Warum Innovation-Hubs nicht funktionieren- und wie Großunternehmen dennoch innovieren können
Weltweit versuchen immer mehr etablierte Unternehmen, disruptive und kundenzentrierte Innovationen zu entwickeln. Warum? Sie haben Angst, ihren Marktanteil und Kunden an schnelle und agile Silicon Valley Start-ups zu verlieren. Die offensichtliche Lösung dafür: Die „Erfolgsmethoden“ der Start-ups werden kopiert, um in „Design Thinking Workshops“ und mit „Lean Startup Prototyping“ genauso brillante Ideen zu entwickeln und umzusetzen. Das Problem: die meisten dieser Ideen schaffen es noch nicht einmal auf den Markt. Denn diese Innovationsmethoden wurden explizit für Start-ups entwickelt, welche auf der „grünen Wiese“ ohne Einschränkungen und Restriktionen innovieren können. Große Unternehmen hingegen haben bereits einen erfolgreichen Betrieb mit etablierten Prozessen, Strukturen, Ressourcen, Mitarbeitern, Marken, Kunden, Märkten etc.
Eine neue Idee von der „grünen Wiese“ in diesem komplexen Unternehmensumfeld umzusetzen, ist schwerer als das berühmte Kamel durchs Nadelöhr zu bekommen. Dies führt für viele Unternehmen zu einem Dilemma: Gerade weil ein gut funktionierendes und erfolgreiches Geschäft besteht, werden viele bahnbrechende Innovationen verpasst. Langfristig kann durch dieses Versäumnis der Markt von neuen, kundenzentrierten Start-ups erobert werden. In seinem Buch „The Innovator’s Dilemma“ nennt der Harvard-Professor Clayton Christensen dieses Phänomen „Disruption“.
Glücklicherweise entwickelte Clayton Christensen auch eine passende Lösung für dieses Innovationsdilemma. Um die Ideen von der grünen Wiese in etablierten Unternehmen umsetzen zu können, müssen diese Unternehmen einfach eine grüne Wiese für die Umsetzung erschaffen. Anstatt also diese Ideen in den komplexen Unternehmenskontext zu integrieren, können sie wie bei den Start-ups in separaten Einheiten ohne die Restriktionen des Kerngeschäfts schnell und erfolgreich umgesetzt werden. Dieser Ansatz klingt zunächst logisch, und so bauen immer mehr Unternehmen sog. Innovations Hubs, Future Labs, oder ähnliche separate Innovationseinheiten auf. Getreu dem Motto „disrupt or be disrupted“ haben diese Einheiten die Aufgabe „disruptive“ neue Ideen oder Startups zu entwickeln. Die Hoffnung: Indem die „Schnellboote“ selber gebaut werden, werden diese irgendwann den „Tanker“ ziehen (oder ersetzen), statt dass dieser von anderen Schnellbooten überholt wird.
Leider ist diese Lösung nicht so brillant, wie es zunächst erscheint. So ist es kein Zufall, dass viele der ersten Innovation Hubs bereits an ihrer Aufgabe, millionenschwere Startups am Fließband zu generieren, gescheitert sind. Mit Beispielen von Nordstrom, Coca-Cola, Microsoft, Disney oder der New York Times lag es dabei sicherlich nicht an der unzulänglichen Organisation. Die Erklärung hierfür liegt vielmehr bei dem Konzept der separaten Innovationseinheiten an sich: Es ist nahezu unmöglich, Innovationen in der von Großunternehmen benötigten Größenordnung als Start-up zu entwickeln und zu skalieren. Denn durch die Separation vom Kerngeschäft verliert das Startup alle Vorteile und Stärken des etablierten Unternehmens. Somit haben diese Start-ups die gleiche Erfolgschance wie jedes andere – und diese ist sehr gering. Eine Studie von Bain & Company deckte auf, dass nur eins von 500 Start-ups in den USA einen Wertbeitrag von 100 Millionen USD erzielt. Wenn ein Wertbeitrag von 500 Millionen USD und profitables Wachstum erzielt werden soll, reduziert sich die Chance sogar auf 1:17.000.
