Zum erfolgreichen Gebrauch des Bauchgefühls im Management
Interview mit Jürgen Zahn, Geschäftsführer der solopia GmbH
Als Geschäftsführer der solopia GmbH widmen Sie sich der Vermittlung von Führungskräften. Welche Rolle spielt für Sie das Bauchgefühl?
Ich verbinde es mit der inneren Stimme. Sie erinnert uns an das, wofür wir stehen. Man kann es auch gerne als Gewissen bezeichnen. Und bekanntlich ist ein reines Gewissen ja ein gutes Ruhekissen. Wichtig ist, darauf zu achten, dass man mit seinen Entscheidungen auch „leben“ kann. Das bedeutet, ich muss auch dahinterstehen können, selbst und gerade wenn negative Konsequenzen damit verbunden sind. Das Bauchgefühl hilft mir hier Lösungsansätze von mehreren Seiten zu beleuchten. Es darf nicht nur mein Vorteil im Vordergrund stehen, sondern alle Beteiligten und deren berechtigte Einwände müssen zur Sprache kommen. Man sagt immer so schön, dass man den Kerl im Spiegel immer noch in die Augen sehen muss - und das bedeutet, dass man mit sich im Reinen ist. Diese Authentizität ist es dann auch, was andere Menschen spüren und nachvollziehen können.
Haben Sie Entscheidungen auch aus dem Bauch heraus getroffen?
Gerade im Moment machen wir das. Aufgrund der aktuellen Situation werden in absehbarer Zeit wieder mehr Bewerber auf dem Markt sein. Um diesen zu helfen, wiederum in ein Arbeitsverhältnis zu kommen, ist es wichtig, sie dabei zu unterstützen. Also haben wir ein Angebot in unser Portfolio aufgenommen, das genau diesem Umstand Rechnung trägt. Wir wissen, was unsere Auftraggeber (Firmenkunden) wollen, und daraus generieren wir einen guten Lebenslauf und ein passendes Anschreiben oder holen Referenzen ein, um den Inhalt des CVs zu ergänzen. Je nach dem finanziellen Rahmen des Bewerbers suchen wir auch eine Arbeitsstelle für ihn. Ob dieses Angebot auch angenommen wird, können wir erst im nächsten Jahr beurteilen.
Es gab sicher auch Situationen, in denen Sie nicht auf Ihren Bauch gehört haben?
Ja natürlich! Aber es ist müßig, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen, da sie nicht mehr zu ändern ist. Wir können nur die Gegenwart beeinflussen und aus den Erfahrungen, die wir gesammelt haben lernen und aktuelle Entscheidungen treffen, die sich dann rückwirkend betrachtet als richtig oder falsch, herausstellen. Erfahrungen sind enorm wichtig, um zu guten Entscheidungen zu kommen.
Was macht das Bauchgefühl mit Ihnen?
Es ist eine Art Unwohlsein, Unbehagen, wenn man eine „falsche“ Entscheidung trifft. Für mich ist es dann auch ganz klar, dass die getroffene Entscheidung nicht gut ist. Ich suche nach Rechtfertigungen - insbesondere mir selbst gegenüber, dass es doch richtig war und nicht falsch. Und andere Menschen, die einem nahestehen, merken das sofort. Außerdem schwächt es mich. Ich muss nun versuchen, eine Position zu vertreten, hinter der ich nicht stehe. Das kostet Kraft und führt irgendwann zum berühmten Burnout.
Braucht eine gute Führungspersönlichkeit Bauchgefühl?
Sie braucht Kopf und Bauch gleichermaßen. Nach meinem Verständnis hat Führung auch sehr viel mit Transparenz zu tun. Wenn ich etwas sage, dann muss sich mein Mitarbeiter auch drauf verlassen können, dass ich es auch so meine. Eine klare Anweisung muss ja nicht zusätzlich noch schriftlich fixiert werden. Und dieses Vertrauen der Mitarbeiter ist es ja dann auch, dass wir als Führungskräfte wahrgenommen werden. Entsteht bei meinen Mitarbeitern ein Gefühl der Sicherheit, wenn ich mündliche Vorgaben mache und dann doch ganz anders handle? Ein gutes Beispiel dafür sind auch unsere Kinder. Sie sind wie ein Spiegel! Das sollte man nie vergessen.
Warum fällt es vielen Managern schwer, vor anderen Menschen zuzugeben, dass sie ein Bauchgefühl haben?
Ganz einfach. Man wird angreifbar. In unserer heutigen Firmenkultur will oder darf keiner Fehler machen. Und wenn doch, dann dafür keine Verantwortung übernehmen. Wenn eine Führungskraft zugibt, dass er aus einem Bauchgefühl handelt, dann kann er dadurch auch seinen Job verlieren. Das will niemand.
Nehmen wir die Pandemie im letzten halben Jahr. Keiner konnte diese Entwicklung voraussehen. Aber das Budget für dieses Jahr 2020 wurde unter bestimmten Annahmen verabschiedet. Und damit sind auch Investitionen, Personalentscheidungen etc. verbunden. So genau diese Planrechnungen auch gewesen sind - sie sind alle Makulatur. Wenn jetzt ein Businessplan verlangt wird, wird der grundlegend vom Plan abweichen. Aber das konnte niemand wissen. Wenn Sie also in der Planungsphase ein ungutes Gefühl gehabt hätten, dann begeben sie sich automatisch in die Schusslinie, weil man ja die Vergangenheit nimmt und diese in die Zukunft projiziert und damit eine Planung erstellt.
