Zum Umgang mit der Klimakrise: Nicht missionieren, sondern informieren
Es wird noch heißer
„Unser Bauchgefühl in Sachen Wetter hilft uns sicher nicht, die Weichen für das Klima der Zukunft zu stellen“, schreibt Sven Plöger in seinem neuen Buch "Zieht euch warm an, es wird noch heißer!" Es ist eine vollständige Überarbeitung des 2020 erschienenen Buches „Zieht euch warm an, es wird heiß“. Als Meteorologe sieht er einen großen Tsunami auf uns zurollen, aber auch, dass viele Teile der Gesellschaft „den noch nicht ausreichend sehen, sondern nur ein bisschen.“ In der Neuauflage wird verständlich aufgezeigt, wie unser Klimasystem funktioniert, aber auch, wie mit skeptischen Stimmen, die resistent gegen jeden wissenschaftlichen Beitrag sind, umgegangen werden sollte. Es gibt zwar relativ wenig Leugner des menschengemachten Klimawandels, doch ihre Stimmen sind sehr laut und werden deshalb auch gehört. Warum der Klimawandel von einigen ignoriert wird, hat auch mit kognitiver Dissonanz zu tun: Was nicht ins eigene Konzept passt, wird ausgeblendet. Immer wieder verweist Plöger in diesem Kontext auf die Physik, die wir verstehen, und auf die wir reagieren müssen. Wer sich damit allerdings nicht auskennt, baut auf ein „Fantasie-Konstrukt, ein Narrativ, mit dem man Wissenschaftler ins Abseits stellt und sein eigenes Verhalten rechtfertigt.“ Wie Plöger versteht sich auch der Physiker Florian Aigner als Wissenschaftserklärer. In seinem Buch „Die Schwerkraft ist kein Bauchgefühl“ widmet er sich ebenfalls den Unterschieden zwischen Naturgesetzen und Dogmen, Wahrscheinlichkeiten und „vorgetäuschter“ Seriosität.
Am Ende geht es immer um Schlussfolgerungen, die aus allem gezogen werden müssen.
Sätze wie "Was macht das für einen Unterschied, wenn ich heute mit dem Zug fahre anstatt mit dem Auto, wenn sich in der Welt Millionen Menschen ganz anders verhalten?" sind für ihn eine Schutzbehauptung, damit man gedanklich keinen Widerspruch in sich hat und um selbst nichts tun zu müssen. Es sollen die anderen sein, die erstmal etwas tun müssen. Was wir brauchen, ist eine eigene Haltung und innere Einsicht, Möglichkeiten für eine Transformation zu nutzen. Das Buch ist zugleich ein Plädoyer für eine informative Berichterstattung, die frei von emotionaler Aufregung und Hysterie ist. Es geht um Sachverhalte statt Meinungen. Im Gedankenspiel des Klimaforschers Hans Joachim Schellnhuber können wir die wichtigsten Voraussetzungen für eine weitgehend schadlose Umbettung unserer Zivilisation im Zuge des Klimawandels benennen: „Die da wären: Perfekte Information, perfekte Mobilität, perfekte Institutionen und perfekte Liquidität.“ In seinem Buch „Selbstverbrennung“ geht er vor diesem Hintergrund auch mit sich und seiner Zunft ins Gericht, denn Nachhaltigkeit braucht eine Kommunikation der Begreifbarkeit. Die Informationsverantwortung liegt beim Sender und nicht beim Empfänger: „… wenn wir Fachidioten mit mehr Hingabe, Gespür und Humor unsere Resultate in die Öffentlichkeit tragen würden, dann wären vielleicht einige Prozent der Bevölkerung zusätzlich bereit, sich mit der Problematik auseinanderzusetzen und vielleicht sogar gewisse Verhaltensveränderungen vorzunehmen.“
Covid-19 – der „kleine Bruder“ des Klimawandels?
