Dr. Alexandra Hildebrandt

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für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Warum Landwirtschaft und Ernährungssystem nachhaltig transformiert werden müssen

Dr. Alexandra Hildebrandt

Das Ökosystem Boden

„Wahrlich, wenn dieser Boden schreien könnte wie eine Kuh oder ein Pferd, dem man ein Maximum von Milch oder Arbeit mit dem geringsten Aufwand an Futter abquälen wollte, für diese Landwirthe würde die Erde schlimmer als die Dante’sche Hölle sein! Darum ist der vortheilhafte Betrieb dieser modernen Landwirthschaft nur auf grossen Gütern möglich, denn der Raub hat auf den kleinen bald ein Ende“, schreibt Justus von Liebig in „Chemische Briefe“ (1878). Das war nur ein Vorgeschmack dessen, was wir heute verdauen müssen: Schwermetallhaltige Dünger, Pestizide, ein exzessiver Stickstoffeintrag, Rückstände von Antibiotika und anderen Medikamenten belasten unsere Böden. Das Saatgut ist das erste Glied in der Nahrungsmittelkette und gehört zu den Grundlagen unserer Ernährung. Leider wurden vielen komplexen Anbausystemen wurden Monokulturen gemacht, die Agrarökosysteme sehr anfällig macht - dabei wären vielfältige Felder und Pflanzen krisensicherer (resilienter). In den vergangenen hundert Jahren war ein dramatischer Sortenverlust zu verzeichnen. In den 1990er Jahren bekam die Saatgut-Frage „durch die sich ankündigende Gentechnik eine neue Dringlichkeit“ (Laura Krautkrämer). Immer neue Zuchttechniken und Sorten-Patentierungen durch marktbeherrschende Konzerne unterstreichen die Notwendigkeit der ökologischen Pflanzenzüchtung, die sich dafür einsetzt, dass dies auch künftig so bleibt. Saatgutsouveränität ist eine Grundlage von Ernährungssouveränität.

Böden leisten weltweit einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen Hunger, Armut und Klimawandel und sind wichtig für die Produktion von Nahrungs- und Futtermitteln, Bioenergie sowie Biomasse für die Chemie- und Textilindustrie. Fast zweitausend Jahre dauert es, bis zehn Zentimeter fruchtbarer Boden wächst. Allein in Deutschland gehen täglich Bodenflächen in der Größe von über hundert Fußballfeldern verloren. Bleiben unsere gegenwärtigen Konsum- und Produktionsmuster unverändert, erreichen wir bald die Grenzen der ökologischen und sozialen Tragfähigkeit unserer Erde. Über 90 Prozent aller Nahrungsmittel entstehen im, auf oder durch den Boden. Nur nährstoffreiche Böden bringen nährstoffreiche Lebensmittel hervor und stehen langfristig für die Lebensmittelproduktion zur Verfügung. Die Lebensmittelproduktion sollte den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln auf das Nötigste begrenzen, Überdüngung vermeiden und aktiven Bodenschutz betreiben (z.B. durch Fruchtfolgen und das Setzen auf Vielfalt auf dem Acker). Denn Böden sichern die Biodiversität und spielen eine entscheidende Rolle in der Wasserregulierung, sie dienen zudem als gewaltige Kohlenstoffspeicher, denn sie binden mehr Kohlenstoff als die Atmosphäre und die gesamte Erdvegetation zusammen. Die Art und Weise, wie all diese Landressourcen verwaltet und genutzt werden, bedroht die Gesundheit und das weitere Überleben vieler Arten auf der Erde - einschließlich unserer eigenen.

