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Richtig entscheiden: Bauchgefühl und Management

Nie wurde im Management so viel vom Bauchgefühl gesprochen wie heute

Auf die Frage, ob er den Sieg Donald Trumps so erwartet habe, antwortete der ehemalige BMW-Chef Harald Krüger damals in der Süddeutschen Zeitung: „Mein Bauchgefühl hatte mir schon vorher einen Tipp gegeben, so war es übrigens auch beim Brexit.“ 1982/83 lernte der Unternehmer Erich Sixt in einer kleinen Münchener Agentur den Werber Jean-Remy von Matt kennen und spürte das kreative Feuer in ihm. Für Werbung, sagte er vor einigen Jahren, dürfen keine großen Komitees gebildet werden, denn das geht auf jeden Fall schief. Das muss „aus dem Bauch heraus“ entschieden werden.

Bauchentscheidungen sind auch ein Forschungsgegenstand des Psychologen Gerd Gigerenzer, Direktor am Max-Planck-Institut in Berlin. Er trainierte Menschen darin, die richtigen Entscheidungen zu treffen und stellte fest, dass es Managern häufig schwerfällt, vor anderen Menschen zuzugeben, dass sie überhaupt ein Baugefühl haben. Denn wer sich mit seiner Offenheit einmal die Finger verbrannt hat, ist später sehr zurückhaltend. Er bestätigt, dass gerade bei komplexen Sachverhalten unsere Bauchentscheidungen deutlich besser als rationale Entscheidungen sind. Sie lassen sich sogar „trainieren", indem damit begonnen wird, mehr auf die eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu achten.

Bauchentscheidungen und gesunder Menschenverstand werden häufig gleichbedeutend verwendet. Führungskräfte, die auf ihn vertrauen, unterscheiden sich von anderen, die vorwiegend auf antrainierte Managementmethoden setzen, vor allem darin, dass sie ihre Arbeit um das entscheidende Maß persönlicher nehmen, intuitiv handeln und niemals mittelmäßig sind. Auch Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE, setzt häufig auf den gesunden Menschenverstand, um daraus abzuleiten, wie sich die Dinge entwickeln werden.

Die innere Stimme

In diesem Zusammenhang wird auch häufig von einer inneren Stimme gesprochen, die nach Gigerenzer eine Form von Intelligenz ist: Sie stellt als Bauchgefühl eine Orientierung in einer gemeinsamen Welt dar und unterstützt uns darin, den Instinkt dafür nicht zu verlieren, was richtig ist. Wenn sich etwas gut anfühlt, entsteht ein angenehmes Gefühl im Bauch oder in der Brust – dominieren jedoch Probleme oder Sorgen, krampft sich der Bauch zusammen.

Steve Jobs gab in einem Doktorandenseminar an der Stanford University, nachdem bei ihm Leberkrebs diagnostiziert worden war, folgenden Rat: „Lassen Sie nicht zu, dass Ihre innere Stimme in den Stimmen anderer untergeht. Und was am wichtigsten ist: Haben Sie den Mut, Ihrem Herzen und Ihrer Intuition zu folgen." Er setzte nicht auf systematische Analyse, sondern nur auf das Bauchgefühl: „Man muss auf etwas vertrauen - auf seinen Bauch, das Schicksal, das Leben, Karma oder was auch immer. Dieser Ansatz hat mich nie im Stich gelassen und alles, was in meinem Leben wichtig war, bewirkt." Es braucht heute beides gleichzeitig: die innere Stimme und einen flexiblen äußeren Rahmen, in dem sie gehört wird.

