Dr. Alexandra Hildebrandt

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für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

„Verstehen bildet“: Über die Sinnsuche im Leben - und die Rolle von Unternehmen

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Sinnsuche in Rom

„Man braucht nichts im Leben zu fürchten, man muss nur alles verstehen“, sagte die polnische Physikerin und Nobelpreisträgerin Marie Curie. Wissen allein „bildet“ allerdings nicht. Erst durch Sehen und Verstehen formt sich unser Geist. Das ist auch eine Kernaussage des Buches „Der Sinn des Lebens“ des Theologen, Psychotherapeuten und Psychiaters Manfred Lütz. Seit über 50 Jahren liebt er die Stadt Rom, in der er selbst zwei Jahre gelebt hat. Bereits als Student übernahm er hier touristische Führungen – allerdings nicht, um Menschen nur mit Wissen zu beladen, sondern um ihnen hier den Sinn des Lebens zu offenbaren. Im Mittelalter haben die Menschen den Sinn des Lebens allerdings nur in den Bildern der Kirchen sehen können, weil die meisten nicht lesen und schreiben konnten. "Die Römer haben ihr Weltreich auf einem absoluten Pflichtbewusstsein gegenüber dem Staat aufgebaut. Der Staat war die Voraussetzung dafür, dass der Mensch den Sinn des Lebens entdecken konnte“, so Lütz. Konkret wird dies auf dem Forum Romanum, wo der goldene Meilenstein, das zentrale Symbol dafür, steht. Von hier aus wurden alle Straßen im gesamten römischen Weltreich vermessen (bis nach Köln, wo ein römischer Meilenstein noch heute auf das ferne Rom verweist).

Doch mit dem wachsenden römischen Weltstaat begann auch der innere Zerfall, der sich symbolisch im Kolosseum zeigt, wo Menschen und Tiere abgeschlachtet wurden, um das Volk bei Laune zu halten („Brot und Spiele“). Konterkariert wurde das mächtige Rom durch Jesus, der zum römischen Statthalter Pontius Pilatus sagte: "Mein Reich ist nicht von dieser Welt." Die Bedeutung dieser Aussage zeigt sich in den Fresken der Katakomben. Wer Rom zu lesen versteht, begreift auch die Welt und unser Komplexitätszeitalter besser, das mit Universalkünstlern wie Michelangelo und Leonardo da Vinci eng verflochten ist. Auch sie wollten die Realität verstehen, indem sie ihre Gesetzmäßigkeiten zu entschlüsseln versuchten. Am 22. März 1508 schreibt da Vinci in sein Notizbuch: „Die Wissbegier ist den Guten angeboren.“ Elke Heidenreich, die das Vorwort für den „Sinn des Lebens“ schrieb, erzählt davon, dass sie als 16-Jährige bei der Betrachtung der Pietà von Michelangelo so erschüttert war, dass sie in Tränen ausbrach. Ein Wärter meinte: "ah, Michelangelo …". Darum geht es auch in diesem Buch: sich berühren zu lassen von vollendeter Kunst, die sich in Bildern, Skulpturen und in der Architektur zeigt.

„Das ist der Sinn des Lebens: es nicht zu verpassen.“ Elke Heidenreich

Manfred Lütz vermutet, dass Menschen den Sinn des Lebens heute eher im Alltag als in der Kirche entdecken können, denn die Institution würde sich zurzeit selbst „zerlegen“. Ursprünglich seien sie keine Moralanstalten, sondern Sinn-Institutionen gewesen, die den Glauben an Gott und das ewige Leben wachgehalten hätten. Er widmet sich zugleich der Sehnsucht nach etwas Höherem, das über das eigene Leben hinausreicht. Rom ist nur das Symbol dafür. Wer sich heute mit der Sinn-Frage beschäftigt, kommt nicht umhin, sich auch dem Werk des österreichischen Neurologen und Psychiaters Viktor E. Frankl (1905-1997) zu widmen. Er brachte das Nietzsche-Zitat „Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie“ seinen Patienten näher. Auch für Führungskräfte ist seine Lehre von enormer Bedeutung. Er setzte eine prinzipielle Sinnhaftigkeit der Welt als gegeben voraus. Dieser Sinn sei zwar nicht immer sofort sichtbar, aber in jeder Situation verborgen, mit der uns das Leben konfrontiert. Ihn zu entdecken und dem Leben auf diese Art zu antworten, sei unsere Verantwortung. Frankl vergleicht die Sinnfindung mit dem Prozess der Gestaltwahrnehmung: Hier springt uns eine Figur vor einem Hintergrund in die Augen. Bei der Sinnfindung geschieht etwas Ähnliches: Wir erkennen eine Möglichkeit vor dem Hintergrund der Wirklichkeit – eine Möglichkeit, hier und jetzt etwas zu tun, die Situation zu verändern. Voraussetzung dafür ist allerdings die Empfänglichkeit und das Bewusstsein, dass das eigene Leben ohne Bezug auf etwas Größeres unvollständig ist.

Kultur macht Sinn

Kultur hat die Aufgabe, Sinn zu stiften. Wer auch im Unternehmenskontext im kulturellen Zusammenhang wirkt, beteiligt sich an der gesellschaftlichen Sinnstiftung und nimmt die Vielschichtigkeit und Komplexität der Systeme von Kultur und Wirtschaft in ihrer gesamten Fülle wahr. Viele Unternehmen unterstützen die Kultur nicht nur finanziell, sondern holen Kunst auch in ihr Unternehmen. Viele Großunternehmen haben sogar eigene Kunstsammlungen – im Mittelstand wird sie häufig in die Büros und in den Unternehmensalltag integriert wie bei der NEUMÜLLER Unternehmensgruppe in Nürnberg. „Wirtschaftliche Verantwortung hat nicht nur mit Investitionen in Kulturveranstaltungen und Sponsoring zu tun, sondern auch mit Aufgaben der Kulturgestaltung, die innen im Unternehmen beginnt und nachhaltig sein sollte“, sagt Geschäftsführer Werner Neumüller. Neue Fähigkeiten und Sehweisen können nicht allein aus dem Unternehmensalltag und Wirtschaften selbst herausentwickelt werden.

Was Kunst im Unternehmenskontext bewirkt:

  • Schärfung des gesunden Menschenverstands (ihm entspricht, was leicht zu verstehen ist und durch Erfahrung bestätigt werden kann, wer ihn meidet, dem geht auch die Fähigkeit verloren, in ausreichendem Maße selbst zu denken und sein Leben selbst zu gestalten)
  • Bildung von Deutungsmustern
  • Entfachen von Kreativität als Kompetenzzuwachs
  • Kulturelle Motivationen
  • Aktivierung der Sinnfrage
  • Eröffnung von neuen Wahrnehmungsmöglichkeiten
  • Augenmaß für das Wesentliche
  • Wirtschaft als Kultur begreifen.

Das Buch:

  • Manfred Lütz: Der Sinn des Lebens. Mit einem Geleitwort von Elke Heidenreich. Kösel-Verlag, München 2024.

Weiterführende Informationen:

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Freie Publizistin und Autorin, Nachhaltigkeitsexpertin, Dr. Alexandra Hildebrandt

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Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".
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