Eine besondere Stärke dieses Buches ist die Vermittlung innerer und äußerer Zusammenhänge – zum Beispiel von Corona und Klimawandel: Bei beiden handelt es sich um weltweite Ereignisse, die an keiner Grenze Halt machen. Doch Corona fand genau „auf unserer Zeitskala“ statt: Die Bedrohung war unmittelbar und konkret. Es wurde gehofft, dass diese Krise in einer überschaubaren Zeit bewältigt werden konnte. Beim Klima allerdings stimmt die „Zeitskala für unser Empfinden nicht“. Die Bedrohung ist abstrakt und diffus: Es geht um Jahre oder Jahrzehnte. Dieser große Zeitvorteil wird zum Nachteil für uns, „denn unsere Spezies ist nicht besonders begabt im Umgang mit sehr langen Zeiträumen. Haben wir viel Zeit, dann schieben wir einfach alles vor uns her. Je weiter ein Ereignis in der Zukunft liegt und je weniger es damit für uns unmittelbar zu spüren ist, desto schlechter können wir ein solches Problem erkennen“, so Plöger. Hinzu kommt, dass bei Corona überwiegend auf die Wissenschaft gehört wurde: Virologen ordneten das Thema ein und Erkenntnisse wurden zum größten Teil in den Medien differenziert vermittelt. Länder, die den Ausbruch frühzeitig bemerkten und entsprechend der wissenschaftlichen Erkenntnisse schnell reagierten, waren nachweislich die erfolgreichen: Das Gesundheitssystem wurde nicht überlastet, und es waren die wenigsten Toten zu beklagen. Wo aber die Wissenschaft ignoriert und zu spät gehandelt wurde, starben Menschen, „die unter vernünftigerer Führung hätten überleben können.“
Wo allerdings nur auf das Bauchgefühl gesetzt wird, läuft vieles aus dem Ruder, wie sich auch in der Corona-Krise zeigte.
„Das Hirn denkt, aber der Instinkt lenkt.“ Anders konnte sich der Mathematiker und Autor Gunter Dueck die extremen Haltungen während der Pandemie nicht erklären. Ob Maskentragen bei der Abwehr des Virus hilft, war für ihn eine Sachfrage, keine des Instinkts, der seiner Meinung nach eher nicht revidiert. „Er hat nach einer Sekunde entschieden: Gefahr JA-NEIN.“ Vom Instinkt getriebene Menschen, die ihre Sehnsucht nach Einfachheit bedient haben wollen, wundern sich deshalb, dass Wissenschaftler ihre Meinung manchmal fast ins Gegenteil ändern. Dabei gibt es keinen Masterplan. „Am ehesten nähert man sich der Wahrheit durch die ständige Korrektur von Fehlern.“ Im Herausgeberband „Bauchgefühl im Management“, das Werner Neumüller während der Corona-Pandemie geschrieben haben, sind viele Aspekte erwähnt, die auch Sven Plöger aufgreift. So wird es heute immer wichtiger, den eigenen Verstand zu nutzen, um Antworten zu finden, die dabei helfen, Komplexität, Unsicherheiten und Ängste auszuhalten – und zu lernen, die Wirklichkeit besser zu verstehen. Wir brauchen ein gemeinsames Verständnis von ihr, denn nur auf dessen Fundament können wir unsere Debatten austragen. Leider entfernen wir uns immer mehr von einem gemeinsamen Verständnis, wenn Tatsachen, Meinungen, Fantasien und Ängste vermischt werden. Bauchentscheidungen werden vor allem dann gebraucht, wenn Risiken nicht berechnet werden können und unter hoher Unsicherheit entschieden werden muss. Besonders interessant ist, dass Sven Plöger in diesem Zusammenhang dem gesunden Menschenverstand, einem Kernaspekt unseres Sammelbandes, eine positive Rolle zuspricht: „Zuhören und dabei vorbereitete Fragen mit gesundem Menschenverstand an den Gesprächsverlauf anzupassen, führt zu guten Beiträgen.“
Der gesunde Menschenverstand (Common Sense) ist weder (Bauch-)Gefühl noch Intuition.
Er ist eher so etwas wie der große Bruder der Intuition – auch noch jung, aber bereits erwachsen. „Mit einfacher Vernunft, bereits brauchbaren Alltagserfahrungen und der Fähigkeit, sich vorzustellen, wie andere wohl urteilen würden“, bemerkt Robert Nehring. Der Ausdruck steht im Wesentlichen für den einfachen, erfahrungsgestützten und allgemein geteilten Verstand des Menschen. Etwas entspricht dem gesunden Menschenverstand, wenn es leicht zu verstehen ist, durch Erfahrung bestätigt werden kann und von vielen anderen auch so gesehen wird. darauf basiert auch das Buch von Sven Plöger.