Bauern sterben

In seinem aktuellen Buch „Bauernsterben“ beschreibt Bartholomäus Grill, der 1954 in Oberaudorf am Inn geboren wurde und auf einem Bauernhof aufwuchs, den seine Eltern in der Tradition nachhaltiger Kreislaufwirtschaft führten, den globalen Siegeszug der Agrarindustrie sowie die fatalen Folgen für Mensch, Tier und Umwelt: „Die Vorfahren wirtschafteten nachhaltig, auch wenn damals niemand dieses Wort gebrauchte, der schonende Umgang mit den Ressourcen war ein ungeschriebenes Gebot.“ Analysiert werden die ökonomischen, ökologischen und sozialen Schäden, welche die industrielle Landwirtschaft der Gegenwart anrichtet. Auch fallen landwirtschaftliche Arbeitsfelder weg, Dörfer veröden, und in einigen Gegenden wird die Infrastruktur immer löchriger. Im Fokus steht die Plünderung der begrenzten biologischen Ressourcen und die flächendeckende Zerstörung unserer Lebensgrundlagen: „Es steht zu befürchten, dass die zerstrittene und konfuse Weltfamilie die Notwendigkeit einer Agrar- und Ernährungswende erst erkennen wird, wenn sich die globalen Krisen in einem ungeahnten Ausmaß verschärfen.“ Sein Buch ist ein Plädoyer für eine radikale Transformation unseres Landwirtschafts- und Ernährungssystems. Dazu gehören:

  • die Erhaltung einer Wirtschaftsform, die am Anfang unserer Nahrungskette steht, Einkommen schafft, soziale Identität stiftet und gesamtgesellschaftliche Wohlfahrtsfunktionen erfüllt
  • den Schutz bedrohter Habitate
  • die Pflege der Kulturlandschaft
  • die Bewahrung des Dorflebens und der Agrarkultur, in deren Zentrum Bäuerinnen und Bauern stehen, die im Einklang mit der Natur wirtschaften.

Die Umsetzung eines bodenerhaltenden Lebensmittelsystems erfordert verantwortungsbewusstes Handeln von:

  • Politik: rechtlicher Schutz des Bodens und Förderungen von Maßnahmen für den Bodenschutz (integrative Ansätze).
  • Erzeuger:innen: bodenerhaltendes Wirtschaften
  • Verbraucher:innen: Bereitschaft, einen höheren Preis für ökologisch erzeugte Lebensmittel zu zahlen.

Der Bericht Global Land Outlook 2 (GLO2) des UNCCD, an dem fünf Jahre lang mit 21 Partnerorganisationen gearbeitet wurde, ist die umfassendste Zusammenstellung von Informationen zu diesem Thema, die je zusammengetragen wurde. 

Er bietet einen breiten Überblick und projiziert die planetarischen Folgen von drei Szenarien bis zum Jahr 2050. Investitionen in die großflächige Wiederherstellung von Böden sind ein wirksames und kosteneffizientes Instrument zur Bekämpfung von Wüstenbildung, Bodenerosion und dem Verlust der landwirtschaftlichen Produktion. Grill, der den Beginn der „grünen Revolution“, den Modernisierungsschub der Landwirtschaft, die mit einem beispiellosen Bauernsterben verbunden war, selbst erlebte, studierte Philosophie, Soziologie und Kunstgeschichte. Vier Jahrzehnte lang hat er als Korrespondent der ZEIT und des SPIEGEL aus Afrika berichtet und immer wieder über den Siegeszug der globalen Landwirtschaft geschrieben, die das Gesicht unseres Planeten stark verändert hat: „Einst kleinteilige und vielgestaltige Landschaften haben sich in monotone Produktionsräume verwandelt, Dörfer mutierten zu öden Schlafsiedlungen, Hunderttausende Familienbetriebe wurden von der Walze des Fortschritts überrollt und mussten aufgeben.“ Ende der 1950er Jahre gab es in Westdeutschland noch 1390.000 landwirtschaftliche Betriebe. 2022 erfasst das Bundeslandwirtschaftsministerium noch 256.000 Betriebe (über eine Million weniger als Ende der 1950er Jahre!). Dieser Thematik widmete der Autor Franz Xaver Kroetz auch sein dramatisches Fragment "Bauern sterben", das 1985 an den Kammerspielen uraufgeführt wurde. Mit den Höfen starben auch Handwerks- und Gewerbebetriebe, die von der Landwirtschaft gelebt und die Landgemeinden versorgt hatten.