Dies sind aber die Größenordnungen, die von großen Unternehmen benötigt werden. Wie sonst sollen sie den „Tanker“ ziehen oder sogar ersetzen können? Das Risiko für Großunternehmen, welche auf disruptive Innovationen in Innovation Hubs, Labs & Co. setzen, ist also groß, und entsprechend oft bleibt der Erfolg aus. Weshalb entscheiden sich dennoch so viele Unternehmen für genau für diesen Weg? Die Antwort ist einfach: Es fehlt die Alternative. Sogar Clayton Christensen bemerkt, dass dieser Ansatz nur ein „Backup-Plan “ ist, weil “wir noch nicht gelernt haben, Entrepreneurship intern zum Laufen zu bringen.“ Unter diesen Umständen ist eine 1:17.000 Chance immer noch besser als gar keine.
Doch was ist, wenn nicht das Unternehmen das Problem ist, sondern die Idee? Um den benötigten Innovationserfolg zu erlangen, den etablierte Unternehmen brauchen, sind Buzzword-geladene "Lean-Startup-Customer-Centric-Ideen" nicht genug. Stattdessen müssen Ideen sowohl kundenzentriert als auch umsetzungsstark sein, kurz: hohen Kundenfit und hohe Traktion erreichen.
Das Problem: Die aktuell produzierten, kundenzentrierten Innovationen undStart-ups haben im Normalfall eine zu geringe Traktion, und scheitern so in der Umsetzung oder am Markt. Etablierte Unternehmen besitzen aber eigentlich schon alle Zutaten für die Traktion. Denn ihre Ressourcen, Prozesse, Strukturen, Netzwerke, Marken und andere Fähigkeiten sind nicht nur Restriktionen, sondern gleichzeitig auch die Stärken, die zur Traktion führen. Um erfolgreich zu innovieren, müssen Unternehmen also kundenorientierte Ideen mit den Stärken (und Einschränkungen) ihres Kerngeschäfts verbinden. Diese Innovationen sind entsprechend so nah am Kerngeschäft wie möglich (für die Traktion) und so disruptiv wie nötig (für den Kundenfit).
Wir nennen dies "effiziente Innovation".
Zugegebenermaßen ist es nicht einfach, diese Art von Innovation zu entwickeln. Um in der Nähe des Kerngeschäfts zu bleiben, muss der ganze Prozess innerhalb der Restriktionen des Unternehmens, dem „Traktionsraum“, stattfinden. Gleichzeitig müssen Trends, Kundenbedürfnisse, Technologien und Beispiele aus anderen Branchen berücksichtigt werden, um so disruptiv wie nötig zu arbeiten. Effiziente Innovationen sind jedoch möglich: Ein Beispiel hierfür ist Amazon. Als bereits etabliertes Unternehmen brachte die Firma den Kindle e-Reader heraus, welcher nicht nur durch ein komplett digitales Leseerlebnis so disruptiv wie möglich war, sondern mit Hilfe der bestehenden Stärken (Leser, Verlagsnetzwerk, Inhalte) auch so nah wie möglich an Amazons Kerngeschäft. Auch LEGO schaffte es beispielsweise, mit Hilfe ihrer bestehenden Marke und Kunden komplett neue Märkte mit Filmen, Videospielen, Themenparks und sogar Workshop-Kits (LEGO Serious Play) zu erobern. Auch IBM konnte enorme Erfolge mit effizienter Innovation erzielen: In ihrem "Smarter Cities"-Geschäft bauen sie völlig neue Dienstleistungen für Städte, basierend auf ihren bestehenden Konnektivitäts- und IoT-Fähigkeiten. 10 Jahren nach dem Launch ist dieses Geschäftseinheit 10 Milliarden US-Dollar schwer.