Zum Gefühl, das Richtige zu tun, gehört auch die Intuition. Sie kommt nicht einfach aus dem Nichts, sondern ist hart erarbeitet. Auch den Zufall, der nach Louis Pasteur „auf den vorbereiteten Geist“ trifft, kann ja nur nutzen, wer zuvor auf ihn zugearbeitet hat. Nach Gigerenzer ist Intuition ein unbewusstes Werkzeug zum Nachdenken. Um sich auf sie zu verlassen, ist es wichtig, sich zuvor mit dem Gegenstand der Entscheidung vertraut gemacht zu haben. In der Moralpsychologie kommt die Intuition immer vor dem logischen Denken. Kopf und Bauch, Logik und Irrationales gehören zusammen. Erst diese Verbindung sorgt dafür, unsere Urteilsfähigkeit zu schärfen, um heute klare Entscheidungen im Meer der Möglichkeiten treffen zu können: Ist der Verstand eingeschaltet, zeigt sich, ob die vom Bauch ausgesendeten Signale gut und richtig sind.

Wann wir treffsicher sind

Die Intuition muss heute Grundlage für Entscheidungen sein, fordert auch der österreichische Unternehmer, Expeditionsleiter und Coach Stefan Gatt, denn das Unbewusste greift auf „tausendmal mehr Informationen zurück, als sie der Kopf und damit die Ratio zur Verfügung haben“, weil wir unbewusst viel mehr Informationen wahrnehmen als auf bewusstem Wege. Wenn der Bauch – vor allem am Berg – dem Kopf widerspricht und ihm sagt: „Tu das nicht“, dann vertraut er immer seinem Bauchgefühl. Doch eine Garantie, dass man damit immer richtig liegt, gibt es nicht, weil Intuition auch sehr emotionsgeladen ist und deshalb nach Ansicht des Psychologen Prof. Henning Plessner fehleranfällig sein kann. Wenn man als Experte in Gebiete eindringt, in denen man kein Fachmann ist, kann es geschehen, dass sich fachliche Unerfahrenheit, Selbstüberschätzung und Begeisterung negativ auswirken.

Neuere Studien bestätigen, dass unsere Intuition nur in den Bereichen treffsicher ist, in denen wir über viel Erfahrung verfügen. Das zunehmende Tempo der Veränderung macht heute vieles unvorhersehbar, was uns nach neurowissenschaftlichen Forschungen mehr Angst bereitet als das „Negative", das wir uns „ausmalen" können und dadurch scheinbar mehr Kontrolle haben. Wenn es aber ums Unbekannte geht, sind wir oft hilflos, weil es uns an Wissen und Erfahrungen fehlt. Dadurch schwindet auch die Verlässlichkeit der Intuition als Mittel der Beurteilung.

In der Wirtschaftswelt hat Intuition schon lange einen festen Platz

Jack Welch, ehemaliger CEO von General Electric, sagte einmal: Gute Entscheidungen treffe man aus dem Bauch. Die Maxime des ehemaligen Skiläufers und Unternehmers Willy Bogner war: „Vertraue deinem Gefühl“. Eine Studie der Economist Intelligence Unit aus dem Jahr 2014 ergab, dass Intuition für Vorstände der wichtigste Ratgeber ist. Frank Thelen, Gründer und Investor („Die Höhle der Löwen“), sagte im Interview mit BRAND EINS, dass er seinen Job seit 20 Jahren macht und deshalb auf einem soliden Gerüst aufbauen kann: „Und man hat eine Nase, um den Mist zu riechen, und einen Bauch, um zu fühlen, ob es passt.“ Er steigt mit Intuition in Projekte ein und steigt mit Intuition wieder aus. Arianna Huffington, Mitbegründerin der Huffington Post, bezeichnet ihre Intuition als eine Stimmgabel, die uns in Harmonie hält. Man verliert allerdings den Zugang zu ihr, wenn man zu wenig schläft. Das ist nicht nur schlecht für die Konzentrationsfähigkeit und das Gedächtnis, sondern auch für die emotionale Intelligenz, das Selbstbewusstsein und unsere Empathiefähigkeit.

