Wie sich Europas Städte an den Klimawandel anpassen
Europas Städte stehen angesichts der Folgen des Klimawandels vor enormen Herausforderungen: Sie müssen sich frühzeitig auf planerischer Ebene wappnen. Doch vorhandene soziale und grüne Infrastrukturen sind aufgrund des Anstiegs der Bevölkerung nicht mehr belastbar und bedürfen in vielen Fällen der Erweiterung.
Zu den größten Herausforderungen gehören außerdem die Stärkung der Wasserversorgung, die Verbesserung der Luftqualität und der Abfallwirtschaft, das Management der städtischen Biodiversität, die Unterstützung von Allianzen zwischen Stakeholdern aus der Smart City und Green City. Der Beitrag zeigt anhand ausgewählter Beispiele, dass Städte, die in hohem Maße für die Probleme des Klimawandels verantwortlich sind, auch zum integralen Bestandteil ihrer eigenen Lösung werden können.
Berlin
Um die Lebensqualität in der wachsenden Stadt zu sichern, braucht Berlin eine definierte grüne Infrastruktur für die Erholung, ein verträgliches Stadtklima und den Erhalt der Artenvielfalt. Mit der Kampagne Immer. Grün setzt sich der BUND Berlin dafür ein, diese grünen Freiflächen im ganzen Stadtgebiet verlässlich zu sichern. Die Schwerpunkte der Stadtentwicklung lagen in den vergangenen Jahren vorrangig auf der Stadterneuerung. Die Sicherstellung der Versorgung mit Einrichtungen und Angeboten im Bereich der sozialen und grünen Infrastruktur und deren standardgemäße Anpassung an aktuelle Anforderungen ist eine der dringlichsten Aufgaben – nicht nur in Berlin.
Kopenhagen
Die Strategie "Urbane Natur in Kopenhagen 2015-2025" definiert spezifische Ziele, Maßnahmen und Bedingungen, mit deren Hilfe die Stadtverwaltung die Vision von mehr und besserer urbaner Natur in Kopenhagen verwirklichen möchte. Die Zehnjahresstrategie zum Ausbau des Kopenhagener Stadtgrüns integriert das urbane Grün in alle kommunalen Aktivitäten (z.B. Stadtplanung, Renovierung von Gebäuen und Grünflächen, Sanierung von Innenhöfen) und beinhaltet kommunale und nicht-kommunale Flächen:
- Urbane Natur in kommunalen Grünräumen
- Urbane Natur in städtischen Entwicklungsgebieten
- Urbane Natur auf kommunalen Flächen
- Urbane Natur auf nicht-kommunalem Land.
Ausgewählte Maßnahmen:
- Verfolgung eines ganzheitlichen Ansatzes bei der Grün-Strategie durch die Stadtverwaltung
- Begrünung von Dächern und Hausfassaden
- Entfernung von Parkplätzen und Teil-Rückbau von Straßenflächen
- Nutzung des öffentlichen Raums zum Abpuffern von Starkregenereignissen (zudem wird die Stadt durch die neu geschaffenen Multifunktionsflächen aufgewertet)
- Pocket Parks: Schaffung kleiner Oasen auf begrenztem Raum zwischen den Häusern (mehr Lebensqualität und Naherholung)
- Stärkung bereits vorhandenen urbanen Grüns
- Vorgabe bei jedem einzelnen Bauprojekt, wie viel Wasser auf dem Grundstück zurückgehalten werden muss
- Enge Zusammenarbeit zwischen Städten und Unternehmen.
Mailand
Im Mailänder Stadtviertel Porta Nuova, das sich zu einem modernen und dynamischen Viertel entwickelt hat, stehen seit 2014 zwei neue Hochhauskomplexe, auf denen Bäume und Pflanzen wachsen: der Bosco Verticale (Bauzeit: 2007–2014) von Stefan Boeri Architetti. Die zwei begrünten Wohntürme sind Teil einer umfangreichen Quartiersentwicklung in Mailands Norden. Das Quartier entstand bereits 2009 im Rahmen einer Stadtsanierung des Areals und sollte der Zersiedelung der Stadt auf der Suche nach geeigneten Grünflächen entgegenwirken. Das innovative Projekt markierte einen Meilenstein in der Architektur und setzte auch neue Maßstäbe in der Integration von Flora in urbanes Design.
