Wie die „Generation Anspruch“ den Stellenwert von Arbeit in unserer Gesellschaft verändert
Arbeit hält eine Gesellschaft im Innersten zusammen. Allerdings hat sich in den vergangenen Jahren die Art und Weise geändert, wie wir über unsere Berufe und Berufungen sprechen und denken.
„Arbeit spaltet offensichtlich Generationen“, sagt David Gutensohn. Der Journalist bei ZEIT Online ist Teil der Generation Y. Er studierte Sozialwissenschaften und absolvierte die Deutschen Journalistenschule. Als Journalist berichtet er regelmäßig über den Arbeitsmarkt in Deutschland, über Arbeitslosigkeit, Homeoffice, Ausbeutung in der Pflege und auf dem Bau oder über den Fachkräftemangel. „Es muss darum gehen, Berufe, für die dringend Personal gesucht wird, attraktiver zu machen. Angefangen bei der Bezahlung bis hin zu den Arbeitsbedingungen. Nur auf diesem Wege können wir daran arbeiten, dass dem Fachkräftemangel noch entgegengewirkt wird.“ Er ist 30 Jahre alt und damit Teil der Generation Anspruch, die die Arbeit kritischer hinterfragt, als es ihre Vorgängergenerationen taten.
Warum soll es falsch sein, Arbeit abzuschaffen, die krank macht? Wie soll die Zukunft der Arbeit aussehen? Wer soll künftig den Wohlstand erwirtschaften, von dem auch seine Generation profitiert? Mit diesen Fragen und dem Vorwurf, dass seine Generation faul, unreflektiert und arbeitsunwillig sei, beschäftigt er sich in seinem Buch „Generation Anspruch. Arbeit ist nicht alles – und das ist auch gut so“. Er zeigt, dass das alte Bild von Arbeit, das von allen von den Babyboomern geprägt wurde („Mit Fleiß und Schweiß ist alles möglich.“), nicht mehr zeitgemäß ist: „Mehr Arbeit kann nicht die Lösung für die Herausforderungen unserer Zeit sein. Die Art, wie wir arbeiten, muss sich ändern.“
Junge Menschen wollen Arbeit nicht mehr über alles stellen. Das heißt allerdings nicht, dass sie egoistisch und „faul sind oder keinen Bock auf Arbeit haben.“ Dass über die junge Generation abwertend gesprochen wird, ist nicht neu. Gutensohn verweist darauf, dass sich das Muster durch die Geschichte hindurchzieht: „Die Jugend ist gottlos und faul“ ist bereits 1000 v. Chr. auf Tontafeln zu lesen. Aristoteles nannte die Jugend unverantwortlich und unerträglich. Eine wichtige Botschaft des Buches ist, dass wir von Schubladendenken, Klischees und Pauschalisierungen wegkommen.
Klischeevorstellungen sind bequem, denn sie erleichtern das Denken und sind eng mit der Sprache und Begriffen verbunden, die durch Vereinheitlichungen komplexer Sachverhalte entstehen.
Leider neigen Menschen oft dazu, die Welt nur in Schwarz oder Weiß zu sehen. Dazu gehört es auch, die junge Generation schlechtzureden. Gutensohn kritisiert vor allem die Politik, wo einige vor allem ihre älteren Wählergruppen im Blick haben: „Man versucht, zu punkten und bedient sich einfacher Muster. Damit kritisiert man die einen, aber schlägt sich eben auch auf die Seite der anderen.“
Auch wird immer wieder versucht, Alterskohorten zu unterteilen, oder es wird von „den“ jungen Menschen gesprochen, die unter völlig anderen Bedingungen aufgewachsen ist (was ihnen nicht vorgeworfen werden kann) als ihre Vorgängergeneration, aber wie die ältere heterogen und divers ist. Um die Krisen dieser Welt zu meistern, braucht es Zusammenhalt, nicht Spaltung. Deshalb ist es wichtig, die Debatte rational zu führen, sich generationenübergreifend auszutauschen und zu erkennen, wie wichtig es ist, dass die Generationen voneinander lernen: „Die Jungen müssen sehen, was in der Vergangenheit geleistet wurde, die Älteren müssen verstehen, dass auch sie profitieren, wenn die Arbeitswelt sich ändert.“
Dabei ist es wichtig, Altersunterschiede und unterschiedliche Prägungen mitzudenken. Die verschiedenen Generationen sind einerseits aufeinander angewiesen und müssen vorhandene gesellschaftliche Probleme gemeinsam lösen. Dazu braucht es auch solche Abgrenzungen, um ein Phänomen zu erklären und aufzuzeigen, „welche Unterschiede es zwischen den Generationen gibt und wie diese vielleicht überwunden werden können.“ Deshalb spricht Gutensohn von der Generation Anspruch:
- Sie will gute und sinnstiftende Arbeit, die glücklich macht.
