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Schmerzen der Geschichte: Wie sich Zahnkrankheit und Adipositas auf das Verhalten Ludwigs II. auswirkten

Bezogen auf seine eigene Person und deren Gesundheit vernachlässigte Ludwig II. jede Nachhaltigkeit geradezu sträflich und das wurde ihm letztlich auch zum Verhängnis.

Ursachen für seine hektische Bau-Sucht, seine Vereinsamung, seine intensiven Nachtaktivitäten, seine politischen Rückzugstendenzen und seine angebliche Geisteskrankheit werden viele genannt. Doch zwei besonders wichtige Ursachen werden seltsamerweise noch immer übersehen - und die heißen schlicht „Karies“ und „Adipositas“ und hängen aufs engste zusammen. Beide Ursachen entstanden durch Ludwigs Liebe für Süßigkeiten und ungesundes, übermäßiges Essen.

Alles begann bereits in der Kindheit, in der er auf väterliche Anordnung derart wenig zu essen bekam, dass er dankbar war, wenn ihm die Zimmermagd, die alte Liesi, des Öfteren heimlich Reste ihrer eigenen Mahlzeit zukommen ließ oder ihn unbemerkt mit Proviant versorgte, den sie in der Stadt gekauft hatte. Trost suchte und fand er vor allem auch in Süßigkeiten. Als er König geworden war, hatte dieser angeordnete Diätzwang der Kindheit ein Ende, und Ludwig konnte essen, was und so viel er wollte. Darunter waren vor allem auch Süßigkeiten und Süßspeisen en masse.

Auch er vernachlässigte eine regelmäßige Zahnpflege, und ebenso vermied er Zahnarztbesuche. Die Folge war, so dass er schon in jungen Jahren einige Vorderzähne verlor und mit den Jahren unter häufigen und grässlichen Zahnschmerzen litt, die er mit Chloral und anderen Mitteln zu betäuben suchte. Auf den Tisch kamen deshalb leicht zu kauende Speisen, die ihm weich zubereitet werden mussten. Die Folge war eine von gesundheitlichen Störungen begleitete Gewichtszunahme, und bald waren die Zahnlücken nicht mehr zu übersehen. Wegen Sprachstörungen und durch kariöse Zähne bedingten Mundgeruchs wurde die Menschenscheu des Königs gesteigert. Eiterherde an den Zähnen ließ er aus Furcht vor den Zahnärzten nicht behandeln, wodurch es zu Entzündungen im Körper kam.

Gab es keinen Ausweg mehr, frequentierte er schließlich doch Zahnärzte. Und diese stopften ihm dann ein mit Silbermünzspänen und flüssigem Quecksilber geknetetes Amalgam in den kariösen Zahn, das nach einiger Zeit meist herausfiel und von ihm verschluckt wurde. Zuletzt waren alle Backenzähne mit Amalgam verstopft, wie die von vielen Zeitgenossen beobachteten schwarzen Zahnstummel belegten. Schließlich veränderte die Amalgam- und Quecksilbervergiftung sein Wesen massiv und bewirkte Symptome wie Misstrauen, Menschenscheu, Aggressionsausbrüche Angestellten gegenüber, Schlafstörungen, Größenwahn und eine offensichtliche Bau-Sucht. Seine fortwährenden Betäubungsversuche mit Alkohol – spontan oft etliche Gläser Champagner auf einmal – lassen sich hierdurch erklären.

Ja natürlich, und manche fragten sich auch, ob Ludwig II. vielleicht deshalb auch nächtliche Ausfahrten unternahm, weil die kalte Nachtluft Kühlung und Linderung der quälenden Zahnschmerzen bewirkte. Jedenfalls ist nicht auszuschließen, dass sich auch die extreme Nachtaktivität des „Mondkönigs“ in seinen letzten Lebensjahren dadurch erklären lässt.

Natürlich, bekanntlich wurden ihm unter Chloroform-Narkose ein großer Teil seiner Zähne extrahiert und danach eine Teilprothese im Oberkiefer angefertigt, wodurch seine Artikulationsprobleme etwas gemildert wurden, die oft zu Missverständnissen mit seinen Dienern geführt hatten.

Ja, sogar seine politischen Aktivitäten könnten durch seine kranken Zähne und seine Adipositas negativ beeinflusst worden sein. Möglicherweise kam der sogenannte „Kaiserbrief“ Ludwigs II., den der preußische König Wilhelm zur Rechtfertigung der Reichsgründung sowie seiner Ernennung zum Kaiser benötigte, unter dem Einfluss von Schmerzmitteln und Rauschmitteln zustande. Graf Holnstein nervte den damals unter grässlichen Zahnschmerzen leidenden König nachweislich stundenlang derart massiv, dass dieser schließlich den von Bismarck vorformulierten Kaiserbrief abschrieb, nur um endlich seine Ruhe zu haben.

Das ist nicht auszuschließen. Vielleicht waren auch Zahnschmerzen oder der Anblick seiner schwarzen Zahnstummel ein Grund dafür, warum er sich weigerte, zur Eröffnung des Landtags zu erscheinen oder regelmäßig mit dem Ministerium zu konferieren. Auch sein zögerliches Verhalten, zu Beginn der Kriege 1866 und 1870 die Mobilmachung anzuordnen, könnte damit zusammenhängen.

Weil man ausschließlich den geistigen Zustand im Blick hatte und glaubte, dass des Königs Verhaltensauffälligkeiten ausschließlich Folgen einer Geisteskrankheit seien. Hätte Dr. Gudden in seinem Gutachten statt „Paranoia“ als Ursache „Massive Zahnerkrankung und Adipositas“ angegeben, hätte sich deshalb die Entmündigung des Königs kaum durchsetzen lassen. Doch viele der im Gutachten angeführten Besonderheiten wie Ängste, Schlafstörungen, Halluzinationen, motorische Auffälligkeiten, Aggressivität, Menschenscheu und Suizidabsichten lassen sich auch im Zusammenhang mit seinem körperlichen desolaten Zustand sehen. Bei der Obduktion nach Ludwigs Tod wurde festgestellt, dass der Oberkiefer fast zahnlos war und im Unterkiefer nur 6 lose Zähne – die beiden Eckzähne und die Frontzähne – vorhanden waren.

Das ist sicher eine interessante bisher allerdings vernachlässigte Sichtweise. Womöglich waren an des Königs Ende tatsächlich dessen „kranken Zähne“ und gesundheitsschädigende „Adipositas“ maßgeblich beteiligt und gehörten damit zur Gruppe seiner „Mörder“.

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Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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