Wohnungsmangel, Klimakrise, alternde Gesellschaft: Wie die Dreifachkrise bei Bauen und Wohnen gemeistert werden kann
Es werden immer neue Materiallagerstätten erschlossen, deren Transport und Weiterverarbeitung einen Großteil der CO₂-Emissionen verursachen. Es werden natürliche Ressourcen verschlungen, Abfall produziert und die Klimakrise angeheizt. Es braucht ein ganzheitliches Umdenken: Wiederverwertung von Bauteilen statt Entsorgung, Sanierung statt Abriss, Etagenaufstockung statt neue Flächenversiegelung, nachwachsende Rohstoffe statt Beton.
Doch zirkuläres Bauen und nachwachsende Materialien setzen sich nur langsam durch. Problematisch ist auch, dass immer weiter unversiegelte Flächen als Bauland ausgewiesen werden, obwohl die Einwohner:innenzahlen vielerorts stagnieren. Während junge Familien nach Wohnraum suchen, leben in den bestehenden Einfamilienhäusern häufig ältere Paare oder Einzelpersonen. Es wird selten thematisiert, dass dieser große Bestand von relativ wenigen Menschen bewohnt wird.
Das enorme Potenzial dieser ungenutzten Flächen macht es zu einem „Megathema unter dem Radar“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler und Autor Daniel Fuhrhop. Er gehört zur Fachgruppe "Bauen, Wohnen, Habitat" der Scientists for Future. 2015 schrieb er die Streitschrift "Verbietet das Bauen!" (Neuauflage 2020), 2016 das Buch "Willkommensstadt" und 2018 den Ratgeber "Einfach anders wohnen". 2023 erschien seine Dissertation "Der unsichtbare Wohnraum: Wohnsuffizienz als Antwort auf Wohnraummangel, Klimakrise und Einsamkeit". Darin fragt er: Welche Potenziale birgt der unsichtbare Wohnraum bzw. wieviel bisher ungenutzte Wohnfläche lässt sich nutzbar machen? Welche Erfolgsfaktoren und Hemmnisse treten auf, die Menschen bei der besseren Nutzung ihres Wohnraums bremsen oder unterstützen? Um Ressourcen einzusparen, wird seiner Meinung nach ein radikales Umdenken benötigt: Es muss mehr Altes bewahrt und mit Neuem kombiniert werden.
Das Vorhandene ist das Neue!
Wenn der Bestand als Arbeitsgrundlage akzeptiert wird, können sich darin ebenso viele Träume entfalten wie im Neubau. Umbauen statt neu bauen ist günstiger und schneller zu realisieren - im Hinblick auf den Ressourcenverbrauch ist es aber auch „das Gebot der Zeit“. Zur Bauwende gehört nicht nur, dass beim Neubau die graue Energie (in den Gebäuden ist die Energie, die einst für die Herstellung der Baumaterialien, den Transport und denn Bau aufgewendet wurde, gebunden, beim Abriss geht sie allerdings verloren) durch andere Baustoffe wie Holz statt Beton vermindert wird, sondern auch, mehr Wohnraum durch Umbau zu schaffen und vorhandene Häuser besser zu nutzen (Suffizienz). Die Wohnsuffizienz im Sinne seiner Dissertation gehört zu einer Wohnwende, die die Bauwende ergänzt.
Vorteile:
- weniger Material- und Flächenverbrauch als Neubau
- Vermeidung der Versiegelung von Böden (Zerstörung eines ökologisch wertvollen Naturbodens) mit der Gefahr von Überschwemmungen Klimafolgen des Bauens
- weniger graue Energie bei der Herstellung von Baustoffen
- weniger Treibhausgase
- Senkung des Bedarfs an Neubau
- Siedlungen werden zu bunten und durchmischten Quartieren.
- Gründe für akuten Handlungsdruck.
