Wie Städte und öffentliche Gebäude klimaneutral oder besser: klimapositiv werden
Verbaute Zukunft
Die Klimakrise und die damit verbundenen Auswirkungen trifft Menschen in Städten besonders stark. Viele von ihnen sind Wärme- und Trockeninseln aufgrund der versiegelten Oberflächen und der schlechteren Luftzirkulation. Die Temperaturdifferenz zwischen dicht bebauten Stadtzentren und dem Umland kann im Hochsommer bis über zehn Grad betragen. Nachhaltige Stadtplanung und Stadtgrün werden deshalb immer wichtiger: Bäume sind Schattenspender, Temperatursenker und Luftreiniger. Dach- und Fassadenbegrünung mildern die Aufheizung von Gebäuden, Parkanlagen kühlen sich und ihre Umgebung in der Nacht viel schneller ab. Obwohl die Fakten bekannt sind, dominieren häufig immer noch nackter Beton, Glasfassaden und Schottergärten. Alle Länderbauordnungen in Deutschland haben allerdings festgeschrieben, dass nicht überbaute Flächen von bebauten Grundstücken wasserdurchlässig zu gestalten und zu begrünen sind. Vorbilder dafür gibt es genug.
Seit über zehn Jahren verfolgt die dänische Hauptstadt Kopenhagen das Ziel, bis 2025 klimaneutral zu werden.
Sie gilt als Stadt der Zukunft, von der andere Städte und Kommunen lernen können. Da Kopenhagen nah am Wasser gebaut ist, sind vor allem Überschwemmungen ein großes Problem. Um das Überflutungsrisiko einzudämmen, werden betonierte Flächen weitgehend minimiert. In Parkanlagen wie der „Tåsinge Plads“ wird Regenwasser über bepflanzte Versickerungsbecken gesammelt (dadurch werden auch Abwasserkanäle entlastet). Zudem kann das Regenwasser zur Bewässerung eingesetzt werden. Für alle Bewohner:innen gilt, dass eine Grünfläche innerhalb von zehn Minuten erreichbar sein sollte. Parkanlagen, Gärten und grüne Oasen wurden auch zwischen Bürogebäuden und Industriestandorten geschaffen. Die Stadt Kopenhagen setzt vor allem auf neue Wärmekraftwerke und Windenergie, den Einsatz von Solarzellen sowie gezielte Maßnahmen, um den Energiebedarf in öffentlichen Gebäuden so niedrig wie möglich zu halten. Im Jahr 2023 erhielt sie den Titel „Welthauptstadt der Architektur“ – eine Auszeichnung von der UNESCO-UIA. Bereits 2009 wurde mit dem Green Lighthouse-Projekt das erste klimaneutrale (Universitäts-)Gebäude vorgestellt: Durch die Nutzung von Tageslicht, Solarzellen und Fernwärme verbraucht es bis zu 75 % weniger Energie als andere Bauwerke.
Während in Kopenhagen das Licht der Nachhaltigkeit allumfassend strahlt, scheint es in Deutschland nur punktuell auf.
Dadurch fallen allerdings die „strahlenden“ und guten Beispiele hier auch mehr auf. Dazu gehört das Freiburger Rathaus - das erste öffentliche Netto-Plusenergiegebäude der Welt. Es erzeugt mehr Energie als es verbraucht. Die überschüssige Energie wird ins Freiburger Stadtnetz eingespeist. Der Großteil des Wärmebedarfs stammt aus „passiven“ Energiequellen (z.B. aus Abwärme). Die Lärchenholzfassade ist aus lokalem Waldbestand, deren bewegliche Lamellen mit Photovoltaik-Modulen belegt sind (integraler Bestandteil des ganzheitlichen Energiekonzepts). Aufgrund der Gebäudehöhe wurde eine Solarfassade benötigt, um das Ziel eines klimapositiven Gebäudes zu erreichen. Solar- und Geothermie werden zur Stromgewinnung, zum Heizen und zum Kühlen genutzt (Primärenergiebedarf für Heizung, Kühlung, Belüftung und Warmwassererzeugung liegt bei 45 kWh/m² im Jahr, entspricht nur etwa 40 Prozent des Primärenergiebedarfs eines vergleichbaren Bürogebäudes). Auch die Freiburger:innen sollten von dem Neubau profitieren. Dazu gehört auch das Bürgerservicezentrum im Erdgeschoss als Herzstück des sechsgeschossigen und voll unterkellerten Neubaus. In den darüber liegenden Geschossen befinden sich geschlossene Einzel- und Zweierbüros sowie großräumigen Teambüros mit offenen Arbeitsstrukturen (variable Systemtrennwände aus Glas). Vom Treppenhaus sowie den innenliegenden Büros kann man von oben auf die Tageslichtkuppel sehen, die von Grünpflanzen umgeben ist.
