Volcanoes: Wie Öko-Visionärinnen die Landkarte der Welt verändert haben
Science + Fiction
Die Frage, wohin unser Planet und seine Bewohner taumeln, war ein Lebensthema der Science-Fiction-Autorin Ursula K. Le Guin (1929–2018). Im Jahr 1986 sprach die US-Schriftstellerin vor den Absolventinnen des amerikanischen Frauen-College Bryn Mawr, die ermutigt werden sollten, sich einzumischen und die "Landkarten der Welt" zu verändern. Der Titel ihrer Mut-Rede lautete „We are volcanoes“: „Wenn wir Frauen unsere Erfahrungen als unsere Wahrheit, als menschliche Wahrheit, einbringen, verändern sich alle Landkarten. Es entstehen neue Berge. Das ist es, was ich will – ich will hören, wie ihr ausbrecht“, sagte sie. Der Titel dieser Rede steht auch auf dem Cover des aktuellen Buches von Charlotte Kerner, die als Autorin vor allem Frauen porträtierte, sich in ihren Büchern aber auch allgemeineren Wissenschaftthematiken widmete. Für GEO-Wissen, Die Zeit und Jugend forscht arbeitete sie zudem als Wissenschaftsjournalistin.
Auf dem Buchcover treten die Schriftstellerin Rachel Carson, die Meeresbiologin Lynn Margulis und die Feministin und Philosophin Donna Haraway als allegorische Gruppe auf – vor einem Lava spuckenden Vulkan. Letztlich entstehen so neue Kontinente und Inseln – aus der Lava wird fruchtbare Erde. Die Autorin zeigt, dass es mit neuen Gedanken genauso ist: Alle drei Frauen sind „ausgebrochen“ und haben unsere Sicht auf die Welt verändert. Deshalb sind sie ihre „Volcanoes“. Die Routen des Buches werden von ihren Lebensgeschichten vorgegeben, die sich zugleich verflechten. Das gelingt auch durch ihre fiktiven Auftritte und Ausflüge in die Wissenschaftsgeschichte. Kerner kombiniert Wissen und Fantasie, Wissenschaft und Poesie - alles „befeuert“ sich gegenseitig.
Am Ende des Buches deutet Kerner im Stil eines Science-Fiction-Romans an, wie die Menschheit trotz Klimakrise und Artensterben überleben könnte. Fakten werden durch diesen Ansatz „nicht weniger gültig“ – vielmehr ordnet er sie anders ein: „Wir sind vielleicht die ersten Generationen, die endlich begriffen haben und handeln wollen – denn das müssen wir vor allem auch. Es macht einen Unterschied, ob die Erderwärmung auf 2 oder 2,5 Grad steigt. Unser Handeln im Hier und Jetzt wird die nächsten Jahrhunderte maßgeblich mitbestimmen.“ Sie ist dabei ganz bei den jungen Menschen, die auf den Klimaprotesten skandieren: "System Change – Not Climate Change" (Systemwandel statt Klimawandel). Dennoch können technische Lösungen und Verhaltensänderungen kurzfristig und lokal helfen. „Aber vor allem müssen wir aufhören, ständig mehr und mehr Wachstum zu fordern“, so Kerner.
Das ökologische Triumfeminat
Rachel Carson (1907–1964) gilt als „Mutter der Ökologiebewegung“. Sie schrieb den Weltbestseller „Silent Spring“ („Der stumme Frühling“), in dem sie im Jahr 1962 erstmals einer breiten Öffentlichkeit den tödlichen Kreislauf von Insektenvernichtungsmitteln erklärte und eine moderne Umweltgesetzgebung in den USA anstieß. Das Buch ist auch dem Neurobiologen Gerald Hüther in besonderer Erinnerung geblieben. In seinem Garten fragte er sich unter einem Baum: Wenn all das, was bisher versucht wurde, nicht funktioniert, wie geht es dann? Dabei ist er auf den inneren Kompass gestoßen, „der uns dabei hilft, nicht nur so zu handeln, dass andere dadurch nicht verletzt werden, sondern wir uns dabei nicht selbst verletzen: unsere Würde.“ Auch er versteht es, die Empfänger seiner Informationen und Erkenntnisse wirklich zu berühren.
