Dr. Alexandra Hildebrandt

Dr. Alexandra Hildebrandt

für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Wirkung statt Aktionismus: Wie unsere Klimaziele doch noch erreicht werden können

Dr. Alexandra Hildebrandt

Nachhaltigkeit hat eine neue Dringlichkeit erreicht

Die globale Klimakrise, die auch deutsche Unternehmen vor immense Herausforderungen (ESG-Regulatorik, EU-Taxonomie, CSRD oder Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz) stellt, fordert die Dringlichkeit, jetzt zu handeln, denn die bedrohlichen Signale des Erdsystems erlauben kein Aufschieben der Klimaschutzagenda. Auch in Deutschland sind die Auswirkungen schon deutlich spürbar. Klimaanpassung ist deshalb auch ein wichtiges Thema. Doch wie kann der Übergang vom Wissen zu entschlossenem Handeln gelingen? Welche Maßnahmen sind am effektivsten und nachhaltigsten? Der Beantwortung dieser Fragen widmen sich Peter Blenke und Dr. Christian Reisinger in ihrem aktuellen Buch „Klimakurve kriegen. Was wir jetzt tun können, um unsere Klimaziele noch zu erreichen“. Die Verhaltensforschung nennt dieses Phänomen der Lücke, die zwischen Wissen und Handeln klafft, Knowing-Doing-Gap. Es scheint angesichts wachsender Krisen und Ängste immer schwieriger zu werden, das Knowing-Doing-Gap zu überwinden und ins konkrete Tun zu kommen. Das hat beide Autoren bewegt, dieses Buch zu schreiben.

„Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen.“ Mit diesem Zitat von Karl Valentin versprechen sie zu Beginn, ihre Leserschaft nicht noch einmal über die Ursachen und Folgen des Klimawandels aufklären zu wollen. Darüber gibt es bereits eine Vielzahl von Publikationen. Die Autoren zeigen, welche Stellschrauben Staat, Unternehmen und Privatpersonen bewegen können, um nachhaltige Veränderungen vorzunehmen. Sie widmen sich entscheidenden Sektoren des deutschen Klimaschutzgesetzes (Energie, Industrie, Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft/Ernährung), ergänzt um den Bereich der CO2-Senken (da die alleinige Einsparung von CO2 nicht ausreichen wird, um die Pariser Klimaziele zu erreichen). Hier geht es um Möglichkeiten und Technologien, wie wir CO2 wieder aus der Atmosphäre entnehmen und dauerhaft speichern können. Beschrieben wird nicht nur der aktuelle Stand der Dinge – es wird auch dargestellt, welche Ziele anvisiert werden müssen, was Privatpersonen und Unternehmen aktiv tun können, und wie viel das jeweilige Handeln zur Reduktion von Treibhausgasen beiträgt. Der Umbau unserer Wirtschaft in Richtung Klimaneutralität ist nur zu erreichen durch diese Hebel:

  • massiver Ausbau der erneuerbaren Energien und der dazugehörigen Infrastruktur
  • Senkung des Energieverbrauchs durch höhere Energieeffizienz
  • Elektrifizierung vieler vormals nicht elektrischer Prozesse
  • Investitionen in Nachhaltigkeit
  • klimafreundlicher Umbau der eigenen Lieferkette.

Der Staat spielt dabei eine Schlüsselrolle, denn er muss die Rahmenbedingungen für die Energiewende definieren und als planende und gestaltende Kraft langfristig die Entscheidungen der wirtschaftlichen Akteure beeinflussen und in die richtige Richtung lenken. Dies muss maßgeblich durch drei Strategien geschehen:

  1. die richtigen Anreize setzen:
  2. Schlüsseltechnologien skalieren
  3. smarte Infrastruktur schaffen.

Es wird verdeutlicht, wo Staat, Unternehmen und Privatpersonen ansetzen können, um effektive Veränderungen vorzunehmen. Dazu werden auch konkrete Handlungsempfehlungen ausgesprochen. Weitere sind in der Studie „Klimapfade 2.0 – Aufbruch in die Klima-Zukunft“ des BDI und der Strategieberatung Boston Consulting Group (BCG) zu finden, die ein Update ihrer 2018 veröffentlichten Studie Klimapfade vorgelegt haben. Darin wird gezeigt, was zu tun ist - und schließlich, dass die Industrie der zentrale Wegbereiter für erfolgreichen Klimaschutz ist. Blenke und Reisinger sind davon überzeugt, dass das Pareto-Prinzip auch beim Klimaschutz greift: Es besagt, dass mit 20 Prozent des Aufwands bereits 80 Prozent eines Ziels erreicht werden kann (mit den richtigen Prioritäten). Das gilt auch für das Thema Klimaneutralität. „Wir sind fest davon überzeugt, dass wir in unserer Gesellschaft viel mehr Zustimmung, Handlungs- und Veränderungsbereitschaft hätten, wenn wir uns den Netto-Null-Emissionen im Jahr 2045 in kleineren Etappen mit realistischen Teilzielen nähern würden“, so die Autoren.