- Auf „Bullshit-Jobs“ (David Graeber), die eine Maschine erledigen kann, soll verzichtet werden.
- Sie will in Elternzeit gehen und sich die Care-Arbeit zu Hause fair teilen.
- Es geht ihr um Freizeit, nicht um Faulheit.
- Sie leben in der Gegenwart leben, weil die Zukunft unsicher ist.
- Geld ist für sie lediglich ein Wechselmedium - eine Art „Zwischenspeicher für Zeit" (Hermann Scherer).
- Sie glauben nicht mehr an die großen Geschichten von der Zukunft. Relevant ist für sie eher das, was sie überschauen und verändern können in kleinen Gemeinschaften bzw. im eigenen Netzwerk.
- Die Eigenverantwortung für die eigene Gesundheit spielt eine wichtige Rolle.
- Sie will sich mit Unternehmen identifizieren.
- Ihnen ist bewusst, dass gerade sie von den Folgen des fortschreitenden Klimawandels betroffen sein werden, und dass sie selbst einen Beitrag leisten müssen.
- Luxus ist nicht mehr mit alten Statussymbolen verbunden, sondern mit (Eigen-)Zeit.
- Sie wissen, dass Tugend und politische Weisheit ohne Muße nicht möglich sind. Wer sich ihr hingibt, zieht sich von der alltäglichen Welt beobachtend zurück, um dann mit erneuter Kraft wirksam und produktiv zu sein.
- Sie will Selbstbestimmung statt Fremdbestimmung.
- Immaterielles und Soziales steht für sie genauso im Fokus wie Partizipation. Viele engagieren sich ehrenamtlich.
- Sie erleben täglich in der krisengeprägten, komplexen Welt, dass Träume auch platzen können. Gesucht wird deshalb Stabilität in einer Welt, die immer mehr zerfällt.
- Sie möchte eine gesetzliche Viertagewoche, Sabbaticals, Elternzeiten und echte Feierabende.
„Wenn es nicht mehr zeitgemäß ist, mit Überstunden zu prahlen oder krank zur Arbeit zu gehen, hilft das jedem“, so Gutensohn, der selbst miterlebte, wie sich seine Mutter als Pflegerin „kaputtgearbeitet“ hat. Nach dem Alter und Generationenzuschreibungen sollte heute weniger gefragt werden – sinnvoller wäre es, zu erfahren, wie lebendig Menschen sind oder warum sie nie aufhören sollten, neue Gedanken hervorzubringen und trotz schwieriger Zeiten optimistisch zu bleiben. Pessimismus sollte bei allen Generationen keinen Raum haben, weil er ein „destruktives Element“ ist und Energien schwächt und unschöpferisch ist. Wir können uns Pessimismus nicht leisten in einer Zeit, die auch heute vielfach gegen die Gesetze der Vernunft handelt.
Auch sollten wir uns am Denken der Humanisten orientieren, die zwar immer in der Minderheit waren, zu früh kamen und zu schwach waren, aber noch immer „unsere Ahnen im Geiste“ sein sollten, weil sie uns den unerschütterlichen Glauben an die Notwendigkeit einer „Verständigung zwischen den Völkern“ lehren. „Wir müssen uns jedes Wortes enthalten, welches das Misstrauen zwischen Menschen und Nationen steigern könnte; im Gegenteil, wir haben die positive Pflicht, jede Gelegenheit zu ergreifen, um die Leistung anderer Rassen, Völker und Länder nach ihrem Verdienst zu rühmen“, schrieb Stefan Zweig. Dazu gehörte für ihn auch, die Jugend zu lehren, den Hass zu hassen, weil er Daseinsfreude und Lebenssinn zerstört, Menschen anzuregen, in größeren Dimensionen zu denken und zu fühlen (Engherzigkeit und Absperrung bedeutet Begrenzung des Selbst), sich auch fremden Werten zu widmen und daraus innere Kraft zu schöpfen.