Der Umweltaktivist und Urheber der Gaia-Theorie, James Lovelock, plädiert in seinem Buch „Die Erde und ich“ nicht nur für einen bewussteren Umgang mit unserer Zukunft, sondern widmet sich auch der Intuition und ihrer Bedeutung für sein Leben: Zu Beginn seiner Karriere war er davon überzeugt, dass Wissenschaft alles sei. Im Lauf seines Lebens wurde ihm jedoch bewusst, was von Wissenschaftlern erwartet wird: Sie sollen der Inbegriff der Rationalität sein. Seine Denkweise ist aber vorwiegend nicht rational, sondern intuitiv. Erfindungen sind für ihn intuitive Antworten auf Bedürfnisse.

Das Gefühl, das Richtige zu tun

Intuition (lat. intuitio, etwas unmittelbar ansehen) führt zur Erkenntnis der Dinge, ohne dass man sich bewusst wird, „wie" sie erkannt werden, sie lässt sich rational nicht begründen. Laut Duden ist Intuition „das unmittelbare, nicht diskursive, nicht auf Reflexion beruhende Erkennen, erfassen eines Sachverhalts oder eines komplizierten Vorgangs“. Intuition ist also das Gefühl, das Richtige zu tun. „Die Intuition feiert ein Comeback“, hieß es bereits 2017 im manager magazin. Das romantische Unternehmen schafft nach Ansicht des Business-und Managementexperten Tim Leberecht Raum für Intuition, Kreativität und Mehrdeutigkeit. Es erlaubt Mitarbeitern und Führungskräften Entscheidungen auch „gegen besseres Datenwissen" (Finanzierung, Erlösoptimierung, Steigerung der Fallzahlen und Kostensenkung) zu treffen - nur aus dem Bauch heraus. Die „Herausforderung Karriere" hat bei den Business Romantikern mit der Suche nach neuen Perspektiven zu tun, den Wert unserer Intuition und Emotionen zu erkennen, „Konflikt und Reibung zu begrüßen und unsere eigene Menschlichkeit zu zelebrieren".

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Interview mit dem Unternehmer, Recruiting-Experten und Autor Werner Neumüller

Herr Neumüller, inwiefern unterstützt Sie das Bauchgefühl darin, den Instinkt dafür nicht zu verlieren, was richtig ist?

Verstand und Bauch sollten möglichst übereinstimmend sein, denn nur im Einklang können - meiner Meinung nach - richtige Entscheidungen getroffen werden. Ich versuche meine rationalen Entscheidungen mit dem Bauchgefühl zu überprüfen. Was sagen meine Emotionen? Allerdings verlasse ich mich nicht nur auf den Bauch. Ich versuche meistens, den Verstand über das Bauchgefühl zu verifizieren, also das emotionale Bestreben rational zu hinterfragen und zu überprüfen. Beides gelingt jedoch nicht immer … Wir sollten vielmehr auf unseren Bauch als emotionalen Teil der Intelligenz hören. Die emotionale Intelligenz ist nämlich viel tiefer verankert als unsere „angelernte“, teilweise antrainierte rationale Intelligenz, die uns evolutionär schon immer begleitet.

Welche Management- und Unternehmensentscheidungen haben Sie aus dem Bauch heraus getroffen?

Mich selbständig machen. Unternehmer werden. Mich verwirklichen. Frei sein in meinen Entscheidungen. Gerne mit den entsprechenden Konsequenzen. Das wollte ich schon immer. Alles in mir wollte es. Nur der Verstand sagte lange Zeit: „Achtung, tu es nicht …“ 2003 habe ich den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt – die beste und nachhaltigste Entscheidung in meinem Leben. Ich habe es nie bereut, auf meinen Bauch gehört zu haben und meinen Gefühlen in die Selbständigkeit gefolgt zu sein. Mein Gefühl wollte es, und mein Verstand hat es erfolgreich umgesetzt. Alles richtig gemacht!

Gab es Situationen, in denen Sie nicht auf Ihren Bauch gehört haben?

Bei der einen oder anderen Stellenbesetzung, die sich dann oft als falsch erwiesen hat.

Können Sie Ihr „Bauchgefühl“ beschreiben? Was macht es mit Ihnen?