Diese Beispiele zeigen zwar, dass effiziente Innovation gelingen kann – aber nicht wie. Entsprechend besteht weiterhin die Herausforderung, effiziente Innovationen systematisch zu entwickeln. Um uns dieser Herausforderung anzunehmen, haben wir mehr als 6 Jahre an dem perfekten Innovationsprozess für Großunternehmen geforscht, entwickelt und getestet. Das Ergebnis ist der 5C-Prozess für effiziente Innovation. Dieser führt von den Zielen und Kriterien des Unternehmens bis zur effizienten Innovation mit hoher Traktion und hohem Kundenfit. Diese durchaus komplexe Methodik haben wir gerade in einem 250-Seiten starken Buch „das Comeback der Konzerne“ beschrieben – folgerichtig kann ein Artikel den Prozess nicht in Gänze erklären. Die folgenden fünf Kernbausteine der Methodik helfen aber hoffentlich bereits dabei, in Zukunft nicht nur kundenzentriert, sondern auch erfolgreich zu innovieren:
Das Ziel ist der Weg: Der Weg zur effizienten Innovation beginnt nicht mit dem Kundenbedarf oder der Idee. Stattdessen führt zunächst die Betrachtung der Ziele und Kriterien des Unternehmens sowie die Ermittlung der wichtigsten internen und externen Erfolgsfaktoren (Traktions- und Kundenfaktoren) zu den relevantesten Innovationspotenzialen. Diese vereinen somit Kundenfit und Traktion und geben den Weg vor. (Configuration)
Kein Problem ist auch keine Lösung: Bevor es an die Entwicklung der Lösungen geht, müssen erst die Probleme besser verstanden werden - denn letztlich muss jede Innovation ein klar definiertes Kundenproblem lösen. Durch die qualitative und quantitative Ermittlung der Pain Points wird der höchstmögliche Kundenfit sichergestellt. Und indem im vorher definierten Innovationspotenzial gearbeitet wird, ist auch die Traktion durch die Umsetzbarkeit im Unternehmen gesichert. Auf dieser Basis werden die relevantesten Pain Points aus Kunden- und Unternehmenssicht ausgewählt. (Costumization)
Wer ernten will, muss erst säen. Heureka! Gute Ideen sind kein Zufallsprodukt - effiziente Innovationen entstehen nicht während ihrer morgendlichen Dusche. Der bessere (und systematischere) Weg ist, möglichst viele Inspirationen für die Beseitigung der Pain Points innerhalb des Innovationspotenzials zu sammeln. Schauen Sie sich Best Practices an, suchen Sie nach analogen Lösungen in anderen Branchen, und graben Sie nach Patenten oder Trends und Technologien der Zukunft. Auf diese Weise werden die Innovationspotenziale passend zu den ausgewählten Pain Points mit Inspirationen gefüllt. (Compilation)
Out of the box“-Ideen sind klasse, wenn man diese auch im freien Raum umsetzen kann. Wenn dabei jedoch die Traktion des Unternehmens genutzt werden soll, ist bereits eine konkrete Box vorgegeben. Deswegen bringt kreatives Brainstorming auf der grünen Wiese in dieser Situation wenig. Stattdessen werden mit den gesammelten Inspirationen passende Lösungen zu den Pain Points in den relevanten Innovationspotenziale erarbeitet. Dies ist zwar aufwändiger, mit neuen Perspektiven und Werkzeugen können jedoch nicht nur perfekt passende Ideen, sondern sogar noch bessere Ideen als auf der grünen Wiese gefunden werden. Anschließend gilt es, die besten Ideen zu umsetzungsfähigen Innovationskonzepten weiterzuentwickeln, welche genau die Stärken und Restriktionen des Unternehmens sowie die Bedürfnisse der Kunden erfüllen. (Construction)
Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg: Mit umsetzungsfähigen Innovations-konzepten, die perfekt an das Unternehmen sowie die Kundenbedürfnisse angepasst sind, wird die Motivation hoch sein, diese jetzt zu implementieren. Nach der Auswahl des besten Konzeptes durch die Entscheider sollte das Implementierungsteam festlegen, wie genau sie es umsetzen möchten. Nach diesem "Ownership- Transfer“ können die Ideen prototypisiert und getestet werden, um sie anschließend mit den bereits existierenden Ressourcen des Unternehmens auf den Markt zu bringen. Die daraus erfolgte effiziente Innovation hat nun eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit, da sie auf den Stärken des Kerngeschäfts (Traktion) aufbaut und den Kundenbedürfnissen entspricht (Kundenfit). (Conversion)
Wie läuft Ihr Innovation-Hub? Sind Sie erfolgreich mit Start-up Methoden und rein kundenzentrierten Innovationen oder verspüren Sie den Drang nach neuen Lösungen in Ihrem Unternehmen? Haben Sie vielleicht auch schon einen Innovationsansatz speziell für Ihr Großunternehmen entwickelt? Lassen Sie es mich in den Kommentaren wissen oder schreiben Sie mir gerne persönlich!
Dieser Artikel erschien erstmals auf venture-idea.com und wurde zusammen mit Lysander Weiß verfasst.