrenhauses eher pragmatisch herangeht, bis zum detailverliebten Fummler, der sich nicht mit halbherzigen Lösungen zufriedengibt. Der eine hat Geld zur Verfügung, der andere nicht. Es sind Frauen und Männer, Paare oder Einzelkämpfer. Wollen mal sagen: Eine sehr bunte Gemeinde. Alle sehr liebenswert.
Was sie eint ist, dass sie allesamt starke Persönlichkeiten sind. Echte Charaktere – heutzutage eher selten geworden - die genau wissen, dass sie sich nur auf sich selbst verlassen können. Mit der Sanierung eines Herrenhauses starten alle einen völlig neuen Lebensabschnitt und sie wagen sich in ein Abenteuer, das vieles was sie vorher getan haben in den Schatten stellt. Vor diesen Projekten nicht einzuknicken und das als Lebensaufgabe anzusehen, verlangt Mut und Kraft. Wenn die wiederbelebten Gutshäuser dann auch noch Impulse kultureller oder gesellschaftlicher Art in die jeweiligen Dörfer geben können – dann sind sie wieder Leuchttürme geworden.
Das hat sich so ein bisschen entwickelt wie im Schneeballsystem. Eine befreundete TV-Produzentin las einen Artikel in einer Zeitschrift. Sie sprach mich an und sagte: Guck mal, das ist doch bei uns um die Ecke. Wir knüpften gemeinsam erste Kontakte auf einer Recherchetour. Irgendwann im November 2012 begannen wir mit dem Dreh in zwei Herrenhäusern, ohne richtig zu wissen, wie es weitergehen wird. Aber dann passierten diese magischen Dinge (siehe Antwort ganz oben), und das Reporterglück setzte ein. Andere Gutshaustretter tauchten auf, eins ergab das andere, und plötzlich sind zehn Jahre vorbei und eine Serie mit acht schönen Dokumentationen, die aufeinander aufbauen, ist entstanden.
Allerdings wäre es wohl nicht so weit gekommen, wären wir nicht ganz am allerersten Anfang auf Knut Splett-Henning und Christina von Ahlefeldt in Rensow gestoßen – seitdem sind die beiden unsere „Gutshausretterzentrale“.
Bauchgefühl und Zufall und die Kombination aus beidem spielen immer eine sehr große Rolle bei meiner Arbeit als Reporter und Dokumentarist. Wenn man sich nicht an vorgefertigten Plänen und Ideen festhält, sondern Zufälle, spontane Begegnungen und auch (auf den ersten Blick) unliebsame Zwischenfälle als Wink des Schicksals erkennen kann und ihnen folgt – kann man viel gewinnen.
Da geht es mir, wie ich glaube, genauso wie den meisten Fernsehzuschauern oder Buchlesern: Es ist das Schicksal von Philipp Kaszay und seiner Tochter Paula, der nach dem tragischen Verlust von Frau und später auch dem Sohn, mit eiserner Disziplin und viel Langmut ein riesiges Herrenhaus in Kobrow als seine neue Lebensaufgabe und Therapieobjekt annimmt. Er ist eine sehr stabile Persönlichkeit – wie man sie wirklich nur noch selten findet.
Die beiden haben die Chance erkannt, dass sie in einem Bundesland leben, das vieles hat, wonach sich großstadtmüde Menschen inzwischen sehnen. Und das gespickt ist mit halbverfallenen Gutsschlössern und Herrenhäusern, teilweise noch mit wertvollen Parkanlagen umgeben, die der Laie nicht mehr als solche erkennt. Sie sind Schatzsucher und haben die Erfahrung, dass sich auch in hässlichen Kästen und hinter öden Fassaden geschichtsträchtige Bausubstanz verbergen kann. Für Knut und Christina ist die Suche nach solchen Objekten und deren Entblätterung ein Riesenabenteuer – und auch das, was danach kommt: Ihre Forschungsarbeit zieht neue Gutshausinteressenten ins Land, die die ganze Szene weiter beleben. Die Familie der „Verrückten“ wird immer größer und die beiden sind immer mittendrin ...
Es sind die einzelnen Zutaten der Rezeptur: Starke sympathische Protagonisten, magische historische Orte, Riesen-Herausforderungen auf dem Bau, Geschichten von Erfolg und Verzweiflung. Und das alles ist eingebettet in die weite Landschaft Mecklenburg-Vorpommerns. So könnte ich mir es jedenfalls vorstellen ...
Das ging teilweise richtig an die Substanz: In Rensow mussten sie das Tafelsilber verkaufen und nutzten trotzdem den Leerstand für Reparaturen und kleine Umbauten. In Kobrow sah es ähnlich aus. Hart getroffen hat es die Gutshausretter von Dersentin, Sönke Johannsen und Adriana Acosta, die in Argentinien festhingen in einem mehrmonatigen Lockdown. Aber am Ende ist jede Krise wie ein Vergrößerungsglas: Die besonnenen Durchhaltetypen werden noch besonnener und halten noch mehr aus und entwickeln für sich eine Strategie da durchzukommen. Und die Ängstlichen werden noch ängstlicher und möglicherweise panischer als sie vorher sind. Wer ein Gutshaus in der mecklenburg-vorpommerschen Pampa saniert – den haut eine durch die Corona-Pandemie aufgeschreckte Gesellschaft nicht um.
Diese Entscheidung fällen Redaktion und Programmplanung jedes Jahr neu. Ich bin bereit …
Mit Neugier und Einfühlungsvermögen sucht und begleitet Steffen Schneider seit über dreißig Jahren Menschen, Orte und ihre Geschichten für verschiedene Fernsehformate. Er arbeitet zuweilen auch als Autor für den Hörfunk und als Kommentar- oder Synchronsprecher. Fernweh, Abenteuerlust und die Freude am Geschichtenerzählen sind sein Antrieb. Er war an 150 Featurefilmen und Fernsehreportagen maßgeblich beteiligt, schrieb ab 1987 Artikel für Rostocker Lokalzeitungen, ab 1990 für die Hamburger Morgenpost und etwas später für den STERN seine ersten Reportagen. Anfang der neunziger Jahre wechselte er ins Fernsehfach, arbeitete seitdem für NDR, MDR, arte, Discovery Channel, die ARD und das ZDF. Schwerpunkt seiner heutigen Tätigkeit sind die Sendereihen mareTV und Nordstory des NDR. Mittelpunkt seines Lebens ist seine Familie in Rostock.