„The Great Resignation“ – Kündigung und Sinnsuche: Warum gerade jetzt?
The Great Resignation – ein Begriff, den der Psychologe Anthony Klotz geprägt hat – meint das Phänomen, das sich vor allem in den USA während der Coronapandemie beobachten ließ: Mehr Arbeitnehmer denn je kündigten freiwillig ihre Jobs.
Auch hierzulande wirkte Corona als Beschleuniger – nicht nur in Sachen Digitalisierung, sondern auch in puncto Unzufriedenheit mit dem Job und Wechselwilligkeit. Laut einer Studie von Forsa im Januar 2022 hat seit Beginn der Coronakrise vor zwei Jahren jeder zehnte Deutsche seinen Job gewechselt. Ein Viertel der Befragten gibt an, dass Corona die Entscheidung beeinflusst hat. Besonders auffällig dabei ist, dass jeder vierte Erwerbstätige gekündigt hat, ohne einen neuen Job in Aussicht zu haben.
Ein Viertel derjenigen, die über einen Jobwechsel nachgedacht haben, gab als Grund fehlende Sinnhaftigkeit an.
Auch in meiner Beratungstätigkeit von Fach- und Führungskräften, die sich selbstständig machen wollen, kann ich in den vergangenen Jahren ein gesteigertes Interesse beobachten – und das, obwohl die Krisen ja leider zurzeit nicht weniger werden.
Kündigung und Sinnsuche – ausgerechnet in Krisenzeiten?
Aber ist es denn nicht komplett verrückt, sich ausgerechnet jetzt beruflich zu verändern – womöglich sogar den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen?
Würde man nicht denken, dass in unsicheren Zeiten jeder an seinem sicheren Job festhält? Isoliert betrachtet wäre das wohl die vernünftige Reaktion. Doch hier wirkt sich eine andere Sache aus.
Die Sinnfrage wird laut
Krisen wie Corona oder Krieg rücken elementare Bedürfnisse und Werte stärker in den Fokus. Wenn Freiheit, Gesundheit oder gar das Leben in Gefahr sind, verschieben sich Prioritäten. Plötzlich erscheint unwichtig, was vorher wichtig war. Auf einmal wird einem bewusst, wie wertvoll das Leben ist.
Da verwundert es nicht, dass Menschen auch ihren Job hinterfragen, in dem sie den größten Teil ihrer Zeit verbringen. Bin ich hier glücklich? Will ich das noch? Macht das für mich Sinn?
Neue Möglichkeiten machen eine Veränderung greifbarer
Hinzu kommt, dass viele Menschen während der Pandemie neue Möglichkeiten entdeckten. Plötzlich zeigte sich, dass Arbeiten von zu Hause möglich ist. Viele machten die Erfahrung, dass sich das Homeoffice positiv auf ihr Leben auswirkte. Ein Zurück in die Firma wurde für manche unvorstellbar.
Veränderung beinhaltet immer ein gewisses Risiko. Die Ungewissheit und die dadurch verursachten Ängste sind der Preis, den wir in Kauf nehmen müssen. Doch auch jede Nicht-Entscheidung hat ihren Preis. Und im beschriebenen Szenario ist der Preis der Veränderung kleiner geworden. Oft kleiner als der des Bleibens.
Ist eine Kündigung in der Krise sinnvoll?
Vorweg: Ein neuer Job oder die Selbstständigkeit ist nicht immer die Lösung. Manchmal erscheint es am einfachsten, alles hinzuschmeißen und einfach abzuhauen. Doch auch wenn es so aussieht, als wäre der Job „schuld“ an der Unzufriedenheit und damit die Kündigung die ultimative Lösung, spielen meistens viele Faktoren zusammen.
Denn es gibt ja Ursachen, warum sich eine Situation so entwickelt hat. Und die liegen immer auch in uns selbst. Seine Identität kann man jedoch auch im neuen Job nicht einfach ablegen – die nimmt man mit. Deshalb ist es wichtig, auf Ursachensuche zu gehen, um herauszufinden, was einen wirklich unzufrieden macht und in welchem Szenario man diese Umstände abschaffen kann.
Diese fünf Fragen solltest du dir stellen
1. Was genau stört dich an deiner beruflichen Situation – und vor allem warum? Gib dich nicht mit der ersten Antwort zufrieden.
Beispiel:
„Was stört dich?“ – „Mein Chef.“
„Warum?“ – „Er übergeht mich. Er zeigt keine Wertschätzung.“
„Wie fühlst du dich dabei?“ – „Missachtet, ungerecht behandelt, kleingemacht.“
„Wie wirkt sich das auf dich aus?“ – „Ich bin unsicher. Mein Selbstwert schrumpft.“
2. Was würdest du brauchen, damit du dich besser fühlst?
Beispiel:
„Anerkennung und dass ich nach meiner Meinung gefragt werde.“
Vielleicht brauchst du aber auch mehr Zeit für dich, mehr Flexibilität oder mehr Entscheidungsspielraum. Vielleicht möchtest du eine spannendere Tätigkeit.
3. Was kannst du selbst verändern, das die Situation verbessern würde?
Da kommen wir in die Bereiche Persönlichkeit und Mindset.
Beispiel:
„Feedback proaktiv einfordern.“
„Mich weniger abhängig machen von der Bewertung anderer.“
4. Was GENAU muss sich an deinem Job ändern, das die Situation verbessert?
Beispiel:
„Ein anderer Chef!“
Oder mehr Flexibilität oder Entscheidungsspielraum. Oder eine spannendere Tätigkeit.
Überlege, was das konkret bedeutet und in welcher Konstellation du das erfüllt sähest.
Frage dich, ob das in deinem Unternehmen möglich ist.
Ob das überhaupt in einer Anstellung realistisch ist?
Oder vielleicht eher in einer Selbstständigkeit?
5. Was willst du generell? Was ist dir wichtig? Was ist für dich nicht verhandelbar?
Wenn du feststellst, dass du im aktuellen Job nicht weitermachen willst, dann ziehe die Konsequenzen.
GERADE in der Krise gibt es viele Möglichkeiten. Arbeitgeber suchen händeringend nach Mitarbeitern und Unternehmen nach Experten. Sicher lässt sich das nicht pauschal auf alle Jobs übertragen. Deshalb ist es heutzutage unerlässlich, flexibel zu sein und vor allem bereit, zu lernen. Wenn du auf deinem Wissen und deiner Position beharrst, wird es vielleicht schwierig.
Überstürze nichts, denn aus einer ungekündigten Position heraus bewirbt es sich entspannter als unter Druck. Bevor du eine impulsive Entscheidung triffst, sprich mit Menschen, die tun, was du dir auch für dich vorstellen könntest.
Auch eine Selbstständigkeit kann man erst einmal nebenbei angehen. Bis das Geschäftsmodell steht, solltest du, wenn möglich, noch in deinem Job bleiben.
Ob eine Kündigung Sinn macht, ist im Einzelfall zu betrachten. Doch wenn du die oben genannten Schritte gemacht und die Fragen beantwortet hast, bist du der Beantwortung dieser Frage schon wesentlich näher gekommen.
Die Krise darf aus meiner Sicht kein Grund sein, in einem Job zu bleiben, der dich unglücklich macht, und dich damit in eine persönliche Krise zu manövrieren. Jede Krise bringt auch Chancen. Allen voran, die Chance, dass sie einen zur Veränderung bewegt. Auch wenn das nicht immer angenehm ist, packe diese Gelegenheit beim Schopf.