Dr. Alexandra Hildebrandt

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für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Warum die Kuh keine „Klimakillerin“ ist: Über falsche Narrative in der Landwirtschaft

© Pixabay

Es gibt viele Narrative (Sagen der Gegenwart) über die Landwirtschaft, die falsch sind oder falsch verstanden werden. Sie werden kolportiert, abgeschrieben, nacherzählt oder einfach nur nachgeplappert. Wenn differenzierte Aufklärung in der medialen Berichterstattung auf der Strecke bleibt und Tatsachen und Meinungen vermischt werden, sind Narrative schwer zu entlarven oder aus der Welt zu schaffen. 

In seinem aktuellen Buch „Die Klima Kuh“ begibt sich der Journalist Florian Schwinn auf die Suche nach den Ursprüngen einiger dieser Narrative, zu denen auch die „Erzählung“ gehört, dass die Kuh ein Klimakiller sei, weil sie das Treibhausgas Methan ausstößt und das Klima kaputtrülpsen und -pupst. Dabei ist erwiesen, dass das Methan, das sich in den vergangenen Jahrzehnten zusätzlich zum natürlichen Methankreislauf in der Atmosphäre angesammelt hat, nicht von den Rindern, sondern von der Öl- und Gasindustrie stammt (hauptsächlich aus dem Fracking). 

Doch woher kommen diese Erzählungen? Worauf stützen sie sich? Wer hat Interesse daran, dass sie verbreitet und weitererzählt werden? Das war der Ausgangspunkt für seine Suche nach den Ursprüngen der modernen Mythen. Es gab auch schon einige Recherchen, etwa von Anita Idel, Tierärztin und Mitautorin des Weltagrarberichts, die mit ihrem Buch „Die Kuh ist kein Klimakiller“ bereits vor Jahren wichtige Vorarbeiten geleistet hat. Sie sprach von einem wunderbar platzierten Mythos, der von der Öl- und Gasindustrie platziert wurde: Es sollte von ihrem eigenen klimaschädlichen Tun abgelenkt werden. 

Beim Thema Methan wurde sofort an die Kuh gedacht und nicht die eigentlichen Verursacher der Klimakrise. 

Die Bauern wurden zu Buhmännern gemacht. Schwinn stimmt auch den Aussagen von Dieter Euler zu den Narrativen über die Landwirtschaft zu. Doch es sei noch viel schlimmer: Die falschen Schlüsse aus Fakten werden zuweilen bewusst gezogen (gezieltes Missverstehen). Auch tauchte die Geschichte auf, dass die Produktion eines einzigen Kilos Rindfleisch über 15.000 Liter Wasser verbrauche und ein Bulle täglich 11.000 Liter Wasser trinken müsste (Quellen: Heinrich-Böll-Stiftung und BUND: „Fleischatlas“). Dieser Wert entsteht, weil dem Rind sämtliches Wasser zugerechnet wird, was auf seine Weide regnet (auch wenn sie nur virtuell ist), weil die Tiere leider im Stall stehen. 

Fleischkonsum wurde zuweilen sogar als das neue Rauchen bezeichnet. Ein anderes Narrativ lautet, dass zwei Drittel der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche der Erde Grünland sind, die nicht in Äcker umgewandelt werden können. Es kann nur für die menschliche Ernährung genutzt werden, wenn wir Wiederkäuer halten. Oder: Ohne Rinder gibt es auch keinen Biolandbau mehr, weil dann der Dung fehlt, der die Äcker fruchtbar hält.

Alle Wiederkäuer, auch die Giraffen im Krüger-Nationalpark und die Gnus in der Serengeti, die Bisons im Yellowstone sowie die Hirsche bei uns haben nicht den Ruf, Klimakiller zu sein – aber unsere Rinder. Deshalb plant zum Beispiel die irische Regierung, in den nächsten Jahren rund 200.000 Kühe töten zu lassen. Mit dem dadurch eingesparten Methan könnte ihre Klimabilanz „schöngerechnet“ werden. 

Nach Schwinn ist das ein „Buchhaltungstrick“, denn das Methan aus den Rindermägen ist kein klimaschädliches Gas. Es ist Teil des natürlichen Methankreislaufes. So wie das von den Gnus, den Giraffen, den Büffeln ausgestoßene Methan. „Unsere Nutztiere ersetzen nur die Millionen von Grasfressern, die früher die Steppen Europas bevölkerten, bevor unsere Vorfahren sie dezimierten oder ausrotteten.“ Das Methan aus der Rinderverdauung sei nur dann klimaschädlich, wenn es in der Atmosphäre davon mehr gäbe als früher. Allerdings gibt es weniger davon, da weltweit weniger Rinder gehalten werden als noch vor wenigen Jahren und Jahrzehnten (vor allem in Deutschland). Hinzu kommt, dass immer mehr Milchviehbetriebe aufgeben.

Landwirtschaft als Naturschutz

Auf dem Rücken dieser Tiere haben wir unsere Kultur aufgebaut. Am Anfang der Neolithischen Revolution, vor etwa 12.000 Jahren, als unsere Vorfahren die Landwirtschaft „erfanden“ und die erste Stadt gründeten, gab es schon Rinder. Ohne sie ging es nicht. In seinem Buch zeigt Florian Schwinn, dass sie, wenn man sie „grasen“ lässt, sogar zu Klimarettern werden können. Nicht im großen Stil, aber im Kleinen – was zur Bekämpfung der Biodiversitätskrise und Klimakrise beiträgt. Nur auf der Weide können die Kühe mit ihrem Dung die Insekten zurückholen in die Landschaft – diese wiederum die Vögel füttern und das Bodenleben aktivieren, die den Humus einbauen in den Boden und damit den Kohlenstoff aus der Atmosphäre unten einlagern. 

