So werden Entscheidungen schneller + besser
Zügige und zugleich gute Entscheidungen sind für jedes Unternehmen lebensnotwendig. Sie sind die Voraussetzung für den Erfolg. Wie Sie in turbulenten Zeiten die Entscheidungsgüte erhöhen und gleichzeitig die Entscheidungsgeschwindigkeit steigern, darum geht es in diesem Beitrag.
Das Delegieren von Entscheidungen „nach oben“, also in die nächsthöhere(n) Hierarchiestufe(n) im Unternehmen war zu Zeiten von Standardprozessen und Kontinuität allgemein üblich. Ist das Umfeld hingegen komplex und dynamisch, wird solches Vorgehen zum Flaschenhals einer Organisation. Vormarsch, Zukunftsfähigkeit, Kundenorientierung, individualisierte Dienstleistungen und hohes Tempo sind nur dort machbar, wo zwischen Entscheidung und Umsetzung möglichst wenig Zeit vergeht. So braucht eine neue Ära auch eine neue Entscheidungskultur. Im Führungsverständnis von heute geht es nicht länger darum, Entscheidungen vorzugeben, sondern darum,
gemeinsam getragene Entscheidungen herzustellen, und
operative Entscheidungen in die Teams zu verlagern.
Bei Spotify, dem größten Musik-Streaming-Dienst der Welt, sieht man das so: Ein guter Mitarbeiter trifft in 70 Prozent aller Fälle dieselben Entscheidungen wie sein Chef. In 20 Prozent fällt er bessere Entscheidungen, weil er näher dran ist und von einer Sache mehr Ahnung hat. In zehn Prozent der Fälle liegt er daneben. „Es macht keinen Sinn, kluge Köpfe einzustellen und ihnen dann zu sagen, was sie zu tun haben. Wir stellen kluge Köpfe ein, damit sie uns sagen, was wir tun können.“ Diese Aussage stammt von Steve Jobs. Viele Unternehmen sind jedoch von solchem Denken noch sehr weit entfernt. Erst wollen sie die besten Mitarbeiter und dann werden diese geführt, als ob sie keine eigenen Entscheidungen treffen könnten.
Weshalb übliche Entscheidungswege nicht mehr funktionieren
Führungskräfte müssen zwar vieles wissen und kennen, aber nicht alles können. Entscheidungen „kraft Amtes“ gehen an der Lebenswirklichkeit sehr oft vorbei. Und genauso kommt das beim Kunden auch an: reglementiert, zäh, uninspiriert, 08/15. Abgesehen von solchen Fällen, wo gesetzliche Vorschriften dies notwendig machen: Wieso braucht es selbst bei kleinsten Anlässen die Unterschrift von ein oder zwei Chefs? Die fachlichen Kompetenzen liegen heute vor allem bei den Spezialisten im Team. Wer die Tore schießt, sollte auch die dazu notwendigen Entscheidungen treffen. „Kompetenzen und Verantwortung zusammenführen“ nennt man dieses Prinzip.
Das Festhalten an tradierten Entscheidungswegen steht einem Erfolg heute sehr oft im Weg, denn:
In einer volatilen Wirtschaftswelt, in der sich ständig alles bewegt, sind viel mehr Entscheidungen zu treffen als früher. So kommt eine derartige Flut von Entscheidungsvorgängen auf die Manager zu, dass man sie selbst bei größtem Arbeitseinsatz nicht bewältigen kann. >>> Ergo: Alles dauert zu lange.
In einem komplexen Umfeld, in dem die Parameter ständig wechseln, sind Entscheidungen zu treffen, deren Tragweite man nicht mehr abschätzen kann. Zudem dauert eine adäquate Informationsbeschaffung immer länger. >>> Ergo: Es werden falsche Entscheidungen getroffen. Oder sie kommen zu spät.
Da, wo Entscheidungsstärke für eine Führungskraft maßgeblich ist, dürfen Entscheidungen, selbst wenn erforderlich, nicht ständig zurückgenommen oder überarbeitet werden, denn das würde als Schwäche ausgelegt. >>> Ergo: Nicht mehr passende Entscheidungen werden zu viel lange aufrechterhalten.
Schlechte oder falsche Entscheidungen werden von den kundennahen Mitarbeitern als erstes bemerkt. Weil es aber hierarchische Abhängigkeiten und Interessenskonflikte gibt (Gehalt, Beförderung, Urlaubsantrag), gelangen solche Hinweise nicht nach Oben. >>> Ergo: Falsches bleibt und schadet der Firma.
Neue Ideen, die der Markt dringend bräuchte (und die die Mitarbeiter ständig hätten), werden nicht nach oben getragen. Oder der Chef blockt sie ab, wobei er seine wahren Motive verschleiert. >>> Ergo: Innovationen finden nicht statt.