Für „Silent Spring“ hatte James Lovelock, mit dem Carson eine lebenslange Freundschaft und Zusammenarbeit verbindet, wichtige „Vorarbeit“ geleistet. Beide entwickelten das „Gaia“-Konzept weiter. Es wird dabei von der Existenz eng miteinander verbundener Prozesse im Gaia-System ausgegangen, deren Komponenten die Biota, die Atmosphäre, die Meere und die Erdkruste sind. Die Erde wird als lebendes und sich entwickelndes System betrachtet, das nach Selbstregulierung strebt, so dass das Leben auf ihr gedeihen kann. Carson war auch eine der ersten, die das Artensterben thematisierte. Dafür wertete sie unzählige wissenschaftlicher Publikationen aus und konnte zeigen, wie die chemische Industrie die Forschung gesteuert und in ihrem Sinn interpretiert hat. Carsons Buch gab letztlich den Anstoß, um das Pestizid DDT zu verbieten. Nach Charlotte Kerner war sie die „Greta Thunberg ihrer Zeit“, denn ihr Buch "Der stumme Frühling" hatte eine ähnliche Sprengkraft wie die Aktionen der jungen Schwedin. Deshalb wurde es auch die "Grüne Bombe" genannt. Heute gilt es als das Gründungsmanifest der Ökologiebewegung. Zudem war sie eine der wenigen, die zu Beginn der 1950er-Jahre begriffen hatte, welche Rolle unsere Weltmeere bei der Klimaregulation spielen: Sie schrieb drei Bücher über das Meer, die zu Bestsellern wurden.
„In der Natur existiert nichts allein.“ (Rachel Carson)
Lynn Margulis (1938–2011) ist die „Biologin der Ökologie“: Sie erforschte wichtigen Bakterien, und wie vor Millionen Jahren die Zellen geboren wurden, aus denen auch wir gebaut sind. Sie entdeckte die „Symbiose“ als neue und wirkmächtige Kraft der Evolution und ergänzte Charles Darwins Theorie. Die Mikrobiologin schrieb fast 15 wissenschaftliche Verlage an, um ihren ersten Artikel über ihre Endosymbionten-Theorie veröffentlichen zu können. Heute ist die Theorie bewiesen und ihre damalige Arbeit gilt als bahnbrechend. Margulis galt als „zickig“, weil sie von sich überzeugt war und das auch laut sagte.
„Wir können der Natur kein Ende setzen, sondern nur zu einer Bedrohung für uns selbst werden.“ (Lynn Margulis)
Donna Haraway (*1944): In Margulis fand sie eine inspirierende Lehrerin. Sie startete mit „A Cyborg Manifest“ (1985) eine internationale Karriere. Den „Zusammenbruch der sauberen Trennung zwischen Organismus und Maschine“ sah sie als Aufforderung an Feministinnen, „Methoden für die Analyse und Herstellung von Technologien finden, die zu einem Leben führen, wie wir es alle wollen, ohne Herrschaft vermittels Rasse, Geschlecht und Klasse“. Sie hinterfragte starre Grenzen zwischen Natur und Kultur sowie zwischen den Geschlechtern und zwischen Mensch und Maschine und dachte Biologie, Technologie und Kultur brillant zusammen. Der alte Natur-Kultur-Gegensatz wird aufgelöst.
„Politische Ernsthaftigkeit erfordert, dass wir an unserer Arbeit ein großes Vergnügen haben. Andernfalls werden wir aufhören, es wäre zu schwierig, und wir würden unseren Glauben verlieren.“ (Donna Haraway)
Was Rachel Carson, Lynn Margulis und Donna Haraway verbindet:
- Ihr Werk entfaltet heute eine neue Dringlichkeit.
- Sie haben die Einheit des Lebens im Blick.
- Sie hatten die Fähigkeit, Natur und Kultur, unsere Erde und uns in dieser Welt neu und anders zu denken.
- Sie warfen Fragen auf, die noch heute wichtig sind, wenn es um das Überleben in der Zukunft geht.
- Sie zeigen, dass Frauen genauso klug wie Männer sind und genauso gute Forschungsarbeit leisten.
- Sie waren Grenzüberschreiterinnen und haben - gegen viele Widerstände - Fachgrenzen überschritten, neue Verbindungen zwischen naturwissenschaftlicher Forschung, Philosophie, Soziologie und Evolutionstheorie geschaffen.
- Ihr Handeln veränderte die Welt.
- Sie unterstützen uns durch Aufklärung darin, Klarheit über unser Tun zu gewinnen.
