Dr. Alexandra Hildebrandt

Dr. Alexandra Hildebrandt

für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Von Kopfsachen und haarigen Angelegenheiten

Pixabay

Das Bedürfnis, Nähe zwischen sich und seinem Körper herzustellen, ist tief im menschlichen Wesen verankert.

Doch warum sind einige Menschen ihrem Haar gegenüber häufig so distanziert und haben Schwierigkeiten, es zu respektieren? Dieser Frage geht Maria Antas in ihrer Kulturgeschichte „Waschen, schneiden, föhnen“ nach, in der sie beschreibt, dass sich das Haar in einer spannenden Grauzone befindet: „Es ist ein Teil des Körpers und doch etwas vollkommen eigenes, beinahe Fremdes. Es befindet sich immer auf dem Weg aus unserem Körper heraus, bis es uns eines Tages ganz verlässt.“ Das Leben eines Haares hat viel Ähnlichkeit mit unserem Leben: Es durchläuft eine Wachstumsphase (Anagen), die bei den Kopfhaaren etwa zwischen drei und acht Jahren dauert. In allen anderen Körperregionen, die nicht so lange Haare hervorbringen können, dauert sie nur zwischen vier und sieben Monaten. Je länger diese Phase also dauert, desto länger kann ein Haar auch werden. Pro Tag wächst ein einzelnes Haar im Durchschnitt etwa 0,35 Millimeter. Das ergibt pro Monat ein Haarwachstum von etwa einem Zentimeter.

Kopfhaare, von denen jeder Mensch zwischen 100 000 und 150 000 Stück hat, haben beispielsweise einen deutlich längeren Wachstumszyklus als Augenbrauen. „Das Haarwachstum muss man sich vorstellen, als wenn man Nudelteig durch eine Küchenmaschine laufen lassen würde. Oben stopft man einzelne Teigteile rein, und unten kommen Spaghetti raus. Bei den Haaren heißt das: Rund um die Haarwurzel bilden sich immer neue Zellen, die sich aneinanderkleben, verhornen und peu à peu nach außen gedrückt werden“, schreiben Dr. med. Alice Martin (Jahrgang 1991, Influencerin und Mitbegründerin der Online-Hautarztpraxis dermanostic) und Dr. Lucia Schmidt (Jahrgang 1982, Ärztin und verantwortet als Redakteurin seit 2013 die „Leib & Seele“-Seiten in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung) in ihrem Buch „Alles klar beim Haar?“. In der Übergangsphase (Katagen) hat das Haar schließlich seine volle Länge erreicht - es wächst nicht mehr weiter und bereitet sich darauf vor auszufallen. Generell sind etwa 80 Prozent der Männer und fast 50 Prozent der Frauen von einem leichten bis schweren genetisch bedingten Haarausfall betroffen. In Deutschland sind es etwa 32 Millionen Männer und 20 Millionen Frauen. 

In ihrem Buch versammeln die Autorinnen medizinisches Wissen und praktische Tipps für Haut und Haar (Haarwachstum, Haarpflege, Hausmittel und ihre Anwendung, Ernährung etc.). Gezeigt wird aber auch, wie sich Hormone und Stress auf die Haare wirken: Die Sprichwörter „Mir stehen die Haare zu Berge“ oder „Das ist ja zum Haare raufen“ suggerieren, dass es zwischen Stress und Haaren einen Zusammenhang gibt. „Bei Stress schickt der Körper möglichst viel Blut zu den lebenswichtigen Organen im Körperinneren wie dem Herzen und dem Gehirn. Die Folge: Bei dauerhaft hohen Pegeln von Stresshormonen sinkt durch die Verengung der Blutgefäße die Durchblutung der Haut – und somit leidet auch die Versorgung der Haare. Die Haare werden also schlechter mit Nährstoffen versorgt, wachsen deshalb schlechter und fallen häufiger aus.“

Eine lesenswerte Ergänzung dazu ist das Buch von Maria Antas, die in ihrer Kulturgeschichte des Haares die Funktion von Haaren in Filmen und Fernsehserien untersucht.