Neue Ideen werden gefiltert: Die Budgetsituation lässt sie nicht zu, sie sind „zu groß“, sie „passen nicht“, sie könnten das Wohlwohlen der Führungscrew kosten, sie sind politisch nicht durchsetzbar, sie scheitern an Abteilungsgrenzen. >>> Ergo: Es kommen die falschen Innovationen in den Markt.
In einer klassischen Abteilungsorganisation hat eine Führungskraft kaum Interesse daran, mehr als ihren eigenen Bereich zu optimieren. Denn sie hat bonifizierte Abteilungsziele, die eine Unterstützung anderer Bereiche unvorteilhaft machen. >>> Ergo: Man verfolgt Egoziele statt dem, was gut für die Firma wäre.
Entscheidungsstau führt zu immer mehr operativem Gehetze. So bleiben, im Tagesgeschäft gefangen, strategische Aufgaben schnell auf der Strecke. Zudem brauchen Entscheidungen derart lange, dass sie bereits überholt sind, wenn sie endlich getroffen werden. >>> Ergo: Die Firmenzukunft steht auf dem Spiel.
Es spricht also viel gegen Entscheidungen von oben in operativen Belangen. Und es gibt einen Ausweg aus diesem Dilemma: interdisziplinäre, sich selbst organisierende Teams. Dann werden die meisten Entscheidungen ganz genau dort getroffen, wo sie auch hingehören: Dort, wo die Fachleute sitzen, dort wo man ganz nah am Kunden ist, und dort, wo man beim kleinsten Hinweis auf Fehler sehr zügig nachsteuern kann.
Fast alle operativen Fragestellungen kann ein Team besser und vor allem auch schneller beantworten als ein Manager weit weg vom Schuss. Wer das Ohr ständig am Markt hat, hat zudem auch ein gutes Gespür dafür, was das nächste große Ding werden könnte.
Was strategische und operative Entscheidungen unterscheidet
Natürlich sind nicht alle Entscheidungen zu dezentralisieren. Strategische Entscheidungen haben weitreichende Konsequenzen und liegen außerhalb des Wissens oder der Verantwortung der operativen Teams. Dies betrifft die großen Zusammenhänge im Marktgeschehen, langfristige Perspektiven und ein Verständnis für Finanzimplikationen, die für die Steuerung erforderlich sind.
Demnach sollten manche Entscheidungen bei der Geschäftsführung zentralisiert sein. Solche Entscheidungen teilen fast immer zwei Merkmale:
Seltenheit (z. B. Expansionsvorhaben oder Fusionen) und
einen langfristigen Zeithorizont (z. B. die Wahl einer Technologie).
Die meisten Entscheidungen hingegen haben keine strategische sondern eine operative Bedeutung und sollten damit im jeweiligen Team getroffen werden. Merkmale dieser Art von Entscheidungen sind:
hohe Frequenz (z. B. Bestellung von Büromaterial) und
Dringlichkeit (z. B. Kundennotfälle).
Zudem müssen in einer hochdynamischen Außenwelt Entscheidungen jederzeit revidierbar sein. Wer in Richtung Selbstorganisation loslegen will, könnte genau hier beginnen. Eine Entscheidung, die Sie früher getroffen haben, wird auf den Prüfstand gestellt, und zwar so: „Wie Sie wissen, habe ich vor zwei Jahren in der Situation x so und so entschieden. Unter den damaligen Umständen war das wohl richtig, doch inzwischen haben sich die Dinge verändert. Meine damalige Entscheidung scheint mir heute nicht mehr ganz passend. Deshalb möchte ich von Ihnen erarbeiten lassen, wie wir das zukünftig besser machen können. Bitte treffen Sie diese Entscheidung gemeinsam, also ganz ohne mich, und setzen Sie diese dann um. Was wir damit erreichen wollen, ist … .“
Definieren Sie also das Ziel. Dann ziehen Sie sich zurück. „Ganz ohne mich“ bedeutet in diesem Fall: Weder mischen Sie sich in die Entscheidungsfindung ein noch bitten Sie das Team zum Rapport. Allerhöchstens fragen Sie bei Gelegenheit interessehalber, wie’s läuft. Lassen Sie die Leute erzählen – und nicht berichten. Erzählen ist auf Augenhöhe, berichten hingegen hierarchisch.