Generation Weltbürger
All das macht Menschen zu Weltbürgern, zu denen sich auch viele der jungen Generation zugehörig fühlen: Sie empfinden sich nicht nur als deutsche Staatsbürger, sondern auch als Weltbürger. Sie sprechen selbstverständlich Englisch, studierten oder lebten eine Zeitlang im Ausland oder arbeiten in Unternehmen, die international agieren. In vielen Branchen gehört es dazu, auch in anderen Ländern Erfahrungen gesammelt und dort gearbeitet zu haben.
Hannes Gregor Schulze wurde1995 Erfurt geboren. Er lernte Kfz-Mechatroniker, ist seit 2019 Kfz-Meister, Betriebswirt nach der Handwerksordnung 2022. Seit Mai 2023 ist er Ausbilder bei der Handwerkskammer in Erfurt, für Lehrlingsausbildung und Meisterausbildung. Einstellungsvoraussetzung war Bereitschaft, im Ausland Aufgaben zu übernehmen. Seine Arbeitsaufenthalte führten ihn nach Irland, Polen, Norwegen und im Februar 2024 nach Südafrika.
Interview mit Hannes Gregor Schulze
Im Dezember 2023 wurden Sie von Ihrem Vorgesetzten angesprochen, zwei Wochen im Auftrag der Bundesrepublik Deutschland für SEQUA Programm– Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit nach Südafrika zu fliegen, um dort die Ausbildung von Lehrausbildern zu übernehmen und die Elektromobilität als Lehrinhalt vorzustellen. Können Sie uns ein paar Eindrücke Ihrer Reise schildern?
Die Vorbereitung von Lehrmaterial und die Erstellung Unterrichtskonzept erforderten zunächst viele Wochen und Abende Arbeit. Dann ging es vom 7. Februar 2024 von Frankfurt via Kapstadt nach Port Elizabeth. Die Werkstätten waren hervorragend ausgestattet - vergleichbar mit Deutschland. Die 15 Teilnehmenden aus ganz Südafrika waren sehr freundliche und aufgeschlossene Menschen. Überhaupt erschienen mir die Menschen hier viel geselliger und respektvoller als bei uns, sie tauschen sich viel mehr aus, der physische Kontakt, das gesprochene Wort, die gereichte Hand haben eine viel größere Bedeutung als in Deutschland.
Deutschland genoss bei ihnen ein sehr hohes Ansehen – ich fühlte mich wirklich als Repräsentant unserer Heimat. Ich war mit 11 Jahren Abstand der Jüngste in der Gruppe. In der Regel waren alle 40 Jahre und älter. Die meisten hatten allerdings mehr Interesse am Schrauben als an der Theorie, so dass ad hoc das Lernkonzept umgestellt wurde und anstatt der vorbereiteten Präsentationen die Ausbildung direkt am Fahrzeug durchgeführt wurde. Die Aufrechterhaltung ihrer Aufmerksamkeit war oft eine Herausforderung, vor allem ab Mittag. Ein besonderer Fokus war die Unterrichtung bei der Arbeitssicherheit und Arbeitsschutz. Einen intensiven Informationsaustausch gab es über die Technik, Infrastruktur der E-Mobilität und das Verständnis für die Eigenartigkeit von E-Mob, denn in Südafrika ist Strom eine Herausforderung und generell, überhaupt ein Kfz zu besitzen.
Zu Beginn wunderte ich mich, warum der Arbeitstag nur bis 15.00 Uhr ging - die Ursache war das warme Wetter, aber auch der tägliche Lebensunterhalt, der dort viel mehr Zeit in Anspruch nimmt. Problematisch ist die Energieunsicherheit, die Wasserversorgung, die immer wieder unterbrochen wird, aber auch die hohe Eigensicherungsnotwendigkeit wegen der Kriminalität. Dass sie so extrem ist, erstaunte mich bei so vielen freundlichen und aufgeschlossene Menschen. Auch viele Bettler habe ich neben werktätigen Menschen gesehen.