Es macht mich unruhig oder beruhigt mich sehr, lässt mich nicht gut oder ganz selig schlafen, treibt mich um oder entspannt mich, verunsichert oder bestätigt mich, drängt mich oder hält mich zurück – je nach Übereinstimmung von Ratio und Emotion.

Weshalb braucht Bauchgefühl, um treffsicher zu sein, auch Erfahrungswissen?

Bauchgefühl alleine ist zu emotional. Wir können nicht nur immer Süßes essen, wenn uns danach ist – es ist ungesund. Am schönsten ist es, wenn wir mit einem guten Gewissen und Erfahrungen den Emotionen folgen - wenn Bauch, Erfahrungswissen und Verstand im Einklang sind.

Mit welchen anderen Begriffen verbinden Sie das Bauchgefühl?

Intuition und Emotion. Liebe und alles Wichtige geht ja bekanntlich auch durch den Magen oder schlägt uns auf diesen!

Kann jemand eine gute Führungskraft sein, wenn er nicht auf sein Bauchgefühl hört?

Durchaus, aber nur eine rein fachliche gute. Empathie fehlt dann vermutlich ...

Warum fällt es Managern häufig schwer, vor anderen Menschen zuzugeben, dass sie ein Baugefühl haben?

Auf den Bauch zu hören ist so gar nicht Teil einer industriellen oder elitären Hochschulausbildung … Dafür muss man frei und/oder zumindest unabhängig sein. Wer ist das heute in Zeiten des Shareholder Value? Nur wenige!

Weshalb wird in der Ausbildung angehender Führungskräfte kaum etwas über Intuition gelehrt, obwohl später bei unternehmerischen Entscheidungen Bauchentscheidungen dominieren? Was muss sich ändern?

Wie soll das gehen? Was sagen da die Professoren dazu, die fast ausnahmslos mit wissenschaftlichen Arbeiten promoviert und dann habilitiert haben? Wer soll das unterrichten? Welcher Professor? Dazu müssten die Menschen, die mit Emotionen oder Intuitionen Erfolg haben, in den Lehrbetrieb eintreten. Wer ist das? Unternehmer könnten es sein, die intuitiv manche Entscheidungen treffen müssen, Ärzte oder Geistliche. Doch was sagen die Betriebswirte dazu? Gut und richtig wäre es für mehr Fairness, Gerechtigkeit, Empathie, Nachhaltigkeit, das Leben und die Welt …

Lässt sich das Bauchgefühl trainieren?

Ja, einfach alle rationalen Entscheidungen emotional überprüfen und auch andersherum … Auch sollten die Auswirkungen und Ergebnisse der jeweiligen Entscheidungen beachtet werden. Und dann auch mal auf den Bauch hören!

Können Sie einige Maximen für den erfolgreichen Gebrauch des Bauchgefühls benennen?

• Bauch, Emotion und Verstand in Einklang bringen.

• Mit dem Bauch rationale Entscheidungen hinterfragen und überprüfen.

• Mit dem Verstand Emotionen überprüfen und kontrollieren.

• Bei emotionalen Themen mehr auf den Bauch vertrauen als beispielsweise bei Rechenaufgaben.

• Die Bauchgefühle auch mal rauslassen statt sie in sich rein zu fressen und sich z.B. bei Wut an geeigneter Stelle - z.B. über den Sport - abreagieren.

Weiterführende Informationen:

Der Unternehmer Erich Sixt über seinen Aufstieg zu einem der größten Autoverleihers Europas: „Geld muss man verachten“. In: DER SPIEGEL 25 (2016), S. 63-65.

Stefan Gatt: Survival-Handbuch Führung. Aus Extremsituationen für den Berufsalltag lernen. Carl Hanser Verlag München 2016, S. 59.

Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2020.

Tim Leberecht: Business-Romantiker. Von der Sehnsucht nach einem anderen Wirtschaftsleben. Droemer Verlag München 2015.

James Lovelock et al.: Die Erde und ich. Taschen GmbH, Köln 2016.

Werner Neumüller: Gutes Klima: Warum Unternehmen einen Kompetenzmix aller Generationen brauchen. In: Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.

Kommentare

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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