Für den Klimaschutz müsste weniger gebaut und flächensparender gewohnt werden. Dies führt nach Fuhrhop zum Zielkonflikt zwischen ökologischer und sozialer Frage, zwischen der Krise am Wohnungsmarkt und der Klimakrise: Die Neubauziele der Bundesregierung haben ihre Ursache in einem Wohnungsmangel vor allem in Großstädten, der ein erhebliches soziales Problem darstellt. Noch immer ist das Einfamilienhausbau von konventionellen Bautechniken geprägt, die allein schon aus finanziellen Gründen weiterhin den Vorzug erhalten. Es wird nicht als Wohnlösung für einen Lebensabschnitt für Familien gesehen. Das Einfamilienhaus ist als Wohnform fest verankert in unserer Gesellschaft. Es ist das Sinnbild für ein „erfolgreiches“ Leben und nach wie vor mit diesen Vorzügen verbunden: Altersvorsorge, Freiheit, Geborgenheit, Lebenstraum, Privatheit, Selbstverwirklichung, Sicherheit, Status und Verlässlichkeit. Doch die Siedlungsstruktur des Einfamilienhauses wird der Diversität unserer Gesellschaft nicht mehr gerecht, sagt Fuhrhop. Aus Sicht der Nachhaltigkeit sei diese Wohnform sogar hochproblematisch. Das gilt für die ökologischen Kosten der Versiegelung, den Materialverbrauch und den Energiebedarf sowie für die ökonomische Nachhaltigkeit. Es geht ihm nicht darum, das Wohnen im Einfamilienhaus in Frage zu stellen oder zu verhindern, sondern darum, dem unstillbaren Hunger nach neuen Häusern „durch die Transformation bestehender und untergenutzter Einfamilienhäuser entgegenzuwirken.“
Die größte Investition des Lebens wird im Rentenalter oft zur Kostenfalle.
Mit dem Renteneintritt fallen häufig die ersten größeren Sanierungsbedarfen der Gebäude zusammen: „Diese Zusammenhänge machen das Versprechen finanzieller Sicherheit im Alter zu einem trügerischen.“ Die Eigentumsform, oft in Verbindung mit der Altersvorsorge, macht es organisatorisch und emotional schwierig, nach dem Auszug der Kinder in eine angemessenere Wohnung umzuziehen Auch bleiben oft ein oder mehrere Elternteile auf einer viel zu üppigen Wohnfläche zurück, während die Kinder für sich selbst keine eigene Wohnung finden, weil der Wohnraum knapp ist. Eine Lösung verspricht der „unsichtbare Wohnraum“, der vorliegt, wenn jemand einen Raum oder mehrere nicht nutzt. In seiner Dissertation untersucht Daniel Fuhrhop das Potenzial der Wohnsuffizienz anhand sozialer Programme wie der Vermittlung von Untermieter:innen nach dem Modell „Wohnen für Hilfe“ (ältere, alleinstehende Menschen könnten Auszubildende oder Studierende bei sich aufnehmen - die Jungen bekämen den dringend benötigten Wohnraum, die Älteren Unterstützung und Sozialkontakt) oder dem Umzug und Umbau solcher Wohnungen im Kontext der Wohnraumvermittlung. Diese würde diese Wohnungen als Sozialwohnungen vermitteln und Vermietern dabei verlässlich die Miete garantieren, auch wenn die Mieter diese einmal nicht zahlen können sollten. Die Agentur würde Sozialarbeiter zur Betreuung schwieriger Mieter stellen und könnte sogar Renovierungszuschüsse gewähren. „Insgesamt können so jährlich 100.000 Wohnungen entstehen - ohne Klimabelastung und mit der Chance auf Nähe und Nachbarschaft“, sagt Fuhrhop.
Vorteile der Nutzung des unsichtbaren Wohnraums:
- Ermöglichung eines angenehmeren Wohnens für ältere Menschen
- Hebung von Reserven des Wohnraums in Altbauten
- Förderung von Gemeinschaft und Lebensqualität
- Vermeidung von klimaschädlichem Neubau.
Das Buch:
- Daniel Fuhrhop: Der unsichtbare Wohnraum. Wohnsuffizienz als Antwort auf Wohnraummangel, Klimakrise und Einsamkeit. Transcript Verlag, Bielefeld 2023.
Weiterführende Informationen:
- Nachhaltige Bauwende: Warum der nachwachsende Rohstoff Holz gefragter denn je ist
- Warum wir unser Wohnverhalten überdenken sollten
- Daniel Fuhrhop: Einfach anders wohnen. 66 Raumwunder für ein entspanntes Zuhause, lebendige Nachbarschaft und grüne Städte. Oekom Verlag 2018.
- Tim Kaysers: Phyto for Future – Mit Pflanzen aus der Klimakrise. Büchner Verlag, Marburg 2022.
- Klimaneutralität in der Industrie. Aktuelle Entwicklungen – Praxisberichte – Handlungsempfehlungen. Hg. von Ulrike Böhm, Alexandra Hildebrandt, Stefanie Kästle. Springer Gabler Verlag, Heidelberg, Berlin 2023.
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