Wie Selfpublishing für alle Menschen erschwinglich und technisch möglich gemacht wird
Es ist nachhaltiger und effektiver, Neues zu entwickeln, das noch nicht fehlerfrei ist, anstatt Altes ständig zu verbessern. Das Entstehende kann ständig optimiert und verfeinert werden. Wer skeptisch ist, sieht überall Hindernisse und kommt als Bedenkenträger nur langsam ins Handeln. Wenn es um das Erschließen neuer Möglichkeiten in Zeiten des digitalen Wandels geht, tun sich viele Menschen allerdings noch schwer. Da sich die Digitalisierung nicht im Tempo normaler industrieller Entwicklungen vollzieht, sondern viel schneller, sind viele an solche radikalen Veränderungen nicht gewöhnt und verwenden Geschäftsmodellprinzipien, die auf alten Fundamenten basieren. Besonders in der Digitalisierung werden die wirkendenden Prozesse als Disruption bezeichnet: traditionelle Geschäftsmodelle, Produkte oder Leistungen werden von innovativen Erneuerungen abgelöst und teilweise vollständig verdrängt. Der Begriff der disruptiven Innovation geht auf den US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Clayton M. Christensen zurück. In seinem 1995 erschienenen Buch "The Innovators Dilemma" befasst er sich mit "Disruptive Technologies: Catching the Wave". Die disruptive Innovation verändert die Spielregeln des gesamten Marktes: Es werden neue Kunden- bzw. Nutzergruppen angesprochen und ein neuer Kernnutzen geboten.
Bis vor einigen Jahren wurde dieser Ansatz nicht ernst genommen, weil es sich um keine „richtigen“ Bücher handelt. Auch heute noch findet im klassischen Buchhandel Selfpublishing fast gar nicht statt. Das Segment ist für die meisten Verlage noch unattraktiv oder wird lediglich als Scouting-Plattform betrachtet. Auch für Plattformen, die sich mit Wirtschaft, Ideen und Innovationen beschäftigen, ist dies nicht von Interesse: „Bei uns steht ja immer noch das Buch als Diskursbeitrag im Zentrum.“ (changeX) Allerdings legten Untersuchungen aus den USA bereits 2016 nahe, dass dort Selfpublisher den Verlagen bereits einen großen Teil des Buchmarkts abgenommen haben und weiter auf dem Vormarsch sind. Dabei können gerade Schreibende von aktuellen Entwicklungen enorm profitieren. Sie müssen heute ihr Heil nicht nur auf dem üblichen Verlags- oder Redaktionsweg suchen, sondern können selbstbestimmt agieren. Jede/r kann zu einem digitalen Handwerker werden, der auch in der Lage ist, Bücher selbst zu machen und dies ständig zu professionalisieren. Amazon hat zwar das Selfpublishing nicht erfunden, doch mit dem Kindle-Programm leitete der international tätige Konzern eine Explosion der Entwicklung ein, die das Selfpublishing für alle Menschen erschwinglich und technisch möglich machte. Amazon Publishing sollte als Weckruf an alle Verlage betrachtet werden, ihr Serviceportfolio für Autoren anzupassen, um neue Wege zu gehen und dringliche gesellschaftliche Inhalte schneller in den Markt zu bringen. Leider unterscheiden sich bei vielen etablierten Verlagen die Preise ihrer E-Books kaum von denen der Papierbücher. Es wird (noch) nicht verstanden, dass beispielsweise mit preiswerten E-Books völlig neue Käuferschichten angesprochen und für das Lesen gewonnen werden können.
Viele sind im Gegensatz zu aktuellen Verlagstiteln in Flatrates wie „Kindle Unlimited“ zu finden (häufig verschenken Selfpublisher ihre Bücher sogar, um neue Leser zu gewinnen). Auch werden Schreibende darin unterstützt, ihr Manuskript besser zu machen. Inhalte können jederzeit neu hochgeladen sowie Cover und Buchtitel verändert werden. Die Gestaltung (Layout und Design) liegt ebenfalls bei den Autor:innenen oder Herausgeber:innen. Dazu kann auch mit professionellen kostenlosen Programmen (zum Beispiel Kindle Cover Creator oder mithilfe des BoD easyEditor) gearbeitet werden. Schreibende können hier deutlich mehr verdienen als mit eigenen Verlagstiteln. Die Tantiemen bei E-Books liegen zwischen 30-70 Prozent (je nach Umfang), beim gedruckten Buch zwischen 30 und 40 Prozent (Auszahlung monatlich). Die E-Books von KDP kosten zwischen 0,99 Cent und 9,99 Euro – die KDP-Autoren können sie jederzeit aktualisieren, und Preise in diesem Rahmen verändern. Zudem können täglich die Käufe verfolgt werden, und man erhält monatlich einen Bericht von Amazon über die verkauften Einheiten.
Titel, Untertitel und Cover sind wie bei jedem anderen Buch auch bei E-Books ein entscheidendes Kriterium, um wahrgenommen zu werden. Auch die Buchbeschreibung bei Amazon und die Autoreninformationen gehören dazu. Sinnvoll ist auch eine Registrierung bei Author Central, einem kostenlosen Service von Amazon: https://authorcentral.amazon.de/. Als Autor können mehr Leser erreicht, Bücher vorgestellt und beim Aufbau eines besseren Amazon-Büchershops geholfen werden. Zudem können aktuellste Informationen zur eigenen Person und den eigenen Büchern veröffentlicht werden. Die eigene Bibliografie kann jederzeit bearbeitet werden. Author Central gibt bei Interesse auch darin Unterstützung, dass die eigenen Bücher durch Suchprogramme wie Search Inside the Book und Kindle durchsucht werden sollen, damit jeder Kunde sie durchblättern und kaufen kann.