Die Berichterstattung in Deutschland bezieht sich allerdings oft nur auf Einzelmaßnahmen.
Wenn über Klimaneutralität in Dänemark kommuniziert wird, werden alle anderen Vernetzungen berücksichtigt – vor allem die nachhaltige Mobilität. Der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs konzentriert sich hier vorwiegend auf die Ausweitung von breiten Fahrradwegen, Reparaturstationen sowie der Schaffung von Cycle Superhighways zwischen den Städten. Das ist eine Folge des zunehmenden Anteils von E-Bikes, welche den Radius im Fahrradverkehr deutlich erweitern. Bis 2045 sollen in Dänemark 746 km neue Radschnellwege entstehen. Eine besonderen Verkehrsampelschaltung ermöglicht, dass man bei einer Fahrt von ca. 20 km/h dauerhaft grüne Welle hat. Mehr als die Hälfte der Kopenhagener pendelt auf den insgesamt 400 Kilometer langen Radwegen mit dem Fahrrad zur Arbeit, Uni oder Schule. Die Bewegung „Radeln ohne Alter“ („Cycling Without Age“ auf English) begann 2012 in Kopenhagen. Inzwischen sind viele weitere Länder hinzugekommen: Ehrenamtliche bieten kostenlose Fahrten in Rikschas (dreirädrige Fahrräder mit einem Sitzplatz für zwei Fahrgäste in der Front) für Pflegeheimbewohner:innen an. Die Räder werden elektrisch unterstützt und die Sitzpositionen erleichtern das Gespräch zwischen Radfahrenden und Fahrgästen. Es gibt zahlreiche Carsharing-Angebote und kostenlose Ladestationen für E-Autos, die in der Stadt kostenlos parken können, während für herkömmliche Autos Parkgebühren anfallen. Diese Einnahmen werden dann in eine klimafreundlichere Infrastruktur investiert. Kopenhagen veröffentlicht periodisch einen Bicycle Account, der über das Erreichen der ehrgeizigen Ziele berichtet. So sollen bis ins Jahr 2025 mindestens die Hälfte aller Wege zur Arbeit oder zur Ausbildung mit dem Velo gefahren werden.
Nachhaltige Unternehmen profitieren in Kopenhagen auf mehrfache Weise.
Die Stadt stellt Zuschüsse und Investitionen für sie bereit und vergibt dabei Kredite von bis zu 400 Mio. DKK (ca. 54 Mio. Euro). Annie Lerche und ihr Mann Lars Engstrøm sind seit mehr als drei Jahrzehnten Unternehmer. In den Achtzigerjahren lebten sie in der Freistadt Christiania, der selbst verwalteten Wohnsiedlung inmitten von Kopenhagen, wo alles begann: Zu Lerches 29. Geburtstag baute der gelernte Schmied Engstrøm ein Fahrrad für sie, da andere Verkehrsmittel im Ort nicht zugelassen waren. Es war ein Dreirad mit einer Transportkiste als Vorbau (das erste Christiania Bike). Er entdeckte das Lastenrad wieder, das bis in die Fünfzigerjahre bei Kurieren beliebt gewesen war, und etablierte es als Familientransportmittel. In die Transportkiste passen hundert Kilogramm Einkäufe oder vier bis sechs Kinder. Die Lebensart wird hier mit dem Wort Hygge verbunden: Es umfasst alle Vorzüge von Gemeinschaft, Sicherheit und Geborgenheit. Hygge ist etwas Soziales, eine Haltung und ein Sehnsuchtsgefühl, das jeder Mensch kultivieren kann. In Deutschland und anderen Ländern wird vom „guten Leben“ gesprochen, das ebenfalls im Dienst des menschlichen Wohlergehens handelt und anerkennt, dass alles mit allem in dieser Welt verbunden ist (SDG 11), dass alle Menschen in Würde leben können und ihnen Gemeinschaft ermöglicht wird.
Weiterführende Informationen:
- Gutes Leben im 21. Jahrhundert: Warum wir ein neues ökonomisches Denken brauchen
- Klimaneutralität in der Industrie. Aktuelle Entwicklungen – Praxisberichte – Handlungsempfehlungen. Hg. von Ulrike Böhm, Alexandra Hildebrandt, Stefanie Kästle. Springer Gabler Verlag, Heidelberg, Berlin 2023.
- Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. SpringerGabler Verlag 2018.
- Zukunft Mikromobilität. Wie wir nachhaltig in die Gänge kommen. Ein Rad-Geber. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber. Büchner Verlag, Marburg 2022.
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