„Jede Weide ist eine Kohlenstoffsenke, jede Weide ist ein Hort der Biodiversität. Und die Kuh auf der Weide ist der Motor, der das alles antreibt“, so Schwinn. Als Beispiel wird die Oranienbaumer Heide bei Dessau genannt, wo Landwirtschaft als Naturschutz und vor allem als Artenschutz funktioniert oder der Backensholzer Hof bei Husum (der ausschließlich Käse macht).

Die Rinder müssen aus den Ställen und benötigen Gras (kein Kraftfutter aus Übersee). Leider sind in den letzten Jahrzehnten die Rinder aus den Ställen verschwunden, viele kommen nicht einmal mehr stundenweise auf die Weide. Das liegt vor allem an den Kosten und weil Stallhaltung wetterunabhängig ist. Milch und Fleisch im Stall zu produzieren, ist mit weniger Aufwand verbunden (Kontrolle über Futteraufnahme und Produktion). Gleichzeitig ist es aber auch klimaschädlich (Maschinen mit Diesel, Kraftfutter statt natürlichem Rinderfutter), wie Schwinn zeigt. 

All das macht die Tiere krank. Würde man sie auf der Weide laufen lassen, bräuchte es auch keinen Diesel (der Traktor, „der den Hafer säht, der mit der Feldspritze drüberfährt, der Mähdrescher, der ihn erntet, aber schon. Und der Kunstdünger erst recht“). Ein wissenschaftlicher Klimavergleich zwischen Hafermilch und Weidemilch würde für die Weidekuh ausgehen, ist sich Schwinn sicher. Letztlich würden von der Hafermilch sogar über neunzig Prozent Abfall bleiben. Wer als Konsument Weidemilch und das Fleisch von Weidetieren kauft, unterstützt damit auch eine Produktionsform, die den Tieren erlaubt,

  • ihren natürlichen Bedürfnissen nachzukommen
  • die Biodiversität in die Landwirtschaft zurück bringt
  • die Klimakrise bekämpft.

Ein nachhaltiges Weidemanagement ist das Beste für das Wohlbefinden der Kühe und damit für die Milchqualität - zudem trägt es zum Erhalt der Biodiversität und von Kulturlandschaften bei. Das Grasen bringt auch fruchtbare Böden hervor, denn durch nachhaltige Beweidung tragen Rinder zur Bildung von Humus und so auch zur Speicherung von CO2 im Boden bei, was sich positiv auf das Klima auswirkt.

Natürliche Stoffkreisläufe nutzen

Als idealer Standort für ein Klimaschutz-Pilotprojekt in der agrarischen Lieferkette hat sich ein im Familienbesitz von HiPP befindliches landwirtschaftliches Gut in Polen herauskristallisiert: Schon seit Jahren bewirtschaftet Stefan Hipp diesen Bio-Betrieb und entwickelt ihn konsequent weiter. Wegen der kalten Witterung vor Ort verbringen die dort gehaltenen Angusrinder und Schafe zwei bis drei Monate pro Jahr im Stall. „Der während dieser Zeit anfallende Mist wurde bis zum Projektstart auf einer Mistplatte gesammelt und gelagert, wobei klimaschädliches Methan ungehindert in die Atmosphäre entweichen konnte“, bemerkt Evi Weichenrieder. Experten des auf nachhaltige, klimaschonende Bodenbearbeitung spezialisierten Unternehmens Soil & More zeigten den Mitarbeitenden auf dem Hof, wie sie Kompost-Mieten anlegen. 

Ein Kompostwender belüftet die Kompost-Miete, vermeidet die Methanemissionen und gewährleistet einen kontrollierten Humusaufbau innerhalb von acht bis zehn Wochen. Im Kompostierungsprozess baut sich organische Substanz klimafreundlich um. Dabei wird statt klimarelevanter Verrottung durch aerobe Kompostierung der Methanausstoß deutlich reduziert. Der humusreiche Kompost wird auf die landwirtschaftlichen Flächen ausgebracht. Mit dem Kompostieren gelingt ein agrarisch sinnvoller Dreiklang:

  • Erhöhung des Wertes der landwirtschaftlichen Fläche durch den Humusaufbau
  • mehr Nährstoffe erreichen die Pflanze zum richtigen Zeitpunkt die Pflanze
  • Vermeidung des Ausstoßes klimaschädlicher Gase.

Eine Kultur, die die Natur nutzt, ohne ihr Schaden zuzufügen, ist an Effizienzsteigerung gar nicht interessiert, denn ihre Mitglieder befinden darüber, was sie für ihre Vorstellung von einem guten Leben brauchen und bestimmen danach, was sie für einen Mitteleinsatz benötigen.

Das Buch:

  • Florian Schwinn: Die Klima Kuh. Von der Umweltsünderin zur Klimaretterin. Westend Verlag, Neu-Isenburg 2024.

Weiterführende Informationen:

www.dieklimakuh.de

Wer schreibt hier?

Dr. Alexandra Hildebrandt
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Freie Publizistin und Autorin, Nachhaltigkeitsexpertin, Dr. Alexandra Hildebrandt

für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".
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