Ihre Leute können das nicht? Man muss üben, um zu brillieren
Natürlich wirft man niemanden ins kalte Wasser, der noch nicht schwimmen kann. Wählen Sie deshalb am Anfang Themen mit kleinem Risiko. Was ganz gewiss nicht passieren darf, das ahnen Sie schon: Sie fallen in die Chefrolle zurück und kippen eine Teamentscheidung „kraft Amtes“. Damit wäre alles verspielt! Haben Sie sich auf den Weg zur selbstorganisierten Entscheidungssteuerung gemacht, müssen Sie Entscheidungen aushalten können, die Sie anders getroffen hätten und Vorgehensweisen zulassen, die Sie nicht kontrollieren können. Denn gar nicht so selten finden die Mitarbeiter, wenn man sie lässt, effektivere Wege zum Ziel. Allerhöchstens erbitten Sie ein Vetorecht für den Fall, dass strategische Überlegungen dagegensprechen.
Rückfallpotenzial gibt es oft. „Aber Chef, wie soll ich das denn jetzt machen?“ Führungskräfte, die das neue Denken fördern und fordern, fallen auf solch gespielte Hilflosigkeit nicht herein. Schon vor Jahren hat sich der Managementberater William Oncken unter dem Begriff Monkey Management damit befasst. Worum es geht? Ein Mitarbeiter kommt mit seinem Anliegen zum Vorgesetzten, damit dieser für ihn eine Lösung findet. Schlau hat sich der „Affe“ herübergehangelt und beim Chef ein bequemes Plätzchen gefunden. Vergnügt tobt er mit all den anderen „Affen“ herum, die der Chef von den übrigen Mitarbeitern in Pflege genommen hat. Und die eigene Arbeit ruht.
Okay, natürlich dürfen die Mitarbeiter mit ihrem „Affen“ zum Chef kommen, doch sie müssen ihn am Ende auch wieder mitnehmen (Affe rein – Affe raus!). „Was würde denn aus Ihrer Sicht die Situation verbessern?“ ist eine erste kluge Frage, die der Chef in einem solchen Fall stellt. „Was würden Sie denn tun, wenn es Ihr Unternehmen wäre?“, ist eine zweite. „Wen aus dem Kollegenkreis könnten Sie denn konsultieren, bevor sie entscheiden?“, eine dritte.
Dennoch ist das Entscheiden nicht jedermanns Sache. Vor allem dann nicht, wenn der Chef bislang das Sagen hatte. Und nicht jeder will Verantwortung tragen. Zudem ist es bequem, sich als Mitarbeiter in der Opferhaltung zu suhlen. Man kann sich beschweren, statt etwas zu unternehmen, kann klagen und jammern, über andere herziehen und Dritten die Schuld an Miseren geben. Natürlich gibt es auch die blanke Angst vor dem Fehlermachen. Schauen Sie also individuell, was die Leute in Sachen Entscheidung vertragen und führen Sie sie sachte an mehr Verantwortung heran.
Wer mit Sanktionen rechnen muss, wird nie selbst den Kopf in die Schlinge legen. Und, ja leider: Manche Firmen gleichen Minenfeldern, bei denen jeder Fehltritt eine Explosion auslösen kann. Kein Wunder, dass die Leute nur die ausgetretenen Pfade gehen, Dienst nach Vorschrift favorisieren und sich vor Entscheidungen drücken. Bevor Entscheidungsprozesse also ins Team verlagert werden, muss man sich mit der internen Fehlerkultur und falschen Belohnungssystemen befassen.
Methoden, die das Entscheidungstempo maßgeblich erhöhen
Um Entscheidungen herbeizuführen gibt es viele Mittel und Wege. Zwei konventionelle sind der Mehrheitsentscheid und der Konsensentscheid. Beim Mehrheitsentscheid wird eine Entscheidung nach einem vorgegebenen Mehrheitsschlüssel getroffen. Bis zu 49 Prozent aller Stimmen werden dabei verlieren. Viel Unzufriedenheit kann so entstehen - und die Tragfähigkeit einer Entscheidung wird leicht unterminiert. Demgegenüber benötigt ein Konsensentscheid die ausdrückliche Zustimmung aller. Dem eilen oft lange Diskussionen voraus. Schließlich einigt man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Dies ist wohl der schlechteste aller Wege in neuen Zeiten. Wie man also zu schnelleren Entscheidungen kommt und zugleich deren Qualität steigert? Etwa so:
Der konsultative Einzelentscheid: Dies ist eine exzellente Methode, vor allem in zunehmend selbstorganisierten Kontexten. Ziel ist es, die Expertise Dritter in seine Entscheidung miteinzubeziehen. So kann zum Beispiel bestimmt werden, dass, bevor eine Entscheidung getroffen wird, immer mindestens zwei sachkundige (!) Personen befragt werden müssen - und nicht etwa bequeme Kollegen. Dabei kann es sich um Personen innerhalb oder außerhalb der Firma handeln. Die Verantwortung, wie am Ende entschieden wird, verbleibt allerdings bei der entscheidenden Person oder Gruppe. So umgeht man langwierige Abstimmungsrunden, verbessert die Entscheidungsgrundlage, erhöht die Handlungssicherheit und beschleunigt die Umsetzungsgeschwindigkeit.