Ihre Publikation ist zugleich eine Ergänzung zum aktuellen Sammelband „Klimaneutralität in der Industrie“ (auch eine Fortschreibung der Bände „CSR und Energiewirtschaft“ und „CSR und Digitalisierung“), in dem ebenfalls Handlungsempfehlungen vorgestellt werden, die sich aus konkreten Problemstellungen ableiten. Auch diese haben sich in erfolgreichen Umsetzungen bewährt. Beide Bücher verweisen allerdings auch darauf, dass es langfristig teuer wird, wenn Unternehmen nicht rechtzeitig handeln. Sie unterstützen Unternehmen darin, ihren eigenen Weg zu planen und mit passenden Maßnahmen zu unterlegen. Präsentiert wird ein Instrumentenmix, der Klimaschutz entlang der gesamten industriellen Wertschöpfungskette forciert. Ergänzend finden sich im Buch von Blenke und Reisinger auch Tipps für Privatpersonen. „Wenn es zudem gelänge, gemeinsam eine Dynamik zu entwickeln und Etappe für Etappe mehr Zustimmung und Mitstreiter zu gewinnen, rückt das Ziel der Klimaneutralität in greifbare Nähe“, so die Autoren.

Schritt für Schritt ging auch die Mader GmbH & Co. KG in Leinfelden-Echterdingen vor.

Ulrike Böhm leitet hier die Bereiche Marketing und Kommunikation. Sie betont, dass gerade für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) der Weg zu Klimaneutralität vor allem eine Frage der Kapazität ist: „Die Aufgabengebiete der Verantwortlichen sind oft breit gefächert, die Herausforderungen vielfältig. Das Thema Nachhaltigkeit reiht sich da bei vielen Unternehmen nach wie vor hinten ein. Gefragt sind in diesen Fällen Ansätze, die KMU einen einfachen und dennoch strukturierten Zugang zum Thema ermöglichen.“ Böhm ist davon überzeugt, dass ihnen der Klima-Canvas einen einfachen und dennoch strukturierten Einstieg zur Gestaltung ihres individuellen Wegs zur Klimaneutralität ermöglicht. Entstanden ist das Instrument aus der retrospektiven Betrachtung der unternehmerischen Weichenstellungen und Maßnahmen im Thema Nachhaltigkeit beim Druckluft- und Pneumatik-Spezialisten Mader. Betrachtet werden (wie das Business Model Canvas) vier verschiedene Ebenen, die hier allerdings in ihrer Fragestellung an das Thema „Nachhaltigkeit“ angepasst wurden:

  • Mehrwert
  • Infrastruktur und Rahmenbedingungen
  • Stakeholder
  • Finanzen.

Die verschiedenen Ebenen, Learnings und Nutzen hat sie hier erläutert. Auch Peter Blenke und Dr. Christian Reisinger kommen aus der mittelständischen Wirtschaft und beschäftigen sich seit Jahren damit, Geschäftsmodelle nachhaltig zu transformieren. Peter Blenke, Jurist und Betriebswirt, ist Vorstand/CEO der Wackler Holding SE, eines bundesweit führenden Dienstleistungsunternehmens für Facility Management, Personalservice sowie Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Christian Reisinger ist promovierter Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler und Experte für nachhaltige Transformation. Seit 2020 ist er Geschäftsführer der „ConClimate GmbH“ in München und begleitet dort Unternehmen im Bereich ESG-Management und digitale Nachhaltigkeit.

Mit ihrem aktuellen Buch wollen sie andere ermutigen und einladen, einen Perspektivenwechsel vorzunehmen. Dazu ist es wichtig, Herausforderungen nicht aus dem Problemblickwinkel, sondern aus der Möglichkeitenperspektive zu betrachten. Jede Veränderung beginnt mit einer klaren Vision, einem Durchblick zu einem möglichen Sinn und einer Ent-Scheidung zu handeln. Visionäre zeichnen sich zudem durch einen ausgeprägten Möglichkeitssinn mit einem unbegrenzten Raum alternativer Denk- und Handlungsweisen aus. Mit ihm verbunden ist auch das formlose Leben des essayistischen Menschen, den Robert Musil in seinem Fragment gebliebenen Werk „Der Mann ohne Eigenschaften“, an dem er von 1921 bis zu seinem Tod 1942 arbeitete, beschrieben hat: Ulrich, die Hauptfigur des Romans, ist ein junger Mathematiker und Wissenschaftler, der mit einem Möglichkeitssinn ausgestattet ist und beschließt, „essayistisch“ zu leben. Es erfordert eine „paradoxe Mischung aus Genauigkeit und Unbestimmtheit“ - ein Beginn auf etwas hin, ohne genau zu wissen, worauf es am Ende hinausläuft. Für den Sozialpsychologen Harald Welzer ist eine exakte Wirklichkeitstüchtigkeit mit der Neugier darauf verbunden, was wohl aus dem werden mag, was man denkend und handelnd beginnt. Es geht um eine Art „Schubs“ in die Richtung, „die man für vielversprechend hält. Und dann schauen, was herauskommt.“ Der Mensch mit dem Möglichkeitssinn erweist sich am Ende als viel nachhaltiger als der mit dem Wirklichkeitssinn. Er lässt sich gleichermaßen von seinem inneren Willen und von der Welt führen.

Das Buch:

  • Peter Blenke, Christian Reisinger: Klimakurve kriegen. Was wir jetzt tun können, um unsere Klimaziele noch zu erreichen. Oekom Verlag, München 2023.

Weiterführende Informationen:

Wer schreibt hier?

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Freie Publizistin und Autorin, Nachhaltigkeitsexpertin, Dr. Alexandra Hildebrandt

für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".
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