- Sie haben gezeigt, wie sehr wir auf andere Lebewesen angewiesen sind.
- Haben sich seit den 1950er Jahren mit der Frage beschäftigt, wie sich die Menschheit von der Natur entfremdet hat.
- Natur- und Lebensglück gehören für sie zusammen.
- Sie waren Pionierinnen auf ihrem Gebiet und kämpften gegen Vorurteile.
- Sie sind reif geworden für uns (und wir sind mit der Lektüre reifer geworden für ihre Gedanken). .
- Alle haben unsere Sicht auf die Welt verändert.
- Sie schenken uns einen Sinn für das Staunen.
- Als Öko-Visionärinnen waren sie ihrer Zeit weit voraus.
- Sie waren „Vulkane“, die früh ausbrachen (bereits als Studentinnen waren sie unüberhörbar). Sie verließen eingefahrene Wege, veränderten geistige „Landkarten“ und brachten neue Landschaften zum Entstehen.
- Ihre Werke wurden in der Vergangenheit oft bekämpft, ignoriert, verlacht und lange Zeit nicht wirklich ernst genommen. Sie entstanden zum großen Teil, bevor Klimakrise und Artensterben wissenschaftlich bewiesen waren und die Grenzen des Wachstums offensichtlich wurden.
- Sie machen mögliche Zukünfte sichtbarer und verständlicher.
- Sie erkannten als eine der ersten ökologische Zusammenhänge und hatten ein intuitives Verständnis für sie.
Nur wer selbst denkt und sich mit übergreifenden Zusammenhängen beschäftigt, lernt, sich und die Welt besser zu verstehen und mehr seiner natürlichen Intelligenz (Instinkt) zu vertrauen – so wie es diese Visionärinnen gemacht haben, die sich zugleich den Fakten und ihrem Gewissen verpflichtet fühlten. Dieser Maßstab half ihnen, richtig auf der Landkarte des Lebens zu navigieren. Diese grundlegenden Themen aus dem Buch von Charlotte Kerner wurden auch im Sammelband „Bauchgefühl im Management“ aufgegriffen, das im Unternehmenskontext zwar nicht diese Beispiele enthält, aber den Umgang mit Vorurteilen, die Rolle der Intuition bei Entscheidungsprozessen oder Gefahren der Vereinfachungen wie „Natur ist weiblich, Technik männlich“. Der Co-Herausgeber Werner Neumüller betont beispielsweise die wichtige Rolle von Frauen in Technikberufen. Zudem schrieb auch er an einem Visionäre-Buch mit. Alle verbindet das Wichtigste, das ein Mensch können sollte: sein Leben selbst in die Hand zu nehmen und zu seinen Entscheidungen zu stehen. Hinzu kommt noch ein weiterer wichtiger Aspekt: Jede wirkliche Veränderung – auch die ökologische - geht über das Herz und erfordert „Herzintelligenz“, die allerdings immer wieder neu zum Bewusstsein gebracht werden muss, denn „mit dem Verstand allein kommt die Menschheit nicht zur Vernunft“ (Franz Alt). Wir brauchen auch eine Ethik des vorausschauenden Denkens und Fühlens, welche sich ausmalen kann, was noch nicht ist, aber sein wird. Das Buch von Charlotte Kerner erzählt davon.
Das Buch:
- Charlotte Kerner: „We are Volcanoes. Die Öko-Visionärinnen Rachel Carson, Lynn Margulis, Donna Haraway. Westend Verlag, Neu-Isenburg 2024.
Weiterführende Informationen:
- „Fire-Fighters aller Länder, dämmt die Brände ein!“
- Herzintelligenz: „Wir brauchen neue Drehbücher für Chefetagen, Betriebe, Universitäten und Schulen.“
- Alexandra Hildebrandt: Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2020.
- James Lovelock: Novozän. Das kommende Zeitalter der Hyperintelligenz. Aus dem Englischen von Annabel Zettel. C. H. beck, München 2020.
- James Lovelock et al.: Die Erde und ich. Taschen GmbH, Köln 2016.
- Werner Neumüller: Die Grenzen der Rationalität. In: Bauchgefühl im Management. Die Rolle der Intuition in Wirtschaft, Gesellschaft und Sport. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. SpringerGabler Verlag 2021.
- Peter Sloterdijk: Die Reue des Prometheus. Von der Gabe des Feuers zur globalen Brandstiftung. Suhrkamp Verlag, Berlin 2023.
- Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.
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