In den beiden Wohntürmen befinden sich insgesamt 113 Wohnungen – jede hat Zugang zu mindestens einem Balkon, der einem kleinen Garten oder einem Waldstück gleicht. Die Lobbys im Erdgeschoss sind zugleich Eingangsbereich als auch Gemeinschaftsfläche mit direkter Anbindung an die angrenzenden Parks. Die Pflanzen wurden auf den stark auskragenden Balkonen, die bis zu drei Meter aus der Hauswand herausragen, gepflanzt. Die umlaufenden Balkone sind so angeordnet, dass auch größere Bäume ungehindert bis zu drei Stockwerke hochwachsen können.
Paris
Lösungen für die ökologischen, sozialen und ökonomischen Herausforderungen in Paris war 2014 die zentrale Aussage im Wahlkampf von Anne Hidalgo (Parti Socialiste). Als Bürgermeisterin von Paris etablierte sie mit der Stadtverwaltung eine Charta mit dem Ziel, 100 Hektar in Paris Grün werden zu lassen durch neue Grünflächen, vor allem auf und an öffentlichen und privaten Gebäuden. Ein Drittel des neuen Grüns sollte für urbane Agrikultur genutzt werden.
2015 wurden zunächst die im Besitz der Stadt Paris befindlichen begrünbaren (Dach-)Flächen ermittelt. Im Januar 2016 wurde von 33 Institutionen und Unternehmen die Charta Objectif 100 hectares unterzeichnet. Ein wichtiger Schritt, um konkrete Projekte zu entwickeln, war 2016 auch der Wettbewerb Les Parisculteurs mit der Aufforderung, Projekte zu entwickeln für eine dauerhafte Begrünung. Die unterzeichnenden Partner versprachen, an den Aktionen teilzunehmen, die im Zusammenhang mit dem Konzept Parisculteurs realisiert werden (z.B. Urbane Agrikultur und Gemeinschaftsgarten Facteur graine, Urbane Agrikultur Les Toits Didot, Urbane Agrikultur und Bildung Ecol'haut) und außerdem ihren begrünbaren Besitz zu veröffentlichen.
In den Folgejahren kamen weitere Unterzeichner hinzu. Parallel zur öffentlichen Vorstellung der Wettbewerbsergebnisse wurden 2016 Infoveranstaltungen und Bildungsprogramme angeboten, um die Bevölkerung für mehr selbstgestaltetes Grün in der Stadt zu motivieren und das Spektrum möglicher Grünformen in der Stadt zu zeigen. Als weiterer Baustein wurde Végétalisons Paris („Lasst uns Paris begrünen“) entwickelt: Die Bürgerinnen und Bürger werden als Einzelpersonen oder Gruppen angesprochen, um Paris durch ihre Initiative grüner zu machen: Développer et cultiver de nouveaux espace de nature en ville, ("Neue Räume für Natur in der Stadt entwickeln und kultivieren)".
Weitere Beispiele: Der Bois de Vincennes gilt als eines der beliebtesten Ausflugsziele in Paris. Auf etwa zehn Quadratkilometern wurde der Stadtwald im Stil eines englischen Landschaftsparks errichtet. Waldflächen mit Reit- und Wanderwegen nehmen über ein Drittel der Parkfläche ein. Drei künstliche Seen mit Inseln, zahlreiche Sportanlagen sowie der Parc Floral, ein Blumenpark, sorgen für Abwechslung. Im Viertel Montparnasse an der Place de Catalogne wurde im Juni 2024 ein Stadtwald eröffnet. Ab 2022 wurden 4000 qm entsiegelt, 470 Bäume gepflanzt, 16.000 Sträucher und neue Gehwege angelegt. Das Grün wird das lokale Klima um bis zu 4 Grad senken.
Rotterdam
Rotterdam ist die zweitgrößte Stadt der Niederlande und gilt als Architekturhauptstadt des Landes. Der Hafen ist derzeit der größte in Europa. Die Stadt liegt zu einem großen Teil unter dem Meeresspiegel, auch hat sie mit den steigenden Niederschlagsmengen zu kämpfen. Ihr Zentrum wurde nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut und besitzt seither einen besonders hohen Anteil an versiegelten Flächen. Das Rotterdamer Architekturbüro MVRDV schlägt vor, die Dächer auszunutzen: Die Hypothese lautete: „Rotterdam verfügt über 18,5 km² Flachdachterrasse – größtenteils ungenutzt.“ Eine systematische Investition in Dächer mit neuen Funktionen und Nutzungsmöglichkeiten kann Straßen entlasten, zu einer intelligenten Verdichtung führen, das Leben der Mieter außerhalb der eigenen Wohnungen diversifizieren, die räumliche Infrastruktur für erneuerbare Energien bereitstellen etc.
