Wann bleiben Mitarbeiter? Diese vier Bindungsaspekte halten Menschen in Unternehmen
Die Themen rund um Mitarbeitermotivation und Bindung sind aktueller denn je und bewegen gerade einige Führungskräfte in meinen Coachings. Laut einer aktuellen Studie ist es für 61% der Führungskräfte in Deutschland die größte Herausforderung, neue Mitarbeitende zu gewinnen, bestehende zu halten und sie gleichzeitig für das eigene Unternehmen zu begeistern. Woran liegt das?
Als Folge der Corona-Pandemie wird eine Kündigungswelle in vielen Organisationen spürbar, die sogenannte „Great Resignation“. Sie droht aktuell über die westlichen Industrieländer hereinzubrechen, so der „Harvard Business Manager“.
Denn die Bereitschaft, mittelfristig den Arbeitgeber zu wechseln ist deutlich angestiegen. Gaben im Jahr 2018 noch 65% an, in drei Jahren noch bei ihrem Arbeitgeber sein zu wollen, sind es 2021 nur noch 44%, so der Gallup Engagement Index aus 04/2022. Die Wechselbereitschaft ist also aktuell so hoch wie in den letzten vier Jahren nicht.
Die mittelfristige Wechselbereitschaft ist deutlich gestiegen
Und das spüren die Chefetagen vieler Organisationen. Der Arbeitsmarkt verschiebt sich von einem Arbeitgebermarkt, hin zu einem Arbeitnehmermarkt. Die Dauer-Trends der Digitalisierung und des demografischen Wandels verändern die Arbeitsmärkte dahingehend. Gab es vor 30 Jahren noch ein hohes Angebot an Fachkräften, ist dieses in den letzten Dekaden deutlich zurückgegangen - entsprechende Kandidaten sind sehr begehrt. Genau diese Entwicklung führt zu einem neuen Anspruchsdenken und zur selbstbewussten Wechselbereitschaft junger Fachkräfte.
Dies ist in Summe eine sehr herausfordernde Entwicklung für Arbeitgeber und Führungskräfte. Und die Fragen, die sich daran anschließen, sind komplex: Wie stärken wir als gesamte Organisation unseren USP? Wie binden wir Menschen, gerade in einer Home-Office und Hybrid Arbeitswelt, wo wir uns weniger persönlich begegnen und mehr asynchron kommunizieren – wirklich? Wann bleiben Mitarbeiter?
Die einfache und gute Nachricht ist: Wenn sich Mitarbeiter gebunden fühlen, bleiben sie! So Gallup.
Die einfache und gute Nachricht ist: Wenn sich Mitarbeiter gebunden fühlen, bleiben sie!
Wie bindet man aber Mitarbeiter aber an das eigene Unternehmen?
Wir können im Retention Management zwischen 4 Ebenen der organisationalen Bindung unterscheiden:
1) Die Rationale Bindung
Hierzu zählen: Betriebliche Altersvorsorge, transparente Bonussysteme oder flexible Arbeitszeitmodelle. Gerade das Konzept „Flexibilität“ hat für die Menschen an Bedeutung gewonnen. Die neu gewonnene Flexibilität durch das Home-Office, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wollen viele der Mitarbeiter auch in Zukunft beibehalten.
2) Die Perspektivische Bindung
Hierzu zählen: Beruflicher Aufstieg, Weiterbildung oder wachsende Verantwortung. Den Mitarbeitern eine Perspektive für die eigene fachliche und persönliche Weiterentwicklung zu geben, z.B. durch moderne Weiterbildungsprogramme, kann ein weiterer motivierender und bindender Faktor sein.
3) Die Normative Bindung
Hierzu zählen: gemeinsame Werte und Ziele, gegenseitiger Mehrwert oder die klare Vision für die Zukunft. Ein klares Zukunftsbild zu entwickeln, in einer partizipativen Art und Weise, stärkt den gemeinsamen Blick in die Zukunft.
4) Die Emotionale Bindung
Hierzu zählen: Sinnstiftende Arbeit, Wertschätzung oder die Beziehung zu Kollegen und zur Führungskraft. Der kooperative Umgang miteinander sowie der klare Fokus auf den Gesprächspartner, können somit sehr aktiv den Beziehungsaufbau stärken.
Die emotionale Bindungsebene wird immer wichtiger.
Die emotionale Bindung wird dabei eine zunehmend wichtige Funktion innehaben. Dies betont zum einen der aktuelle Gallup Index. Zum anderen bestätigen aber auch Maßnahmen der Organisationen diesen Trend: So verdoppeln oder verdreifachen aktuell einige Organisationen ihre Budgets zur Teamentwicklung und damit zum internen Beziehungsaufbau.
Leider steht der schnelllebige Arbeitsalltag und der volle Terminkalender mit 8-15 Meetings pro Tag diesem notwendigen Trend ziemlich entgegen. Manchmal fehlt es vielen Führungskräften und Mitarbeitern schlichtweg an Raum, die emotionale Verbindung in den Fokus zu rücken, dem anderen aktiv zuzuhören und mit voller Präsenz zu begegnen. Die Mail zwischendurch, der Anruf zwischendurch – sie sorgen dafür, dass nur schwer ein Gespräch entsteht, das die volle Aufmerksamkeit beider Gesprächspartner bekommt. Es braucht eine aktive und bewusste Entscheidung, in der Interaktion - in jedem Meeting – wirklich ganz präsent beim anderen zu sein. Wenn dies aber gelingt, kann auf psychologischer Ebene ein Gefühl entstehen von „ich sehe dich“ und „ich höre dich“, was die emotionale Bindung stärkt.
Es braucht eine aktive und bewusste Entscheidung, ganz präsent beim anderen zu sein.
Welche Wirkung dies haben kann, verdeutlich dieses Gedankenexperiment:
„Erinnere dich an eine Führungskraft, bei der du dich verstanden, ernst genommen, sicher und gleichzeitig motiviert gefühlt hast. Wer war das? Was hat er/sie gemacht?“
„Und nun erinnere dich an eine Führungskraft, bei der du nur aus Notwendigkeit zugehört hast und in deren Umfeld du dich nicht besonders wohl, gestärkt und in deinem vollen Potenzial gefühlt hast. Wer war das? Was hat er/sie gemacht?“
Welche Bilder und Verhaltensweisen sind vor deinem inneren Auge entstanden?
Die eigene Zeit als Führungskraft, neben dem Tagesgeschäft, also ganz bewusst in die aufmerksame Kommunikation und Präsenz in der Interaktion zu investieren, kann den Beziehungsaufbau zu Kollegen und Teammitgliedern unterstützen – und damit wahrhaftige Gespräche ermöglichen sowie die Bindung stärken. Davon brauchen wir in Zukunft viel mehr – jedenfalls würde ich mir das wünschen!