Bartholomäus Grill verweist außerdem darauf, dass die moderne Landwirtschaft zu den größten Emittenten von klimaschädlichen Treibhausgasen gehört (Dieselverbrauch von Traktoren und Landmaschinen, Herstellung von Kunstdünger und Pestiziden, Verarbeitung der Biomasse, Transport und Distribution der Endprodukte). Allerdings ist der Treibhausgasausstoß der Bio-Landwirtschaft viel geringer als in der konventionellen Landwirtschaft, da er weitgehend ohne Agrochemikalien auskommt (die Produktion von Pestiziden und Mineraldünger benötigt auch sehr viel Erdöl) Generell könnten die CO2-Emissionen bereits heute durch die Skalierung bestehender Technologien wie anaerobe Güllevergärung in Biogasanlagen reduziert werden. Noch effektiver wäre die Entwicklung nachhaltiger Schlüsseltechnologien (z.B. die Reduktion der Methanausscheidung auf biochemischem Weg oder die Züchtung klimaschonender Pflanzenvarianten). Vor allem aber sollte der „Trend“ zu gesunder Ernährung beschleunigt werden: „Dazu gehören der verstärkte Anbau von regionalen Produkten und die weitere Förderung des bereits existierenden Verbrauchertrends, weniger Fleisch zu konsumieren“, bemerken Stefan Helmcke und Ruth Heuss von McKinsey & Company, deren Analysen klar zeigen: „Ohne einen grundlegenden Wandel im Ernährungsverhalten werden Nullemissionen in diesem Sektor eine Illusion bleiben.“

In den 17 Sustainable Development Goals (SDGs) spielen Böden bzw. Landflächen eine wichtige Rolle. 

 Das betrifft zum Beispiel die Ziele zur Ernährungssicherheit (SDG 2), Energieversorgung (SDG 7), Produktion und Konsum (SDG 12) sowie zur nachhaltigen Nutzung der Ökosysteme (SDG 15). Am wichtigsten ist allerdings die konkrete Umsetzung vor Ort. HiPP stellt die Erkenntnisse aus dem Klimaschutz-Pilotprojekt seinen Rohstoff-Lieferbetrieben zur Verfügung. Dadurch möchte das Unternehmen flächendeckend von den Vorteilen einer gezielten Kompostierung überzeugen und den Umbau zu einer noch klimafreundlicheren Bio-Landwirtschaft gezielt voranbringen. §Die Herangehensweise der Kompostierung ist vergleichsweise einfach und hat viele positive Nebeneffekte, die beispielsweise die Klimaresilienz landwirtschaftlicher Kulturen fördert. Humusreiche Böden nehmen mehr Wasser auf und speichern es. Dadurch weisen sie sowohl bei Nässe als auch in Trockenperioden weniger Ertragsschwankungen auf. Gesunde Böden sind damit auch in Jahren mit ungünstiger Witterung ertragsstabil. Außer der Kompostierung versuchen die Verantwortlichen im Rahmen dieses Projektes großflächig, Brachezeiten zu vermeiden und den Boden schonender zu bearbeiten“, schreibt Evi Weichenrieder in ihrem Buchbeitrag, der ebenfalls im Sammelband „Klimaneutralität in der Industrie“ erschienen ist.

Enthalten ist ebenfalls ein Beitrag des österreichischen Unternehmers Josef Zotter, in dem er beschreibt, dass viele Zotter-Lieferanten in der kleinstrukturierten Landwirtschaft arbeiten - angefangen bei den Kakaokleinbauern (5 ha Flächen) bis zu den Tiroler Bergbauern, die die Bio-Milch für die Schokolade liefern. Das Unternehmen verwendet über 1 Mio. L Tiroler Bio-Bergmilch. Dadurch werden 800 ha Almfläche geschützt. „Eine Million Liter Milch stehen für 800 ha biologisch bewirtschafteter Fläche mit Artenvielfalt, Grundwasser- und Bodenschutz. Extensive Landwirtschaft ist immer ein Gewinn für die Umwelt“, so der Unternehmer, der sich auch für den Erhalt von Edelkakao einsetzt. Denn der Edelkakao-Bestand ist weltweit bedroht, weil er durch ertragreiche Kakao-Klone verdrängt wird. „Dabei ist der Erhalt von Edelkakao auch aus ökologischer Hinsicht überaus wichtig. Es geht um den Erhalt alter Arten und der Artenvielfalt.“ Die eigene Landwirtschaft ist 95 ha groß und besteht aus dem „Essbaren Tiergarten“ direkt bei der Schokoladenfabrik sowie weiteren Flächen in der Nachbarschaft, die als Wechselweiden verwendet werden. Damit wird die Vision einer starken, autonomen Landwirtschaft verfolgt, die mit der dazugehörigen Gastronomie komplett bio-zertifiziert ist.

