Überleben, Fühlen und Sein: Warum wir in der Nachhaltigkeitsdebatte vor allem das „Althirn“ benötigen
Nachhaltigkeit beginnt im Kopf
Als 2021 der Herausgeberband "Bauchgefühl im Management“ erschien, wurde es von der Nachhaltigkeitscommunity kaum zur Kenntnis genommen – es war vielen zu weit weg von den handfesten und sichtbaren Nachhaltigkeitsthemen. Eine Freude und Bestätigung des damaligen Ansatzes ist das Buch „Nachhaltigkeit beginnt im Kopf“ von Dr. Maria Hoffacker. Die Biologin, Theologin, Pädagogin und Expertin für Neurowissenschaften hat selbst über 20 Jahre Erfahrung in Sustainable Managment, Medien und Kommunikation. In ihrem Buch nimmt sie alle Themen auf, die ich über die Jahre einzeln kommunizieren musste, weil bestimmte Themen nicht ins Profil der üblichen Nachhaltigkeitsvermittlung passten. Gezeigt wird, dass es möglich ist, Transformationsprozesse strategisch und effektiv zum nachhaltigen Erfolg führen - wenn wir das Zusammenspiel von Kopf, Herz und Darm richtig nutzen. Diese drei Nervensysteme sind maßgeblich an unseren Entscheidungsprozessen beteiligt: Vom Gehirn aus führt der Vagusnerv in den Körper in den Darm und zum Herzen. Herz und Darm werden bereits im Mutterleib als erstes großes unabhängiges Nervensystem angelegt. In diesen Nervensystemen liegen somit unsere ersten und ältesten (unbewussten) Erfahrungen. Aktuelle wissenschaftliche Studien konnten nachweisen, dass die 1,5 kg Bakterien im menschlichen Darm wichtige Informationen an das Gehirn senden und Krankheiten (z.B. Alzheimer) vorbeugen können.
Ein wichtiger Aspekt des Buches ist auch das Bauchgefühl, das uns oft intuitiv zeigt, was richtig ist.
In diesem Zusammenhang zitiert Maria Hoffacker Albert Einstein: „Der intuitive Geist ist ein heiliges Geschenk und der rationale Verstand ein treuer Diener. Wir haben eine Gesellschaft erschaffen, die den Diener ehrt und das Geschenk vergessen hat“. Verstärkt auf die eigene Intuition auch im Unternehmenskontext zu hören ist entscheidend für die erfolgreiche Umsetzung neuer Vorhaben und neuer Herausforderungen. Vor allem im Nachhaltigkeitskontext, wo es um Regularien, Datensammlungen und -analysen und Reportings geht, braucht es auch emotionale Zugänge, weil das Thema Menschen ansonsten im Innersten nicht erreicht. Das menschliche Gehirn ist dreigeteilt: In der Großhirnrinde ist das bewusste Denken verankert (rationaler Verstand). Das „Limbische System“ ist für die Steuerung unserer Emotionen zuständig. Der dritte Bereich ist das Stammhirn (auch Reptilienhirn). Es ist die evolutionär älteste Region und regelt unsere Reflexe.
- Althirn: 45 Millionen Jahren alt, für das Überleben, Fühlen und Sein zuständig
- Neuhirn: 1,5 Millionen Jahre alt, für Denken, Reflektieren und Kontrollieren.
Hoffacker verweist darauf, dass wir in der Nachhaltigkeitsdiskussion das Althirn, wenn es ums Überleben geht, viel mehr benötigen. Leider wird diese Region nicht genügend geschätzt: „Wir leben allerdings noch im Zeitalter des rationalen Gehirns.“ Doch je bildlicher „unsere Gedanken aufgeladen sind, umso stärker werden auch die Nervenbahnen. Denn dann werden alle drei Gehirnteile involviert und können gemeinsam an einem Strang ziehen. Unser Gehirn denkt und fühlt in Bildern und überträgt dies auf unseren Körper“, sagt Hoffacker, die in ihrem Buch zeigt sie anhand ausgewählter Praxisbeispiele, wie sich das Gehirn entsprechend aktivieren lässt: Was sehen wir, wenn wir in einem neuen Job sind? Wie fühlt es sich an? Riechen oder schmecken wird dabei etwas? Schließlich heißt es doch auch „Immer der Nase nach“. Doch mit zunehmender audiovisueller Reizüberflutung scheinen viele ihrem eigenen Navigationssystem weniger zu vertrauen als ihrem Smartphone. Sie geben einen Teil der analogen Welt auf, indem der Geruchssinn für sie kaum eine Bedeutung hat.
Dabei ist er der älteste aller Sinne und ein unverzichtbares Navigationsinstrument, das uns dabei hilft, richtige Entscheidung (für die Zukunft) zu treffen. Spürt das Gehirn, dass bestimmte Nervenverbindungen besonders häufig in Anspruch genommen werden, werden diese ausgebaut und das Gelernte verfestigt. Es ist ein optimistischer Wegweiser zu uns selbst. Als soziale Wesen haben wir es in der Hand, nachhaltige Netzwerke zu flechten, uns auszutauschen und eine kollektive Intelligenz zu schaffen, um die aktuellen Herausforderungen zu meistern: „Wir können entscheiden, wie wir unsere Gehirne und unsere Spiegelneuronen füttern und mit welcher Einstellung und mit welchen Menschen wir an die Herausforderungen herangehen.“ (Maria Hoffacker)
Das Buch:
- Maria Hoffacker: Nachhaltigkeit beginnt im Kopf. Die Macht der Hirnforschung für die Unternehmenskultur nutzen. Haufe Group. Freiburg, München, Stuttgart 2024.
Weiterführende Informationen:
- Organe und Organigramme: Richtiges Management beginnt im Herzen
- Mit Körperwissen bessere Entscheidungen treffen
- Intuition im Kontext agiler Arbeitsweisen
- Intuition und Entscheidungsfindung: Worauf es ankommt
- Nachhaltige Netzwerke: Kulturelle Wendepunkte in der Klima- und Umweltkrise
- Der verschwundene Sinn: Warum wir verlernt haben, bewusst zu riechen
- Die Macht der Intuition: Wie Denkverzerrungen in Bewerbungsgesprächen verhindert werden können
- Bauchgefühl im Management. Die Rolle der Intuition in Wirtschaft, Gesellschaft und Sport. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. SpringerGabler Verlag 2021.
- Daniel Kahneman: Schnelles Denken, Langsames Denken. Aus dem amerikanischen Englisch von Thorsten Schmidt. Siedler Verlag, München 2012.
- Klimaneutralität in der Industrie. Aktuelle Entwicklungen – Praxisberichte – Handlungsempfehlungen. Hg. von Ulrike Böhm, Alexandra Hildebrandt, Stefanie Kästle. Springer Gabler Verlag, Heidelberg, Berlin 2023.
- Dorothea Metzen, Sebastian Ocklenburg: Die Psychologie und Neurowissenschaft der Klimakrise. Wie unser Gehirn auf Klimaveränderungen reagiert, Springer, Berlin 2023.
- Werner Neumüller: Die Grenzen der Rationalität. In: Bauchgefühl im Management. Die Rolle der Intuition in Wirtschaft, Gesellschaft und Sport. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. SpringerGabler Verlag 2021.
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