Auch las sie Bücher über das weibliche Haar aus unterschiedlichen Epochen. Allerdings fühlte sie sich rasch übersättigt, weil diese Geschichte – im Gegensatz zu den Männerfrisuren, die ein immer wiederkehrendes Symbol für die Entwicklung von Popkultur und Rebellion waren - vor allem im 20. Jahrhundert sehr einseitig ist. Frauen werden häufig als passive Kundinnen von genialen (männlichen) Hairstylisten dargestellt, aber auch „als neugierige, aber gehorsame Konsumentinnen von Produkten der ständig wachsenden Haarindustrie, wohingegen die Haare der (insbesondere jungen) Männer als selbstbestimmtes, innovatives Element im Protest gegen das Establishment gelten.“

Anders die Welt von Tove Jansson (1914 - 2001): Die Erfinderin der Bewohner des Mumintals und Zeitgenossin von Helmut Newton, hat im Buch eine besondere Bedeutung. Hier gibt es eitles Blondinen-Haar, halblange, platte Tanten-Trisuren mit nach außen geföhnten Spitzen, aber auch strähnige Pagenköpfe, die in alle Richtungen abstehen. Auch Menschen mit hässlichen Frisuren erleben hier Momente von Glück und Befreiung („Sturm im Mumintal“, 1954). Am meisten beschäftigt sie ein Text von Jansson, der 1968 erschien. Das Buch „Die Tochter des Bildhauers“ ist eine autobiographisch geprägte Kindheitsbeschreibung, die sich an erwachsene Leser richtet. Jansson wuchs zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einer Künstlerfamilie auf. Ihr Vater war ein namhafter Bildhauer und die Mutter eine der bekanntesten Illustratorinnen Finnlands. Der Vater erwartet Gehorsam von allen, die mit ihm zusammenleben, und wenn er niedergeschlagen ist, kriecht er zu seiner Frau und versucht sich in ihrem offenen, langen Haar zu verstecken, auch die Tochter findet darunter Zuflucht. Das Haar der Mutter erinnert an das der Königinnen auf den Gemälden, die bei der Familie zu Hause hängen. Dieses Buch hat nicht nur das Sehen von Maria Antas verändert, sondern auch ihre Werte.

Am Todestag von Michael Jackson, am 25. Juni 2009, starb fast unbemerkt auch die Schauspielerin Farrah Fawcett im Alter von 62 Jahren. Zwei Monate zuvor zeigte der Sender NBC einen von ihr selbst produzierten Dokumentarfilm, in dem sie von ihrem Kampf gegen den Krebs erzählte, an dem sie 2006 erkrankt war. Gemeinsam mit einer Freundin beschloss sie, das Leben einer Krebspatientin zu dokumentieren. In einer Szene steht sie vor dem Spiegel. Ein Teil ihrer Haare ist bereits ausgefallen, den Rest streicht sie mit der Hand von ihrem Schädel. „Die Haarikone trennt sich von ihrem Symbol. Sie näherte sich ihrem Tod mit Würde, Differenziertheit und Menschlichkeit, sie zeigte ihr wahrstes Gesicht. Einen Kopf ohne Haar“ (Maria Antas). Das Wort "Kosmetik" kommt aus dem Griechischen und hat die gleiche Bedeutung wie "Kosmos": Ordnung. Am Ende kehrte die Schauspielerin zu dem zurück, was ihr gegeben war: Das, was ihre Persönlichkeit ausmachte, zeigte sich in ihrem Gesicht.

Das Buch:

  • Alice Martin und Lucia Schmidt: Alles klar beim Haar? Haar-Faktisch: Das Geheimnis schöner Haare. ecoWing Verlag, Salzburg-Wien 2023.

Weiterführende Informationen:

  • Maria Antas: Waschen, schneiden, föhnen. Eine Kulturgeschichte des Haars. Insel Verlag, Berlin 2018.
  • Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018, S. 172- 177.

Wer schreibt hier?

Dr. Alexandra Hildebrandt
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Freie Publizistin und Autorin, Nachhaltigkeitsexpertin, Dr. Alexandra Hildebrandt

für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".
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