Die Vision einer besseren Welt verfolgt auch die junge Unternehmerin Christine Bergmair in Steindorf. 

Die Gemeinde mit ca. 900 Einwohnern liegt im Dreieck zwischen Augsburg, Fürstenfeldbruck und Landsberg. Die Lokalisation zwischen Augsburg und München sowie im Wittelsbacher Land tragen dazu bei, dass die Region sehr wirtschaftsstark ist. Erfolgreiche Unternehmen sowie die Stadtflucht tragen zum starken Bevölkerungswachstum der Region bei. Dennoch ist sie von ländlicher Umgebung und landwirtschaftlichen Betrieben geprägt. Seit 2022 arbeitet Bergmair aktiv an der Umsetzung des Gesundhaus i-Tüpferl, in dem Gesundheit und Prävention ganzheitlich und zukunftsfähig gelebt werden soll. Im August 2022 wurde sie Geschäftsführerin der Torgauer Landhandels GmbH – ein privatgeführtes Familienunternehmen, das EU-weit im Agrar- und Landhandel tätig ist. Hier begleitet sie den Wandel in die neue Zeit und möchte im Projekt i-Tüpferl beide Themen – Gesundheit und Qualität von Lebensmitteln – im Sinne des nachhaltigen Wirtschaftens zusammenbringen.

Inspiriert vom Senfanbau in der familiengeführten Landwirtschaft wurde das Logo in senfgelber Farbe ausgeführt. „Der Senf hat einen starken Bezug zur Familie und zur Region, da wir als einer der wenigen landwirtschaftlichen Betriebe in Bayern Senf kultiviert haben. Meist ist der Senf lediglich als Zwischenfrucht geschätzt. Die zahlreichen gesundheitsfördernden Eigenschaften sowie der vielseitige Einsatz in der Küche machen ihn zu einer spannenden Pflanze! Gemeinsam mit dem Wort i-Tüpferl soll unsere Vielfalt sichtbar werden, aber auch das Verfeinern und Weiterdenken, das in der Wortbedeutung und im ganzheitlichen Konzept Ausdruck findet“, so die Unternehmerin. Die Marke i-Tüpferl soll für Qualität in den angebotenen Produkten und Dienstleistungen stehen (z. B. Vorträge für Kinder in Schulen über Getreide und Grundnahrungsmittel, Ernährungsberatung, Angebote zu den Themen gesunde Ernährung, qualitative Lebensmittel, Kochen mit natürlichen Lebensmitteln). Dabei wird sie von einem ganzheitlichen Ansatz geleitet: Neben der Herstellung eigener, regionaler Lebensmittel geht es ihr um die Vermittlung von zukunftsfähigen Programmen zum Erhalt der Artenvielfalt und für eine nachhaltige Landwirtschaft, zudem wird an neuen Konzepten für Erhaltung der Bodengesundheit in der Landwirtschaft gearbeitet, es gibt eine Ausgleichsfläche mit artenreicher extensiver Grünladwiese und Streuobstbäumen. Ihr Beispiel zeigt ebenfalls, dass es noch Bauernhöfe gibt, die ressourcenerhaltend wirtschaften, die Biodiversität fördern und das Klima durch optimale Kohlendioxidfixierung schonen. Viele Bauernhöfe sind tot – aber die Hoffnung auf ein gutes Leben stirbt zuletzt.

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Freie Publizistin und Autorin, Nachhaltigkeitsexpertin, Dr. Alexandra Hildebrandt

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Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".
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