Der „Rooftop Catalogue“ kann dazu beitragen, eine Stadt zu gestalten, die „gesünder, lebendiger, integrativer, attraktiver und mit nachhaltigen Lösungen für die Zukunft“ ist. Bereits im Jahr 2000 wurde für Rotterdam ein Handbuch verfasst, das festhält, was bei öffentlichen Flächen zur Verbesserung der ästhetischen Qualität und der Immobilienwerte zu erfolgen habe.
Ausgewählte Maßnahmen:
- Standortgerechte Baumwahl
- Bau attraktiver öffentlicher Grünanlagen
- Sozial-ökonomische und private Initiativen
- Registrierung und Nummerierung aller Strassenbäume der Stadt
- Weiterentwicklung der Begrünung in den nächsten Jahren (Dach- und Fassadenbegrünungen, temporäre Begrünungen, Wechselflorbepflanzungen, Urban Farming)
- Entwicklung neuer Strategien zur Finanzierung (z.B. Zusammenarbeit mit Unternehmen).
Sevilla und Madrid
30 Jahre lang war die Plaza de la Encarnación kein ansehnlicher Ort im Herzen der andalusischen Hauptstadt Sevilla. Anstelle der baufälligen Markthalle aus dem Jahr 1842 sollte in den 1980er Jahren ein Komplex mit Büros und Garagen gebaut werden. Als bei Fundamentarbeiten die Überreste einer Römersiedlung gefunden wurden, wurde der Plan vernachlässigt. Die Stadtregierung schrieb 2004 einen internationalen Architekturwettbewerb aus. Sieben Jahre und 95 Millionen Euro später hatte die Stadt Sevilla ihr neues Wahrzeichen: den Metropol Parasol.
Das Berliner Architekturbüro von J. Mayer H. und Partner schuf einen zukunftsweisenden Bau, der Schatten spendet und zu den größten Holzstrukturen der Welt zählt. Das geschwungene Dach umfasst eine Fläche von 5.000 Quadratmetern und bietet auf einem 400 Meter langen Skywalk Ausblicke über die ganze Stadt. Nach Angaben des Architekturbüros wirkte sich sich die Neugestaltung des Platzes nicht nur positiv auf das direkte Umfeld aus, sondern führte auch zu einer Belebung der Stadt. Metropol Parasol gilt als einer der Vorreiter parametrischer Architektur im öffentlichen Raum.
Weitere Maßnahmen:
- Initiierung eines gemeinschaftliches Bike-Sharing-Programms, Schnellzugverbindungen und eines Elektroauto-Pilotprogramms
- Smart City Brain: Datenplattform, die die Interoperabilität mehrerer städtischer Technologien und Dienste ermöglicht
- Strategischer Plan für Grünflächen, Bäume und biologische Vielfalt: Investitionen in grüne Infrastrukturen
- Ausbau und die Wiederherstellung städtischer Gärten und Parks
- Verbesserung der biologischen Vielfalt
- Minimierung der Luftverschmutzung durch ein verbessertes Verkehrsmanagement (Verbot umweltschädlicher Fahrzeuge in der Innenstadt).
Wien
Wien gilt als „Klimamusterstadt“: Der "Lokale Grünplan" ist ein Darstellungswerkzeug der Stadtplanung, das die Versorgungswirksamkeit von Grünräumen anzeigt und Defizite im Stadtgefüge verdeutlicht. Die Lösungen der Stadt bezüglich der Hochwasserprävention stoßen sogar auf internationales Interesse. 2007 wurde ein Masterplan Donaukanal im Dialog mit der Politik und der Bevölkerung erstellt.