Viele Autor:innenn oder die, die es werden wollen, versuchen heute zu machen, was die meisten machen: Sie senden ihren Buchvorschlag mit dem vorläufigen Inhaltsverzeichnis und Probekapiteln an Literaturagenten oder an Verlage. Aus der Fülle der eingereichten Manuskripte werden hier diejenigen ausgewählt, die gedruckt werden sollen und sich später im in den begrenzten Regalen der Buchhandlungen finden. Schließlich sind viele von ihnen enttäuscht, wenn sie eine Absage erhalten, weil ihr Buchprojekt nicht in den Markt passt. Aber das Problem ist doch: Wenn einem immer nur das Gewohnte vor die Nase gestellt wird, dann wird das Neue nicht einmal bemerkt. Deshalb sollte alle Schreibenden auch Mutmacher auch Marktmacher sein und Anderes ausprobieren und anbieten. Selfublisher erfüllen eine Doppelrolle als Autor und Unternehmer, da beide Seiten der Wertschöpfungskette (Autor und Verlag) bedient werden. E-Books sind keine minderwertigen Produkte, wenn sie mit der gleichen Aufmerksamkeit geschrieben und umgesetzt werden wie „richtige“ Bücher.
E-Books sind für mich beispielsweise auch ein hervorragender Multiplikator der eigenen Blogs: Gleiche Inhalte können in beiden Medien angepasst werden – und der Blog kann auf die Bücher verweisen. Vor einigen Jahren bin ich für meine Überzeugung, dass Bloggen zukunftsweisend in der Medienlandschaft ist, noch belächelt worden. Viele Leitmedien betrachteten Blogs damals als Zweite-Klasse-Journalismus. Heute ist es selbstverständlich, dass Artikel „seriöser“ Tagesmedien parallel zu den Meinungen guter Blogger gelesen werden. In einigen Jahren wird die E-Book-Kommunikation vielleicht genauso selbstverständlich sein wie das Bloggen. Es braucht nur wenige Mausklicks, um das Manuskript hochzuladen und das E-Book online zu stellen. Das Interesse der richtigen Zielgruppe kann schneller geweckt und der Nutzen für den Leser greifbarer gemacht werden. Es ist dank der Digitalisierung möglich, dass heute jede/r einer globalen Leserschaft seine Gedanken und Geschichten zugänglich machen kann. Ein E-Reader ist für den Kauf der KDP-Publikationen übrigens nicht erforderlich: Sie können über das eigene Amazon-Konto gekauft und dann direkt auf dem Bildschirm gelesen werden.
Ich arbeite gern mit Verlagen zusammen und mag auch in Zukunft auf das haptische Erlebnis guter Bücher nicht verzichten. Klassiker und gute Literatur sowie Kunstbücher möchte ich weiterhin anfassen und mit der Hand „begreifen“ können. In den vergangenen Jahren habe ich allerdings auch die Grenzen konventioneller Verlage kennengelernt: Vor allem bei Fachverlagen dauerte der Prozess bis zur Veröffentlichung zu lange – viele Informationen waren zum Zeitpunkt der Veröffentlichung schon veraltet und konnten erst in der 2. Auflage korrigiert werden (und das dauert manchmal Jahre). Bei Herausgeberwerken führte dies sogar dazu, dass Autoren während der Korrekturphase ihre Beiträge zurückgezogen haben. Auch der Satz „Es ist eine Ehre, gedruckt zu werden“ (ohne Honorar im Wissenschaftsbereich) funktioniert heute nicht mehr. Ein schön gestaltetes Buch, der Geruch des Papiers und die Haptik des Materials ist digital nicht zu ersetzen, aber ein E-Reader hat auch viele Vorteile: Es muss kein Papier für den Lesestoff hergestellt, bedruckt und gebunden werden. Auch liegen sie nicht in den Lagerzentren und Buchladen, was mit hohen Kosten und Ressourcen verbunden wäre. Allerdings ist der Ressourcenverbrauch von E-Readern enorm (mehr als 99 Prozent des Energieverbrauchs und der Treibhausgasemissionen entstehen bei der Produktion). Zudem ist der Abbau der benötigten Rohstoffe sehr energieintensiv. Je länger aber ein E-Reader benutzt wird, desto besser ist seine Bilanz. Positiv hervorzuheben ist auch, dass E-Reader selten aufgeladen werden müssen und ihre Akkus entsprechend langlebig sind.
Die Zukunft des Self-Publishing: Interview mit Ruprecht Frieling
CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. SpringerGabler Verlag. 2. Auflage Berlin Heidelberg 2021.
Bert Martin Ohnemüller: „Raus aus dem Kopf – voll rein ins Herz …“. Gedanken und Interviews für mehr Freude, Erfolg und Erfüllung im Berufs- und Privatleben. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Kindle Ausgabe 2023.
Alexandra Hildebrandt und Nicole Simon: KARL. Reflections. Kindle Ausgabe 2021.