Das Wichtigste von A bis Z im Überblick:
Die Klimakrise als Blockbuster: Die Zuschauer sehen bereits die dramatische Lage, nur die Protagonisten noch nicht (Spannungsaufbau des Films). Dann wachen auf einmal die Filmfiguren auf und bemerken die Gefahr. In großer Dramatik oder Panik wird dann versucht, das Problem gemeinsam zu lösen. Am Ende, gerade noch in der letzten Sekunde, wird die Katastrophe verhindert. „Beim Film dauert das zwei Stunden, beim Klimawandel 30, 50 oder 100 Jahre.“
Es braucht ein Bewusstsein für Dringlichkeit, denn die bedrohlichen Signale des Erdsystems erlauben kein Aufschieben der Klimaschutzagenda. Zudem erfordern die besorgniserregenden Verschiebungen im internationalen System einen stärkeren Einsatz ziviler Friedensförderung.
Die Weltorganisation für Meteorologie geht mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit davon aus, dass bereits in den kommenden fünf Jahren die Temperaturgrenze von 1,5° C erreicht werden könnte. Während die globalen Treibhausgasemissionen aufgrund der Corona-Pandemie einen kurzen Einbruch verzeichneten, steigt die Emissionskurve inzwischen wieder rasant nach oben. Das erfordert eine ambitioniertere Klimaschutzpolitik und mehr Investitionen in präventive Anpassungsmaßnahmen.
Der Umstieg auf erneuerbare Energien birgt eine Chance für höhere Versorgungssicherheit sowie Unabhängigkeit von fossilen Importen und Marktmonopolen. Wenn sie intelligent gefördert und genutzt werden, braucht es keine Kernspaltung. Der Ausstieg ist aus Plögers Sicht richtig, wenn man alle Argumente abwägt. Sich auf die Erneuerbaren zu konzentrieren, bedeutet außerdem, dass an der Kernfusion und ihren Möglichkeiten weitergeforscht werden kann.
Wir sind plötzlich nicht mehr völlig machtlos, sondern haben Zeit, um mit beschränkten Mitteln einzugreifen, die Ausbreitung zu steuern und abzubremsen – „flatten the curve“ ist dafür der englische Ausdruck, der nun auch Eingang in unseren Wortschatz gefunden hat. Je intelligenter wir mit dieser Zeit umgehen, desto besser das Ergebnis. Das gilt für Corona und den Klimawandel gleichermaßen. Wir müssen mit aller Kraft versuchen, eine Überbelastung des Systems zu vermeiden. Bei Corona geht es darum, die Gesundheitssysteme nicht über ihre Kapazitätsgrenze hinaus zu belasten und dadurch Menschenleben zu retten. Beim Klimawandel geht es darum, die Anpassungsfähigkeit der Fauna, Flora und auch des Menschen nicht überzustrapazieren. Das rettet ebenfalls Menschenleben und verhindert obendrein das Aussterben vieler Arten. Einen großen Unterschied gibt es derzeit aber schon: Nach einem Impfstoff gegen Corona suchen wir noch fieberhaft, einen gegen den Klimawandel haben wir schon: die erneuerbaren Energien!
Gesundheit: „Eine intakte Natur ist für die Kühlung des Planeten so wichtig wie die Schweißdrüsen auf unserer Haut für die Kühlung unseres Körpers.“ (Sven Plöger)
Wir haben heute kein Wissensproblem, sondern ein Handlungsproblem: Es ist rasches multilaterales Handeln erforderlich, um der Klimakrise Einhalt zu gebieten. Benötigt wird auch eine Nationale Sicherheitsstrategie, die den Klimawandel als ein Sicherheitsrisiko miteinbezieht. Klimafragen müssen als Querschnittsthema in verschiedenen Teilen der Strategie verankert werden (zivile Krisenprävention, Sicherheitssektor etc.).
Diejenigen, die beim Thema Klimakrise unsicher sind, benötigen bessere Informationen. Aufgrund der medialen „Schnipselwelt“, in der täglich irgendwo eine Information zum Klimawandel erscheint, wird sie selten richtig eingeordnet wird. Die Lösung, die angestrebt werden sollte, ist, dass gut informierte Menschen intelligent handeln.
Wachsende Klimafolgen erzwingen einen Perspektivwechsel auf die Mensch-Umwelt-Interaktion: Wir nehmen nicht Einfluss auf Erdsystem und Weltklima – auch unsere Gesellschaftssysteme werden verstärkt geprägt und möglicherweise destabilisiert durch Extremwetterereignisse, deren Entstehung durch Treibhausgasemissionen begünstigt werden.
