Dr. Alexandra Hildebrandt

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für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Überleben in der Krise: Warum wir die „Trotzmacht des Geistes“ brauchen

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Das Werk des Neurologen und Psychiaters Viktor Frankl (1905–1997) erhält in diesen Tagen des Krieges, der Angst und der eigenen Hilflosigkeit eine besondere Bedeutung. Die Freiheit des Willens, dass wir unsere innere Einstellung zu äußeren Bedingungen des Lebens immer frei wählen können, wurde zum zentralen Postulat seiner Logotherapie und Existenzanalyse. Das ermöglicht uns, den mentalen Reflex in uns zu aktivieren, den er „Trotzmacht des Geistes“ nannte. Dieser hat nichts mit dem Trotz zu tun, der oft umgangssprachlich gemeint ist, sondern ist eine höhere, zentrierte Kraft in uns, der wir uns überantworten können, und die uns die erforderlichen mentalen Ressourcen bereitstellt. Beharrlichkeit, Stärke und Willen geben Unterstützung darin, uns nicht von Ängsten lähmen zu lassen. Sich innerlich wieder aufzurichten, setzt voraus, dass es gelingt, sich auf ein Ziel in der Zukunft hin auszurichten. Seinen Patienten brachte Frankl das Nietzsche-Zitat „Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie“ näher. Ihr Warum und Wofür wurde gemeinsam mit ihnen erarbeitet und in ihre Zukunft „eingeschweißt“. Führten sie etwas Sinnvolles in der Zukunft an, hatten sie ihre Verzweiflung gemeistert. Wer aber nicht imstande ist, das Ende einer (provisorischen) Daseinsform abzusehen, ist auch nicht in der Lage, auf ein Ziel hin zu leben.

Wer sein Schicksal für besiegelt hält, ist auch nicht fähig, es zu besiegen.

In der Art und Weise, wie Menschen ihr Schicksal auf sich nehmen, „eröffnet sich auch noch in den schwierigsten Situationen und noch bis zur letzten Minute des Lebens eine Fülle von Möglichkeiten, das Leben sinnvoll zu gestalten.“ Frankl setzte eine prinzipielle Sinnhaftigkeit der Welt als gegeben voraus. Dieser Sinn sei für uns zwar nicht immer sofort sichtbar, aber in jeder Situation verborgen, mit der uns das Leben konfrontiert. Ihn zu entdecken und dem Leben auf diese Art zu antworten, sei unsere Verantwortung: „Leben heißt letztlich eben nichts anderes als Verantwortung tragen für die rechte Beantwortung der Lebensfragen, für die Erfüllung der Aufgaben, die jedem Einzelnen das Leben stellt, für die Forderung der Stunde.“ Seine Mutter wurde mit einem der letzten Todestransporte nach Auschwitz gebracht und in der Gaskammer ermordet, auch seine Schwiegermutter. Sein Bruder und dessen Frau kamen ebenfalls im KZ ums Leben. Seine Ehefrau Tilly war unmittelbar nach ihrer Befreiung aus dem Lager Bergen-Belsen gestorben. Frankl überlebte das KZ, wo sein gesamtes Trachten und Gefühlsleben auf eine einzige Aufgabe konzentriert war: die pure Lebenserhaltung. Geistige Fragen und höhere Interessen verblassten in dieser Situation, die er als „kultureller Winterschlag“ bezeichnete. Soweit es die Umstände zuließen, machte er den Lagerinsassen das „Warum“ ihres Lebens, ihr Lebensziel, bewusst, um so zu erreichen, dass sie auch dem furchtbaren „Wie“ des gegenwärtigen Daseins innerlich gewachsen waren und standhalten konnten. Auch dem Verleger Peter Suhrkamp (1891-1959) war es immer wichtig, Vertrauen ins Leben und eine erfüllende Aufgabe zu haben, „eine heilsame Hilfe“. Wer das hat, wird sich in Gefahr richtig verhalten und hat Aussicht, sie klug zu meistern. Durch eine Denunziation wurde er verhaftet und ebenfalls in Konzentrationslager und Gefängnisse gesperrt.

Wer sich einer Aufgabe widmet, gewinnt an Kraft - sie soll allerdings nicht für eigene Zwecke instrumentalisiert werden.

