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Warum Kalender im Zeitalter der Digitalisierung wertvolle Begleiter des Alltags sind

„Leben heißt Zeit in Erfahrung zu wandeln.“ Caleb Gattegno

Erinnern und vergessen

Kalender stehen nicht unbedingt im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses. Dennoch ist dieser Gebrauchsgegenstand für viele Menschen auch im Zeitalter der Digitalisierung, in dem sich Termine schnell und einfach am Smartphone oder Laptop planen lassen, unverzichtbar. Sie lieben die Haptik klassischer Taschenkalender und Terminplaner, die ihrem Leben eine greifbare Struktur geben. „Mein Eindruck ist, dass immer mehr Menschen auch wieder gedruckte Kalender verwenden“, sagt die Nachhaltigkeitsexpertin Claudia Silber, die hauptberuflich bei der memo AG die Unternehmenskommunikation leitet. Sie setzt auf den klassischen Kalender, weil Termine im Handy eher vergessen werden. „Wenn sie im täglichen Kalender handschriftlich notiert werden, „ist alles gut.“ Kalender sind Ordnungshalter des Lebens und Aufbewahrungsort von Erinnerungen, die nicht vergessen werden sollen.

Plan vom guten Leben

In einem Kalender ist alles gut sortiert. Die meisten bieten außerdem genügend Platz, um wichtige Gedanken, Skizzen, Notizen, erinnerungswürdige Bücher und Filme sowie Begegnungen festzuhalten. Moderne „Achtsamkeitskalender“ sind Terminkalender, Lebensplaner und Sachbuch in einem. „Ein guter Plan“ geht auf die Idee von Milena Glimbovski, Gründerin des verpackungsfreien Ladens Original Unverpackt in Berlin, und Jan Lenarz, der die nachhaltige Extremsport-Marke Vehement gegründet hat. Er wurde vor einigen Jahren als Crowdfunding-Kampagne gestartet und besteht aus FSC-zertifiziertem Papier. Erhältlich ist der „gute Plan“ in verschiedenen Farben. Mithilfe einer Crowdfundingkampagne startete 2017 auch das Projekt „Woodbook – Dein hölzerner Wegbegleiter“. Das langlebige Holzbuch mit Kalender- oder Notizbuchinhalt wird aus ressourcenschonendem Holzfurnier gefertigt.

Heute, wo viel vom guten Leben gesprochen wird, sollen Kalender vor allem individuell und nachhaltig sein. Immer mehr Menschen bevorzugen deshalb handgefertigte Jahresplaner, die eine ästhetische Alternative zu herkömmlichen Kalendern sind und mittlerweile von vielen Buchbindereien angeboten werden. Vom Minitimer bis zum Buchkalender, der auch mit dem Siegel des Blauen Umweltengels angeboten wird, sind unterschiedliche Formate erhältlich. Dabei werden Pappe, Papier und Leinen verwendet. Häufig wird dafür recyceltes Altpapier genutzt, und die Produktion des Leinens kommt ohne den Zusatz von Lösungsmitteln, Formaldehyd, PVC und Chlor aus. Zudem wird darauf geachtet, dass der Klebstoff lösungsmittelfrei und wasserlöslich ist. Beim „Roten Faden“ bildet eine stabile wiederverwendbare Hülle die Basis: An Klammern können jährlich je nach Bedarf verschiedene Hefte wie Jahreskalender, Notizen, Adresshefte oder Geburtstagskalender angeordnet werden. Die in Handarbeit in Deutschland produzierten Taschenbegleiter bestehen aus unterschiedlichen nachhaltigen Materialien wie einem recycelten Gummituch, pflanzlich gegerbtem Leder, langlebigen Kunststoff-Bodenbelägen und Wollfilz.

Auch Verlage reagieren auf diesen Trend: Angeboten werden beispielsweise Green Line Terminplaner mit FSC-zertifiziertem Papier. Anstelle von erdölbasierten Farben sind die Kalender mit einer Tinte auf Sojabasis gedruckt. Auch Nature Line gehört zu den umweltfreundlich produzierten Terminplanern – hier stammt das verwendete Papier ebenfalls aus nachhaltiger Forstwirtschaft (FSC- oder PEFC-Zertifikat). Der mit dem Blauen Engel ausgezeichnete Zettler Buchkalender besteht aus Recyclingpapier und bietet viel Platz für Notizen und Termine (Quelle: memolife).

Der taschenGARTEN ist ein persönlicher Terminplaner und politischer Gartenkalender mit einer wöchentlichen Anbauplanung für den (Gemüse-)Garten. 2020 beschäftigt er sich mit den Fragen: Was macht unsere Gärten und Äcker widerstandsfähig gegenüber Beikräutern, Pilzen, Schädlingen oder Extremwetterereignissen, sodass sie uns trotzdem eine reiche Ernte bringen? Wie kann eine Umstellung auf eine vollständig pestizidfreie Landwirtschaft gelingen?

Diese Entwicklung im Bereich des Kalenderwesens sagt viel über uns und unsere Gegenwart aus: Wir wollen wieder bewusster mit Zeit umgehen und ihr einen nachhaltigen Rahmen geben, den wir selbst gestalten. Doch wie sahen das frühere Generationen? Hans Kratzer verwies darauf in einem sehr anregenden und lesenswerten Beitrag in der Süddeutschen Zeitung. Die ersten Exemplare der Schreibkalender hatten im 16. Jahrhundert noch nicht das Gewand der populären erbaulichen Volkskalender aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Kalender halfen Gelehrten und Kaufleuten bei der Organisation ihres Alltags. Bereits seit der Erfindung des Buchdrucks hingen Einblattkalender in den Häusern. Sie gaben Auskunft über die Tage und an welchem Körperteil der Aderlass (seit der Antike eine gebräuchliche Maßnahme zur Gesundheitspflege) am besten vorgenommen werden könnte. Als Variante des Einblattkalenders tauchte Mitte des 16. Jahrhunderts der Kalender in Heftform (Quartheft) auf. Ab Mitte des 17. Jahrhunderts enthielten Schreibkalender auch Bildungs- und Unterhaltungstexte. Als Prototyp des Jahreskalenders setzte sich der Kalender dann im Quartformat durch.

Zeige mir deinen Kalender, und ich sage dir, wer du bist. So kann vereinfacht die Logik beschrieben werden, die heute beim Erwerb eines Kalenders häufig eine Rolle spielt. Wer sich einen Kalender kauft, achtet bewusst darauf, dass das Produkt auch seine Persönlichkeit unterstreicht. Ein Kalender ist ein Statement und ein haptisches Erlebnis, das viel über den Besitzer aussagt. Gibt es ihn nur noch digital, ist auch die Persönlichkeit kaum noch zu fassen.

Weiterführende Informationen:

Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Von Lebensdingen: Eine verantwortungsvolle Auswahl. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.

Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Dinge des Lebens im Zeitalter der Digitalisierung. In: CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. SpringerGabler Verlag, Heidelberg Berlin 2017.

Hans Kratzer: Die beste Zeit für den Aderlass. In: Süddeutsche Zeitung (3.1.2018), S. 30.

taschenGARTEN 2020: Widerständig gärtnern. Hg. von Ann Kathrin Bohner, Anja Banzhaf, GartenWerkStadt Marburg. Oekom Verlag, München 2019.

Kommentare

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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