Klimawandel bedeutet nicht mehr, dass irgendwann irgendwo irgendwem auf dieser Welt irgendetwas meist Unerfreuliches passiert, sondern er ist eine Tatsache, mit der wir hier und jetzt konfrontiert sind. Die Häufung extremer Ereignisse ist dabei kein Widerspruch dazu, dass es natürlich auch früher mitunter schon extremes Wetter gab. Die Veränderung liegt in der Häufung und im Auftreten neuer Extrema, die es bisher noch nicht gab.
Die Klimakrise vergrößert die Reibungsfläche zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen. Das heißt auch, dass die Lösung bestehender Konflikte und die Bekämpfung humanitärer Notlagen durch den Klimawandel erschwert werden können.
Das Umfeld für Krisenprävention benötigt eine bessere Verwaltung der natürlichen Ressourcen und einen Interessenausgleich zwischen Konfliktparteien.
Nachhaltige Lieferketten müssen für die Ressourcen, die für eine grüne Transformation notwendig sind, resilient aufgebaut und neue Handelspartnerschaften geschlossen werden (keine Abhängigkeiten von einem Importeur).
Wir müssen vom Problemverursacher zum Problemlöser werden.
Die Gesellschaft braucht mehr kollektiven Sachverstand, „um die Vorgänge ernsthaft und nicht mit selbstgebastelten Narrativen, die das eigene Verhalten rechtfertigen, einordnen zu können. Die Politik, die ja in einer Demokratie ein Teil von uns allen ist oder sein soll, dazu zu bringen, zügig und vernünftig zu agieren, muss das Ziel sein.
Beim Klima geht es um einen fundamentalen Wandel, dem wir nur durch eine Transformation in vielen Bereichen unserer Gesellschaft erfolgreich begegnen können.
Wenn wir unser Verhalten nicht schneller ändern, wird uns irgendwann die Atmosphäre wachmachen. Den Weckruf dann zu ignorieren, wäre nach Plöger „ein völlig aussichtsloses Unterfangen, da der Klimawandel dadurch immer extremer zuschlagen würde.“
Dass sich die Klimaveränderung trotzdem – schleichend natürlich – in unserem Bewusstsein festsetzt, hat mit dem Wetter zu tun, das weltweit extremer wird - und das fühlen wir. Dafür verantwortlich ist der Klimawandel. Nicht der globale Temperaturanstieg um ein Grad in 100 Jahren, sondern extreme, oft tragische Wetterereignisse sind es, die uns nachdenklich auf das blicken lassen, was um uns herum geschieht.
Sven Plöger hält nichts davon, sich bei der Kommunikation auf apokalyptische Bilder zu beschränken. Viel wichtiger ist es, Auswege aus der Krise zu zeigen und Impulse zu setzen, die den negativen Gedanken „Das schaffen wir doch sowieso alles nicht!“ wieder aus den Köpfen verbannt. Was es heute braucht, ist ein begründeter Optimismus, „die große Herausforderung überhaupt bestehen zu können.“ Das ist eine vernünftige Haltung.
Das Buch:
- Sven Plöger und Andreas Schlumberger: Zieht euch warm an, es wird noch heißer! Können wir den Klimawandel noch beherrschen? WESTEND Verlag. Frankfurt a. M. 2023.
Weiterführende Informationen:
- Gefährliche Neigung: Mensch und Klima
- Schutz der Ökosysteme: Eine Wanderung zur Entdeckung der Weltgesetze
- „Die Klimakrise ist real – aber wir können noch etwas tun!“
- Warum wir lernen sollten, unsere Ängste in Sorge zu verwandeln
- Was 2030 auf uns zukommt – und wie wir uns darauf einstellen können
- „Zivilisation in der Dunkelwolke“: Unklarheiten und offene Fragen
- Bauchgefühl im Management. Die Rolle der Intuition in Wirtschaft, Gesellschaft und Sport. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. SpringerGabler Verlag 2021.
- Klimaneutralität in der Industrie. Aktuelle Entwicklungen – Praxisberichte – Handlungsempfehlungen. Hg. von Ulrike Böhm, Alexandra Hildebrandt, Stefanie Kästle. Springer Gabler Verlag, Heidelberg, Berlin 2023.
- Klimaneutralität in der Industrie. Aktuelle Entwicklungen – Praxisberichte – Handlungsempfehlungen. Hg. von Ulrike Böhm, Alexandra Hildebrandt, Stefanie Kästle. Springer Gabler Verlag, Heidelberg, Berlin 2023
- Hans Joachim Schellnhuber: Selbstverbrennung. Die fatale Dreiecksbeziehung zwischen Klima, Mensch und Kohlenstoff. C. Bertelsmann Verlag, München 2015.
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