Frankl verweist in diesem Zusammenhang auf den Sport: Siege stehen und fallen hier mit der Intention, mit der sie angepeilt werden. Zwei Regeln gilt es dabei zu beachten: Nicht mit anderen Menschen außer mit sich selbst zu rivalisieren, und nicht nach Siegen zu streben, sondern nach seinem besten Vermögen zu handeln. Als er im KZ seine Kleidung gegen die Lumpen eines Toten tauschen musste, war auch seine wertvollste geistige Schöpfung dahin: das Originalmanuskript seines ersten Buches „Ärztliche Seelsorge“. Er hatte es, eingenäht in das Mantelfutter, bis hierher gerettet. Dort fand sich folgender Satz: „Erst unter den Hammerschlägen des Schicksals, in der Weißglut des Leidens an ihm, gewinnt das Leben Form und Gestalt.“ Dank der in Wien verbliebenen Abschrift konnte dies später veröffentlicht werden. Nach seiner Befreiung publizierte Frankl das Büchlein "Trotzdem ja zum Leben sagen – ein Arzt erlebt das KZ" - eines der erschütterndsten, aber auch optimistischsten Dokumente menschlicher Leidens- und Leistungsfähigkeit. Der Operettenlibrettist Dr. Friedrich Löhner-Beda, der vor allem für Franz Lehár gearbeitet hat, kam 1938 ebenfalls in ein KZ, wo er zugrunde ging. In Buchenwald schrieb er den Text eines Buchenwald-Liedes, das ein anderer Wiener Häftling vertonte. Darin findet sich die Zeile, die Viktor Frankl für den Titel seines Buches verwendete, das 1946 erschien. Frankls Vermächtnis ist hochaktuelle, weil es darin um den Dienst an einem Werk, die Erfüllung einer Aufgabe, das Engagement für eine Idee und das Befähigen von Menschen geht, ihren eigenen Sinn zu finden. Leiden wird in eine „Leistung“ verwandelt, indem ein schweres Schicksal gemeistert wird, eine ausweglose Situation, an der nichts geändert werden kann.

Sein Buch ist auch für die Praxis des Managements von unschätzbarem Wert.

Die Aufgabe von Management ist es, Menschen so zu nehmen, wie sie sind, ihre Stärken herauszufinden und ihnen durch entsprechende Gestaltung sinnvoller Aufgaben die Möglichkeit zu geben, dort tätig zu werden, wo sie mit ihren Stärken eine Leistung erbringen und nachhaltige Ergebnisse erzielen können. Der Managementtheoretiker Peter Drucker etablierte das Konzept des „purpose-driven business". Demnach brauchen auch Unternehmen einen Daseinszweck, ein höheres Ziel, um im Wettbewerb bestehen zu können. Wo die gesellschaftliche Akzeptanz von Unternehmen fehlt, manifestiert sich dies in einem schleichenden Verlust der unternehmerischen Kooperationsfähigkeit, infolgedessen die unternehmerische Wertschöpfung erschwert wird. Ihr Management ist Bestandteil von Corporate Social Responsibility (CSR). „Auch Führungsverantwortliche sollten sich bewusst sein, warum sie das tun, was sie tun, ihre Aufgabe in den Mittelpunkt stellen und nicht sich selbst“, sagt Werner Neumüller. Der Geschäftsführer der GmbHs der Neumüller Unternehmensgruppe beschäftigt aktuell mehr als 300 Mitarbeitende an fünf Standorten. Kerngeschäft ist die Rekrutierungsunterstützung über die Personaldienstleistung vor allem im akademischen Umfeld bezüglich Ingenieurqualifikationen und in Bezug auf Fachpflegepersonal.

Seine Aufgabe als Unternehmer sieht er vor allem darin, Coach zu sein – besonders für die beruflich noch unerfahrenen Mitarbeiter:innen und jungen Ingenieur:innen, sie fortzubilden und sie dabei zu unterstützen, ihre Stärken zu fördern und eventuelle Defizite zu beheben. „Wenn ich einem Menschen detailliert vorgebe, was er wie zu tun hat, kann er sich nicht wirklich in seiner Aufgabe entfalten, sondern arbeitet einfach nur ab“, sagt der Personalexperte. Er sieht sich auch als Mentor, der fachliche und soziale Kompetenzen vermittelt und es versteht, junge Menschen so zu fordern und zu fördern, dass sie sich individuell optimal entwickeln können. Auch in der Ausbildung sei es wichtig, dass junge Mitarbeitende verstehen, wozu sie mit ihrer Aufgabe beitragen. Viele Fähigkeiten, die junge Menschen in ihrer Ausbildung lernen sollten, haben seiner Meinung nach nicht unbedingt mit einem bestimmten Beruf zu tun: „Das sind oft eher allgemeine Fähigkeiten, die anwendbar sind, ganz egal wie der weitere Berufsweg aussieht. Das halte ich auch für wichtig, da wir heute nicht mehr wie früher ein Leben lang ein und denselben Beruf ausüben.“ Seine Aufgabe sieht er deshalb auch darin, konstant den Wandel der Zeit und Probleme rechtzeitig zu erkennen, damit sie gemeinsam besprochen und gelöst werden können.

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Freie Publizistin und Autorin, Nachhaltigkeitsexpertin, Dr. Alexandra Hildebrandt

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Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".
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