Weitere Maßnahmen:
- Baumpflanzungen sowie Planung von Stauden- und Rasenflächen )wo dies nicht möglich ist)
- Bauwerksbegrünungen und Schärfung des öffentlichen Bewusstseins für deren Nutzen
- Festschreibung eines Freiraumkennwerts für Arbeitsplätze mit dem Ziel, die Attraktivität öffentlicher Räume in Zukunft im direkten Arbeitsumfeld zu steigern
- Forcierung der Bewusstseinsbildung und Qualitätssicherung
- Dach-, Fassaden- und Innenraumbegrünungen
- Realisierung von Großerholungsräumen
- Qualitätsvollen Grünstrukturen im Stadtinneren
- Wiener Hitzeaktionsplan: Schützt mit gezielten Maßnahmen vor extremen Sommertemperaturen
- Klima-Förderung für Bezirke: Mit dem Förderprogramm "Lebenswerte Klimamusterstadt" werden nachhaltige Projekte von Bezirken gefördert, die die Stadt kühler und grüner machen, Fassaden-, Dach- und Innenhofbegrünungen werden zusätzlich gefördert
- Aufbau von Kompetenzstellen mit Infrastrukturen für die Begrünung der gebauten Umwelt
- Mikroklimamanagement und „klimafitte“ Wohnstraßen
- Natur- und Landschaftsschutz sind Teil der Großstadt
- Nutzung von Mikrofreiräumen und gemeinsames Gärtnern
- Paradigmenwechsel im Innovationsbereich der „grünen Stadttechnologien" (Projekt „Innovationslabor GRÜNSTATTGRAU")
- Grün wird bei städtebaulichen Planungsprozessen von Beginn an mitgedacht
- neuen Produktentwicklungen und Dienstleistungsinnovationen rund um Begrünungen Aktivierung und gesellschaftliche Transformation durch Weiterentwicklung technischer Qualitätsstandards
- Der Stadtentwicklungsplan STEP 2025 enthält ein eigenes ausführliches Fachkonzept Grün- und Freiraum - darin werden Ziele für mehr Grün in Wien definiert.
- Wissensvermittlung an die breite Öffentlichkeit (Veranstaltungs- und Weiterbildungsformate, Netzwerkpartnertage).
Zürich
Zürich gilt als Vorreiterin im globalen Klimaschutz. Die städtischen Treibhausgasemissionen sollen bis spätestens 2050 auf Netto Null CO2 reduziert werden. Zürich setzte sich bereits 2008 als erste Schweizer Stadt das Ziel der 2000-Watt-Gesellschaft ein und nahm damit eine Vorreiterrolle ein. Weitere Erfolge: Divestment bei Finanzanlagen der PKZH und UVZ, Stiftung Einfach Wohnen (bezahlbar und ökologisch Wohnen), Annahme der Initiative für nachhaltige und faire Ernährung (2017).
Die Ziele der Stadt wirken wie ein Handlungsleitfaden für andere Städte:
- Anpassung der Stadt an die Herausforderungen des Klimawandels: mehr Grüne Infrastruktur und weniger Versiegelung
- Einbindung der Bevölkerung (Informationen über ihre Handlungsspielräume auf individueller und gesellschaftlicher Ebene, Bildungs- und Informationsangebote)
- Ausarbeitung einer Energieversorgungsverordnung, Verbot fossiler Energieträger
- Förderung emissionsarmer Mobilität: Fussverkehr, Velo und ÖV haben Priorität
- Förderung fleischarmer Ernährung
- Förderung gesellschaftliche Klimainitiativen
- Förderung von Null- und Plus-Energiehäusern sowie der öffentlichen Debatte über eine Kultur der Nachhaltigkeit
- Festlegung einer stringenten Klimapolitik für Netto Null CO2 bis 2030
- Nationale und internationale Vernetzung als Klimastadt
- Entwicklung von «Schwammstädten» (Integration von blau-grüner Infrastruktur)
- Berücksichtigung von Suffizienzzielen
- Ausrichtung der Wirtschafts- bzw. Standortförderung auf nachhaltige Firmen.
Weiterführende Informationen:
- Städte als Hauptverursacher des Klimawandels: Wie kann die urbane Transformation beschleunigt werden?
- Blau-grüne Infrastrukturen: Strategische Planungsansätze zur Klimawandel-Anpassung
- Wie Städte und öffentliche Gebäude klimaneutral oder besser: klimapositiv werden
- Klimaneutralität in der Industrie. Aktuelle Entwicklungen – Praxisberichte – Handlungsempfehlungen. Hg. von Ulrike Böhm, Alexandra Hildebrandt, Stefanie Kästle. Springer Gabler Verlag, Heidelberg, Berlin 2023.
Wer schreibt hier?
Insider für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie