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Wie die Gene unsere Wahrnehmung prägen

Die einen sehen einzelne Bäume, die anderen den Wald als Ganzes. Ob wir eher konkret oder abstrakt wahrnehmen, ist angeboren – und bestimmt nachhaltig unsere Jobpersönlichkeit

"Diversity" ist das Gebot der Stunde im Berufsleben. Wir wissen, dass unterschiedliche Charaktere für ein Unternehmen wichtig sind, sonst gibt es keine neuen Impulse und keinen Fortschritt. Auch wenn wir das theoretisch gut und richtig finden, gibt es in der Praxis dennoch Kolleg*innen, die uns mit ihrer Andersartigkeit manchmal verwirren vielleicht sogar anstrengen. Warum nur sieht Herr X oder Frau Y nicht, was man selbst sieht?

Die Antwort könnte in den Genen liegen. Abgesehen davon, dass unsere frühen Lebenserfahrungen uns prägen, haben wir alle auch eine genetische Ausstattung mitbekommen, die unsere Individualität ausmacht. Diese angeborenen Persönlichkeitsmerkmale wurden von etlichen Psychologen und Neuropsychologen erforscht. Darauf basierend haben zunächst der Arzt und Psychoanalytiker C. G. Jung und dann die Amerikanerinnen Katharine Briggs und Isabel Myers eine psychologische Typenlehre entworfen. Ich arbeite als Psychotherapeutin mit diesem Konzept aus vier psychologischen Dimensionen und insgesamt 16 unterschiedlichen Charakteren. (Auf meiner Homepage gibt es dazu einen kostenlosen Persönlichkeitstest.)

Eine dieser psychologischen Persönlichkeitsdimensionen betrifft die Art der Wahrnehmung. Alle Menschen nehmen die Welt über ihre fünf Sinne wahr. Die einen richten ihren Blick allerdings stärker auf die fassbare, dingliche Welt. Diese sogenannten „Konkreten“ haben Zahlen, Details und Fakten im Blick und oft ein Gedächtnis wie eine Datenbank. Der Gegenpol dazu sind die „Abstrakten“: Sie nehmen eher das große Ganze und übergeordnete Muster wahr, interessieren sich mehr für Theorien und Zusammenhänge als für Details.

In der Arbeitswelt fallen die Unterschiede zwischen diesen beiden Polen besonders deutlich ins Auge. Die Stärke der Abstrakten liegt in der konzeptionellen Phase eines Projektes, wo sie mitunter visionäre Fähigkeiten entwickeln. Die Konkreten sehen die einzelnen Punkte, die für die Realisierung wichtig sind. Sie scheren oft schon in der Entwurfsphase mit einigen berechtigten Einwänden dazwischen. Das kann zu Reibereien führen: Die Abstrakten finden dann, dass die Konkreten „Erbsenzähler“ sind. Die Konkreten sind genervt von den wenig greifbaren Ideen der Abstrakten.

Ein paar einfache Tipps im Umgang können Abstrakten und Konkreten schon helfen, um ihre Zusammenarbeit zu erleichtern.

Konkrete beschäftigen sich gerne mit Dingen, die einen Praxisbezug haben, die anwendbar und machbar sind. Sie ermüden schnell, wenn es um den Austausch von Theorien oder Konzepten geht, bei denen sie den praktischen Nutzen nicht erkennen können.

Wer einen Konkreten von etwas überzeugen möchte – sei es nun die Chefin, der Vorgesetzte oder ein Teamkollege – sollte seine Bodenständigkeit beachten: Konkrete sind meistens skeptisch gegenüber Neuem. Eine Präsentation oder ein Vorschlag sollte immer jede Menge Fakten und Erfahrungswerte und weniger abstrakte Ideen enthalten.

Umgekehrt verhält es sich mit den abstrakten Denkern. Da sie sich für Innovationen begeistern und gedanklich gern in die Zukunft schweifen, entwerfen sie mit Leichtigkeit Strategien, Produktideen und Lösungswege. Die Ausarbeitung von ihren eigenen Entwürfen bis hin zu konkreten Einzelheiten quält Abstrakte hingegen.

Wer einem Abstrakten etwas vermitteln möchte, sollte sich auf das Wesentliche konzentrieren. Wenn sich das Gespräch zu lange nur um Gegenständliches dreht, schwenken die Gedanken eines Abstrakten ab. Wenn er den übergeordneten Sinn von etwas verstehen kann, versteht er auch den Sinn der konkreten Ausarbeitung.

Zusammengefasst bedeutet das: Wo sich der Abstrakte vor Ideen ohne Taten hüten muss, ist die Gefahr für den Konkreten, dass er einen zu ausgeklügelten Maßnahmenplan entwirft. Weil sich diese beiden Typen also eigentlich hervorragend ergänzen, ist ihr Teamwork im Unternehmensalltag unverzichtbar.

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Stefanie Stahl schreibt über Gesundheit & Soziales, Job & Karriere

Stefanie Stahl ist Deutschlands bekannteste Psychotherapeutin. Ihr Ratgeber „Das Kind in dir muss Heimat finden“ steht seit 2016 auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste. Stahl ist eine gefragte Keynote Speakerin. Sie gilt als DIE Expertin, wenn es um Liebe, Bindungsangst und Selbstwertgefühl geht.

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