Was muss sich ändern, damit Bauchgefühl auch in der Ausbildung angehender Führungskräfte gelehrt wird?
Das ist sehr schwierig zu sagen. Denn eigentlich bräuchte man Zeit und auch einen erfahrenen Mentor oder Coach, der einen in diesem Prozess unterstützt. Aber diese Zeit bzw. der Freiraum zu experimentieren steht nicht zur Verfügung.
Können Sie ein Beispiel geben, das diese Situation ganz gut beschreibt?
Ein Fußballtrainer ist sofort auf Erfolg verpflichtet. Denn man holt ihn ja für viel Geld, und deshalb muss er sofort Ergebnisse liefern. Zeit für Experimente in einem Milliardengeschäft? Fehlanzeige. Und hier handelt es sich ja auch um ein Wirtschaftsunternehmen oder darf man einen Fußballverein mit einer ¾ Milliarde Umsatz nicht so bezeichnen?
Da die Entscheidungen ja getroffen werden müssen, und man als Top Führungskraft selten einen Sparringspartner hat, mit dem man offen über das alles sprechen kann, die Kollegen sind ja meist Konkurrenten – ist das Thema Coaching in dieser Hinsicht sicherlich ein guter Ansatz.
Sie haben einmal gesagt, dass sich das Bauchgefühl trainieren lässt …
Ja, da bin ich ganz klar der Meinung, dass das geht. Schließlich ist es doch mehr, dass man auf das Bauchgefühl hört und auch den Mut hat darauf zu hören. Ein kleines Beispiel, das ich neulich persönlich erlebt hatte. Auf einer Radtour waren wir zum Mittagessen eingekehrt. Nach Durchsicht der Speisekarte hatte ich das Bauchgefühl, ich sollte eine Suppe mit Knödeln bestellen. Stattdessen entschied ich mich für eine Leber. Da ein Bekannter die Suppe bestellte, konnte ich direkt vergleichen. Es war von mir leider die falsche Entscheidung. So denke ich, kann man Bauchgefühl im Alltag trainieren. Darauf hören und dann auch umsetzen!
Was macht den erfolgreichen Gebrauch des Bauchgefühls aus?
Selbstvertrauen, auf die leisen Töne hören - all das bedarf auch eines entsprechenden Rahmens. Man muss sich zurückziehen können, ein ausgeglichenes Leben führen. Nicht nur die Überholspur ist interessant und wichtig, sondern auch stabile Rahmen- und Familienverhältnisse. Die Bedeutung, dass es außerhalb der Arbeit auch ein Leben gibt, muss verinnerlicht werden.
Vielen Dank für das Gespräch.
Zur Person:
Jürgen Zahn, Jahrgang 1959, ist Diplom-Kaufmann und seit Januar 2012 Geschäftsführer der solopia GmbH. Als kompetenter Ansprechpartner für die Suche und Auswahl von Fach- und Führungskräften sowie Interim Managern kann er auf eine langjährige Erfahrung in Führungspositionen zurückblicken. Zu seiner Fachexpertise gehören: General Management, Finanzen & Controlling, IT, HR, M+A, Sanierung, Compliance, Organisation & Supply-Chain-Management. Zu seiner Branchenexpertise gehören Luft- und Raumfahrtindustrie, metallverarbeitende Industrie, IT-Industrie, Logistik, Banken und Versicherungen und Beratungsunternehmen.
Seinen beruflichen Werdegang begann er 1988, nach seinem Studium an der Ludwig-Maximilians-Universität München, bei der MTU GmbH, München im Bereich kaufmännische Sachbearbeitung und internationales Vertragswesen. Von 1990 bis 1992 war er bei Pechtl & Partner Rechtsanwälte für das kaufmännische Management, Finanzen, Controlling und EDV zuständig. 1992 wechselte Jürgen Zahn zu der Ascom Hasler GmbH, wo er die Leitung der Bereiche Rechnungswesen, Finanzen, Controlling, Berichtswesen und Auftragsabwicklung verantwortete und die Position des stellvertretenden Geschäftsführers innehatte. Parallel betreute er diese Bereiche von 1996 bis 2000 bei der Ascom Service Automation Holding GmbH, Olching und ab 1997 bis 1998 bei der Ascom EBS GmbH, Büchenbeuren.
2000 wurde Jürgen Zahn die Position des CFO in dem Bereich Mailing Systems der Ascom Autelca AG in Bern übertragen. Schwerpunkte seiner Tätigkeit stellten neben den üblichen kaufmännischen Arbeiten auch die strategische Planung, Kostensenkungsprogramme, Mergers & Acquisitions sowie die Implementierung der Balanced Scorecard dar. Im Bereich M&A verantwortete er unter anderem ein Projekt von rund. 400 Mio CHF. Vor seinem Wechsel im Juli 2005 zu REALTECH AG war er ab 2002 für die Leitung Konzern-Finanzen, Controlling, Investor Relations und Verwaltung bei der FJH AG in München verantwortlich. Als Vorstandsmitglied (CFO) der REALTECH AG war er verantwortlich für das Ressort Finanzen, Investor Relations und Human Resources.
Ab 2008 bis Ende 2011 als Geschäftsführer verantwortlich für Finanzen und Personal eines Schnellauftoreherstellers (Efaflex) in Bayern. Seit Januar 2012 ist er als Geschäftsführer der solopia GmbH zuständig für die Vermittlung von Führungskräften.