Transparenz für den Status der THG-Neutralität: Was bedeutet die ISO 14068-1 für Unternehmen?
Die Internationale Standard Organisation (ISO) hat Ende 2023 die erste internationale Norm für die Zertifizierung treibhausgasneutraler Organisationen und Produkte veröffentlicht: die ISO 14068-1. Sie ist Teil der Normenfamilie zur Thematik Umwelt und Treibhausgase. Unter dem Titel „Climate change management – Transition to net zero“ soll sie ein ganzheitliches Treibhausgasmanagement unterstützen. Hierfür benennt die Norm vier zentrale Schritte:
- Bestimmung der Treibhausgasbilanz
- Erstellung eines Maßnahmenplans zur Erreichung der THG-Neutralität und schrittweise Umsetzung
- Kompensation der verbleibenden Emissionen
- Erstellung eines THG-Neutralitäts-Berichts.
Zum umstrittenen Prozess der Kompensation legt die Norm strenge Kriterien für die Kompensationszertifikate fest. Ziel ist es, Transparenz für den Status der THG-Neutralität zu schaffen und Greenwashing zu vermeiden. Die Norm richtet sich an Akteure, die Treibhausgasneutralität für eine Organisation oder ein Produkt erreichen wollen und sich dies zertifizieren lassen. Die Norm kann auf Unternehmen und auf Produkte angewendet werden und basiert damit auf den bekannten Normen ISO 14064-1 und ISO 14067 zur Ermittlung des Unternehmens- und Produkt-CO2-Fußabdruck. Die Norm zielt auf einen kontinuierlichen Prozess: Ermittlung der Treibhausgasbilanz, Umsetzen von Maßnahmen zur Reduktion, Kompensation und das Reporting auf einer regelmäßigen Basis.
Das Umweltbundesamt widmet sich in einem Factsheet der ISO 14068-1, die einen wichtigen Schritt für Unternehmen und den Klimaschutz darstellt.
In seinem Informationsblatt „Ein Standard für die Treibhausgasneutralität“ bewerten Experten des UBA den neu eingeführten Standard. Die wichtigsten Ergebnisse werden nachfolgend zusammengefasst.
Stärken:
- Im Kontext des CO2-Fußabdrucks spielt die Norm eine wichtige Rolle, da sie Richtlinien für die Quantifizierung, Überwachung und Berichterstattung von Treibhausgasemissionen (THG) bietet. Sie kann zu einem besseren Verständnis treibhausgasneutraler Organisationen und Produkten beitragen.
- Unternehmen und Produkte können zum ersten Mal eine offizielle Anerkennung ihrer Klimaneutralität erhalten, was sie in die Lage versetzt, den zunehmenden Anforderungen an den Klimaschutz in verschiedenen Märkten gerecht zu werden, ohne den Vorwurf von Greenwashing.
Schwächen:
- Die Norm lässt Aussagen zur Treibhausgasneutralität bei hohen fossilen CO2-Emissionen, mangelnder Umweltintegrität von Treibhausgas-Entnahmen sowie unvollständigem Ausschluss von Doppelzählungen zu. Unternehmen, die glaubwürdig mit Treibhausgasneutralität werben wollen, müssen deshalb mehr tun, als die Anforderungen der ISO 14068-1 zu erfüllen (konsequente Verringerung ihrer Treibhausgasemissionen im Einklang mit den internationalen Klimazielen, Verhinderung negativer Auswirkungen von Treibhausgasentnahmen).
- Die Norm verfolgt nicht die typische Highlevel-Struktur wie Z.B. die ISO 50001 für Energiemanagement. Sie kann nicht direkt in ein integriertes Managementsystem übertragen werden.
- In der Regel berechnen Unternehmen für den Kohlendioxid-Ausstoß ihres Betriebs oder ihrer Erzeugnisse und kompensieren ihn durch den Erwerb von CO2-Zertifikaten auf dem Kohlenstoffmarkt. Doch Umweltorganisationen und Konsumentenvereinigungen bemängeln häufig diese Methode als Greenwashing. Sie erheben Einspruch gegen solche Firmen und ziehen erfolgreich vor Gericht. Gerichte, die über Abmahnungen und Klagen von Treibhausgas-Neutralitätsaussagen zu entscheiden haben, sollten ihr Urteil nicht nur darauf stützen, ob die Anforderungen der ISO 14068-1 erfüllt werden.
Schlussfolgerungen für Unternehmen, Zertifizierer, Gerichte und politische Entscheidungsträger
- Zertifizierte Treibhausgasneutralität unterstützt den Klimaschutz effektiv erst dann, wenn Unternehmen über die Anforderungen der Norm hinausgehen und ihre Treibhausgasemissionen aktiv und fortlaufend reduzieren.
- Die EU und Deutschland sollten rechtliche Regelungen verabschieden, um missverständliche Aussagen zur Treibhausgasneutralität zu verbieten. Die kommende EU-Richtlinie zur Stärkung der Verbraucher (Empowering Consumers Directive) und die geplante EU-Richtlinie zu expliziten Umweltaussagen (Green Claims Directive) schaffen dazu den rechtlichen Rahmen. Auch die ISO sollte schnellstmöglich die Norm zur Treibhausgasneutralität überarbeiten und deren Schwächen beseitigen.
Weiterführende Informationen:
- Verbot für Greenwashing: Wie die Rechte von Verbrauchern jetzt gestärkt werden
- Nur grün gewaschen: Können Produkte oder Unternehmen wirklich „klimaneutral“ sein?
- Klimaneutralität in der Industrie. Aktuelle Entwicklungen – Praxisberichte – Handlungsempfehlungen. Hg. von Ulrike Böhm, Alexandra Hildebrandt, Stefanie Kästle. Springer Gabler Verlag, Heidelberg, Berlin 2023.
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