Der Konsent-Entscheid: Mit dieser Methode können zähe Diskussionen oder wachsweiche Gruppenbeschlüsse vermieden werden. Nicht „Ja, ich stimme zu!“, sondern „Ich habe keinen schwerwiegenden, begründeten Einwand dagegen“, das ist ein Konsent-Entscheid. Es geht also nicht um ein Maximum an Zustimmung, sondern um eine Minimierung der Bedenken. Das heißt, man stützt sich auf Entscheidungen, die „gut genug“ sind, damit es zügig vorangeht. Dazu fragt man in etwa so: „Sieht jemand einen wichtigen Grund, weshalb dieser Vorschlag Schaden anrichten könnte?“ Zieht nun jemand die Veto-Karte ernster Bedenken, dann setzt man den Vorschlag nicht um. Am besten regen Sie an, damit gleich mal zu experimentieren - und zwar im Konsent-Format: „Lasst uns das doch mal einen Monat lang ausprobieren. Wenn es nicht funktioniert, schaffen wir es wieder ab. Hat jemand einen gravierenden Einwand dagegen?“
Die Elfer-Skala: Dies ist eine Methode, die statt ausufernder Diskussionen einen zügigen Entscheidungsprozess in einer Gruppe oder in Meetings sichert und für gemeinsam getragene Entscheidungen sorgt. Die einzelnen Schritte (in Anlehnung an Richard Graf): Zunächst wird das Thema vorgestellt, zu dem eine Entscheidung ansteht. Danach ist Zeit für Verständnisfragen. Hiernach wird den Teilnehmern eine erste Bewertungsfrage gestellt: „Auf dieser Skala von 0 bis 10: Wie wichtig und dringlich ist dieses Thema für das Projekt/unsere Bank?“ Jeder entscheidet verdeckt. Danach werden stellvertretend je zwei Meinungen aus dem niedrigen (0 bis 4) und dem hohen Bewertungsbereich (6 bis 10) gehört. Darauf folgt eine Minute der stillen Besinnung. Hiernach gibt es eine zweite verdeckte Bewertung: die gleiche Frage auf einer neuen Skala. Liegen alle Bewertungen zwischen sieben und zehn, ist das Thema angenommen. Liegt eine darunter, kann die Konsent-Frage helfen.
Ihre Mitarbeiter wollen gar nicht entscheiden? Oh doch, wenn die Rahmenbedingungen stimmen, dann schon. Einer Studie der Haufe-Gruppe zufolge möchten 84 Prozent der 11.880 Befragten mehr Einfluss auf Entscheidungen im Unternehmen haben. Die Gründe dafür:
77 Prozent sagen: Das steigert meine Motivation.
42 Prozent denken, dass Entscheidungen so verbessert werden könnten.
29 Prozent meinen, dass das Unternehmen dann erfolgreicher wäre.
Das Potenzial ist also enorm. Klären Sie deshalb gemeinsam, wer welche Entscheidungsbefugnisse erhält, nach welcher Methode jeweils entschieden wird und wo die jeweilige Umsetzungsverantwortlichkeit liegt. Am besten machen Sie alles an einem Board transparent, damit nichts versandet. Das kleinteilige Mikro-Management, das die eigentliche Arbeit der Führungscrew so sehr blockiert undZeitdruck erzeugt, wäre damit vom Tisch. Und Ergebnisse werden besser und schneller.
Das Buch zum Thema: Die Orbit-Organisation - In 9 Schritten zum Unternehmensmodell für die digitale Zukunft (Finalist beim International Book Award 2019)
Über die Autorin: Anne M. Schüller ist Managementdenker, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als führende Expertin für das Touchpoint Management und eine kundenfokussierte Unternehmensführung. Sie zählt zu den gefragtesten Rednern im deutschsprachigen Raum. 2015 wurde sie für ihr Lebenswerk in die Hall of Fame der German Speakers Association aufgenommen. Vom Business-Netzwerk LinkedIn wurde sie zur Top-Voice 2017/2018 und vom Business-Netzwerk XING zum XING-Spitzenwriter 2018 gekürt. Ihr aktuelles Buch „Die Orbit-Organisation“ wurde Finalist beim International Book Award 2019. Zudem wurde es mit dem BestBusinessBook Award ausgezeichnet. Zu ihrem Kundenkreis zählt die Elite der Wirtschaft. Ihr Touchpoint Institut bildet zertifizierte Touchpoint Manager sowie zertifizierte Orbit-Organisationsentwickler aus. Kontakt über: www.anneschueller.de