Mit den Teilnehmenden besuchte ich auch ein VW-Werk in Uitenhage, wo der Polo gebaut wird. Beim Besuch von Werkstätten für PKW hatte ich auch lustige Begebenheiten: So stellte der Eigentümer ein Heer von Mitarbeitenden an, die eigentlich nur aufpassen, dass dort niemand etwas entwendet. Nervig war die hohe Sicherheitskontrolle: Überall gab es Checks und Checkpoints, allerdings private Security und wenig sichtbare Polizei. Ich besichtigte aber auch eine Pinguin- Aufzuchtstation und einen Nationalpark. Erstaunt hat mich auch hier der Zivilisationsmüll, z.B. im Meer und auf den Feldern - etwa so wie bei uns immer an den Autobahnrändern.
Wie haben Sie sich verständigt?
English ist hier nur Businesssprache, es gibt 11 vorhandene Amtssprachen – es funktionierte zwar alles, wenngleich es immer wieder kleine Kommunikationsherausforderungen gab, denn English war nicht immer durchgreifend.
Am 25. Februar 2024 kehrten Sie nach Deutschland zurück. Wie war Ihr Eindruck „jenseits von Afrika“?
Als ich in Frankfurt landete, war es für mich wie ein Kulturschock – die Art der Kommunikation empfand ich als kalt, unfreundlich und unzugänglich. Wir sollten wieder mehr wie Südafrika sein und werden… Zu einem Ritual gehört dort übrigens das Abschneiden der Fingerkuppe des kleinen Fingers: Eine persönliche Kleinigkeit muss in Südafrika verbleiben, damit man immer wieder zurückkommt. Ich habe den Finger noch, werde aber dennoch gern zurückkehren.
Was bleibt?
Ich denke, dass ich erneut solche Aufgaben übernehmen werde. Es war ein tolles Erlebnis, aber ich empfinde auch Demut, dass unser Leben in Deutschland weder der Nabel der Welt ist, noch unser Wohlstand als gegeben betrachtet werden sollte - dafür muss eine Volkswirtschaft gemeinsam und täglich Leistung erbringen. Auch auf der persönlichen Ebene bleibt vieles: Der irische SEQUA- Projektkoordinator, 71 Jahre alt, ist ein neuer Freund, auch habe ich in der einen Woche seit der Rückkehr jeden Tag mit zwei Teilnehmern telefoniert.
Wie würden Sie sich selbst beschreiben, und was sind Ihre Werte?
Ich bin zwar erst 1995 geboren, aber international interessiert und geprägt, sehr interessiert und unvoreingenommen, aber auch prinzipientreu. Ich bin mir bewusst, dass wir Aufgaben der Zukunft nur zusammen lösen können: jung, alt, egal wo her wir kommen. Respekt und Toleranz sind zwei Tugenden, die mich und meine Freunde und Familie prägen – doch das, was ich über uns lese, ist leider oft das Gegenteil.
Ihrer Generation wird oft Verantwortungslosigkeit vorgeworfen…
Ich habe drei Brüder, die besten Eltern der Welt und bin als Ältester auch für zwei Cousins verantwortlich, nachdem mein Onkel 2022 gegangen ist. Natürlich nehme ich mir auch Zeit für meine Hobbys wie Radfahren, Boot- und Motorrad fahren, Wandern, Laufen und Klettern. Ich bin aber auch Mitglied der freiwilligen Feuerwehr sowie Träger der Pierre de Coubertin Medaille für sportliches Engagement. Fürsorge für meine Familie, Freunde und die Großelterngeneration sind für mich selbstverständlich.
Was wünschen Sie sich?
Ich liebe meine Heimat, ich liebe mein Land, und ich wünsche mir Frieden und Toleranz für unsere Welt, mehr Teilhabe und Gemeinschaftlichkeit. Ich weiß, dass ich für meine Zukunft selbst verantwortlich bin und möchte sie aktiv gestalten, dafür habe ich in meine Meisterausbildung investiert – übrigens in Abend- und Wochenendschule.
Das Buch:
- David Gutensohn: Generation Anspruch. Arbeit ist nicht alles – und das ist auch gut so. oekom Verlag, München 2024.
Weiterführende Informationen:
- Generationengerechtigkeit: Wie können die Lasten des demografischen Wandels gerechter verteilt werden?
- Warum Age Diversity für Unternehmen immer wichtiger wird
- Vielfalt und Humanismus: Was uns hilft, Krisen besser zu meistern
- Bauchgefühl im Management. Die Rolle der Intuition in Wirtschaft, Gesellschaft und Sport. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. SpringerGabler Verlag 2021.
- Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.
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